Linkenpolitiker niedergeschlagen: Er steht schon wieder
Lasko Schleunung ist seit Jahren Angriffen von Neonazis ausgesetzt. Diesmal landete er im Krankenhaus. Trotzdem macht der 18-jährige Politiker weiter.
Es ist Mittwoch, der 21. Mai, als der Linkenpolitiker Lasko Schleunung bei einem Abendspaziergang in seinem Lichtenberger Kiez bemerkt, dass ihm jemand folgt. Der Schüler ist in Lichtenberg für sein Engagement gegen rechts bekannt. Seit Jahren ist er deshalb Angriffen durch Neonazis ausgesetzt – und ist entsprechend wachsam, wenn er unterwegs ist.
Mehrmals verschwindet die Person aus seinem Sichtfeld und taucht wieder auf. Als der 18-Jährige nach etwa zehn Minuten die Parkanlage eines Friedhofs betritt, wird er rücklings niedergeschlagen: „Ich bin dann mit dem Gesicht gegen einen Baumstamm geknallt.“ Das Gesicht des Angreifers habe er nur halb erkennen können, sagt Schleunung im Gespräch mit der taz zwei Tage nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus.
Der Unbekannte flüchtet, Schleunung verständigt die Rettungskräfte. Wegen eines Schädel-Hirn-Traumas muss er fünf Tage im Krankenhaus bleiben. Der Täter, glaubt Schleunung, habe ihm nicht aufgelauert, sondern sich spontan dazu entschlossen, ihn anzugreifen: „Er hat mich erkannt.“ Davon geht auch die Polizei aus, heißt es in einer Mitteilung. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen aufgenommen.
In weißem Kurzarmhemd und Jeans sitzt Lasko Schleunung vor seinem vegetarischen Bánh-bao-Burger in einem Café, der Chai Latte ist halb ausgetrunken. Der 18-jährige ist Schulsprecher, Sprecher der Linksjugend Solid und Bürgerdeputierter in Lichtenberg, wo er aufgewachsen ist. „Ich glaube, mit neun wurde ich das erste Mal von Nazis verfolgt“, erzählt er lachend.
In der Nähe vom „Sturgis“, einem rechtsextremen Szenelokal nahe des Lichtenberger Bahnhofs, habe er damals Plakate gemalt. Durchgestrichene Hakenkreuze darauf oder ‚Kein Mensch ist illegal‘. „Damals natürlich mit vielen Rechtschreibfehlern. Da haben sie mich erstmals durch die Straßen gejagt“, erzählt Schleunung. Er ist gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen, der Angriff knapp eine Woche her. Dass er noch immer starke Kopfschmerzen hat, merkt man ihm an.
2021 folgte der erste Angriff auf ihn als Mitglied der Linkspartei. Ein ortsbekannter Neonazi griff damals einen Infostand am Bahnhof Lichtenberg an, den Schleunung mitorganisiert hatte. Dabei wurde er leicht am Arm verletzt. Bevor der Mann um die 60 von der Polizei festgenommen wurde, bedachte er den damals Minderjährigen noch mit einer Geste und strich sich mit dem Finger über die Kehle.
Ende März 2025 landet die Morddrohung im Briefkasten der Partei-Geschäftsstelle: „Lasko töten“ steht auf dem Zettel. Daneben „Linke Zecken erst bespucken, dann schlagen“. Erst zwei Tage zuvor war Schleunung vor dem Linken-Parteibüro in seiner Rauchpause von einer Person bespuckt worden. Die Polizei ermittelt.
Es ist nicht mehr wie vorher
Seitdem ist Lasko Schleunung vorsichtiger geworden: In den sozialen Medien postet er nur zeitverzögert, damit man ihm nicht auflauern kann. Und auch seine Art, sich in der Stadt fortzubewegen, musste er anpassen, noch im Krankenhaus hatte er ein mehrstündiges Sicherheitsbriefing mit dem LKA.
Andere Maßnahmen, zu denen ihm die Polizei geraten hat, müssen aus Sicherheitsgründen geheim bleiben. So viel ist klar: Allein durch den Lichtenberger Ortsteil Hohenschönhausen zu laufen, wo rechtsextreme Jugendliche besonders präsent sind, ist für ihn keine Option mehr.
Einschüchtern lassen will sich der 18-Jährige von alldem nicht, er begegnet den Vorfällen stattdessen mit Humor. Diesen Umgang scheint er sich von Gregor Gysi, einem seiner Vorbilder, abgeschaut zu haben.
Die andere Wange hinhalten
Tatsächlich erkennt man Parallelen zwischen den beiden. Auch Schleunung ist nicht der Höchstgewachsene, seine Stimme tönt dafür umso lauter. Nicht unangenehm, aber er wird gehört. Er gestikuliert viel und wirkt dabei erfahrener als er es mit 18 Jahren sein kann. Ernst will er seine Angreifer nicht nehmen: „Ich biete diesen Leuten die Finanzierung eines Anti-Aggressionstrainings an.“
Dass er das nur halb als Witz meint, merkt man schnell. Denn Lasko Schleunung unterscheidet sich von vielen Jugendlichen seines Alters nicht vornehmlich durch sein vielfältiges Engagement, etwa in Suppenküchen, für Tierschutzprojekte oder in der Linkspartei. Sondern vor allem wegen seiner Bereitschaft, auch mit Menschen zu sprechen, die ihm feindlich gesinnt sind.
Einen anderen Jugendlichen, der ihn auf der Straße beleidigt hat, habe er einmal gefragt, was ihn denn so unzufrieden mache. „Dann hat er mir tatsächlich ein bisschen was Privates erzählt.“ Unter anderen Umständen, so glaubt Schleunung, hätten die beiden sich gut verstehen können. „Leider ist er dann doch gegangen. Was ich erzähle, sei sowieso ‚alles Dreck‘ meinte er.“
Bei einer Demo gegen Querdenker:innen in Karlshorst vor ein paar Jahren, die Schleunung mitorganisiert hat, wurde er von einer Person mit einem Faustschlag attackiert. Mit anderen Personen aus der Querdenken-Demo ging er später zwei Stunden nach Hause und diskutierte. „Wenn man sich heute auf der Straße sieht, nickt man sich freundlich zu.“
Schleunung will die CDU verklagen
Schleunungs für junge Linke vielleicht ungewöhnliche Versöhnlichkeit gegenüber Rechten hat etwas Pastorales. Menschenverachtendes Gedankengut verabscheut er, und doch bleibt seine Tür weiter offen. Denn viele sehr junge Leute bekämen rechte Haltungen vor allem in Familie und Partnerschaft mit und übernähmen diese, davon ist er überzeugt.
„Diesen Hass muss man versuchen, zu durchbrechen.“ Das pastorenhafte Auftreten ist wohl kein Zufall: Schleunung ist praktizierender Christ, geht regelmäßig zur Kirche und ist aktiv in der Gemeinde.
Für ihn ist das kein Widerspruch zum Linkssein: „Christlich zu sein hat was mit Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Vielfalt und Weltoffenheit zu tun.“ Die CDU würde er deshalb gerne verklagen: „Die sind nicht christlich, das ist doch Trickbetrug.“ Kritisch sieht er etwa die Haltung der Union zu Schwangerschaftsabbrüchen: „Christen sollten sich nicht so viel rausnehmen.“ Paragraf 218, der Abtreibungen unter Strafe stellt, müsse auf jeden Fall weg, Jesus hätte das auch so gesehen, glaubt er.
Dass der 18-Jährige aber nicht immer die Gesprächsbereitschaft in Menschenform verkörpern will, lässt sich auf seinem TikTok-Account sehen: Prominent platziert findet sich dort ein Video, in dem er einer rechtspopulistischen Influencerin ein „Demo gegen Links“-Plakat entreißt. Zerrissen landet es im Müll. „Braune Scheiße brauchen wir hier nicht“, sagt Schleunung stolz in die Kamera.
Liebe zum Osten
Seine Familie stammt aus Brandenburg, wo die AfD bei den Landtagswahlen 2024 fast 30 Prozent holte. Die Unzufriedenheit mancher AfD-Wähler:innen könne er verstehen, gerade im Osten, sagt er: „Viele Senioren fühlen sich alleingelassen. Die haben ein Leben lang gearbeitet und können von ihrer Rente jetzt trotzdem nicht leben. Und infrastrukturell sind Ost und West noch immer nicht gleichgestellt.“
AfD-Wähler:innen pauschal mit Nazis gleichzusetzen, hält er für problematisch. Aber auch ihm macht der Osten Sorgen. „Ich liebe Ostdeutschland, aber auch ich verbinde es leider mit Nazis.“
Das gelte ebenso für Lichtenberg. Dort sind die rechtsextreme Partei „Der Dritte Weg“ und die Neonazi-Gruppe „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) besonders aktiv. Manche von ihnen kennt Lasko Schleunung persönlich. In rechten Chatgruppen kursieren Bilder von ihm im Fadenkreuz. „Es gibt natürlich auch an meiner Schule ein paar Nazis und die hassen mich abgrundtief.“ Angst mache ihm das nicht, sagt er. „Ich habe so viele linke Freunde. Wir könnten die innerhalb von Sekunden verscheuchen.“
Doch die Gewalt, die er immer wieder erfahren hat, hinterlässt ihre Spuren: „Ich habe Angst, draußen zu sein“, gibt er zu. Tagsüber sei es nicht so schlimm, doch auch in seinem Lieblingscafé kann er nicht mehr richtig loslassen. „Ich sitze ungern am Fenster und niemals mit dem Rücken zur Tür.“ Aber er erlaubt es sich nicht, die Angst an sich heranzulassen. „Ich würde daran kaputtgehen. Dann könnte ich aufhören mit Politik.“
Das ist für den ambitionierten Zwölftklässler aber keine Option: „Ich habe sowieso keine Zeit für Schule“, regelmäßig müsse er für Interviews oder Sitzungen freigestellt werden. Deshalb will er nach der 12. erst einmal eine Schulpause einlegen und ein Praktikum machen. Dann Fachabi und „was Soziales„studieren.
Letztlich will Lasko Schleunung aber nach ganz oben: 2061 will er es zum Kanzler geschafft haben. Er packt den linken Stammtischsprech aus: „Es reicht mit den alten Säcken, die einen auf christlich machen.“
Dass er 2061 selbst schon 54 sein wird, stört ihn wenig. „Immer noch 15 Jahre jünger als Friedrich Merz jetzt.“ Von seinem Vorbild Gregor Gysi hat Lasko Schleunung offensichtlich gelernt, wie man unterhaltsam über Politisches spricht. Doch lernt man ihn kennen, versteht man, die Sache mit dem Kanzler ist kein Witz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trotz widersprüchlicher Aussagen
Vermieter mit Eigenbedarfsklage erfolgreich
Greta Thunbergs Soli-Aktion mit Gaza
Schräger Segeltörn
Bundeswehr an Schulen
Der Druck auf die Jugend wächst
Sugardating
Intimität als Ware
Arbeitnehmerfeindliche Politik der SPD
Die rote FDP
Offener Brief an Friedrich Merz
„Tiefe Scham wegen deutscher Positionierung“