Entwicklungssenatorin übers Wohnen: „Ich träume nicht von der DDR“
Berlins linke Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher verteidigt den Mietendeckel des rot-rot-grünen Senats. Sie erklärt, warum er ein bundesweites Vorbild ist.
taz: Frau Lompscher, träumen Sie sich manchmal in die DDR zurück?
Katrin Lompscher: Zu keinem Zeitpunkt. Berlin ist nach dem Mauerfall eine großartige und weltoffene Stadt geworden.
Teile der Opposition und der Medien werfen Ihnen vor, dass Sie mit dem Berliner Mietendeckel plus Enteignung der Deutschen Wohnen die alten DDR-Rezepte vorschlagen.
Solche Reaktionen drücken sich darum, das eigentliche Problem zu sehen: das Auseinanderklaffen von Wohnkosten und Einkommensentwicklung in Berlin. Insbesondere seit der Finanzkrise 2008 sind neue, stark renditeorientierte Akteure in den Wohnungssektor vorgedrungen.
Katrin Lompscher, 57, ist seit Dezember 2016 die erste von der Linkspartei gestellte Senatorin für Stadtentwicklung in Berlin. Sie war zu DDR-Zeiten SED-Mitglied, nach der Wende Bezirksstadträtin in Lichtenberg und von 2006 bis 2011 Senatorin für Gesundheit und Umwelt. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung war zuvor 20 Jahre lang in der Hand der SPD, die in Berlin traditionell eine Nähe zur Immobilienwirtschaft hat. Dass der SPD nun das Amt und der Immobilienlobby die Verbindungen fehlen, trägt zur Schärfe der Angriffe auf Lompscher bei.
Sie meinen börsennotierte Unternehmen?
Ja – und andere Anleger, die in Wohnimmobilien als vermeintlich letzte sichere Kapitalanlage investieren. Wohnen gehört zu den Grundrechten von Menschen. Deshalb müssen wir über neue politische Antworten auf diese Situation nachdenken.
Was versprechen Sie sich vom Mietendeckel?
Zum einen soll durch den Mieterhöhungsstopp und die Einführung von Mietobergrenzen ein außer Rand und Band geratener Mietwohnungsmarkt wieder in eine Balance gebracht werden. Und er soll zum anderen eine Atempause bewirken, damit wir die daneben erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung des Wohnraummangels wirksam …
… also Neubauten …
… mit entsprechender Konsequenz vorantreiben können.
Kann Berlin ein bundesweites Vorbild sein?
Ich gehe fest davon aus. Wir sehen jetzt schon bundesweite Reaktionen und intensive Diskussionen, obwohl der Senat bisher nur einen Eckpunktebeschluss und noch kein Gesetz vorgelegt hat. Der Mietendeckel ist Neuland. Andere Bundesländer beobachten, wie Berlin damit umgeht und wie weit wir damit kommen. Bremen hat in den neuen Koalitionsvertrag geschrieben, dass man die Berliner Erfahrungen auswerten wird.
Hamburg ist skeptischer. Der dortige Finanzsenator Andreas Dressel twittert: „Der Mietendeckel ist verfassungsrechtlich auf Sand gebaut und provoziert Mieterhöhungen schon vor der Inkraftsetzung.“
Die Verfassungsmäßigkeit würde ich Verfassungsgerichte beurteilen lassen. Die Mieterhöhungsankündigungen in Berlin sind eine provokante Gegenreaktion, waren aber auch vorhersehbar, weil wir wenige Wochen zuvor einen neuen Mietspiegel veröffentlicht haben. Und dass Hamburg einen anderen Weg geht als wir, ist bekannt.
Hamburg hat gegenüber Berlin den Vorteil, dass es eine Stetigkeit bei der Förderung des Wohnungsneubaus gab und gibt. Da können wir von Hamburg lernen. Dass Berlin bei der Mietenregulierung weiter geht als Hamburg, hat auch damit zu tun, dass es hier ein deutlich niedrigeres Einkommensniveau und eine deutlich größere Schere zwischen dem Tempo der Mietentwicklung und der Einkommensentwicklung gibt.
Nun haben viele kurz vor dem Senatsbeschluss zum Mietendeckel noch Mieterhöhungen bekommen. War es eine Panne, dass schon Anfang Juni bekannt wurde, dass Sie die Eckpunkte am 18. Juni beschließen wollten, sodass den Vermietern noch zwei Wochen Zeit für Erhöhungen blieben?
Berlin ist eine diskussionsfreudige Stadt. Wir können uns nicht darüber wundern, dass Dinge, die in der politischen Abstimmung sind, das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Die Ankündigung von Mieterhöhungen vor dem 18. Juni ändert nichts daran, dass wir ins Gesetz den 18.6. als Stichtag für wirksame Mieterhöhungen schreiben werden. Wenn die Mieter bis zu diesem Datum nicht ihre Zustimmung zu den Erhöhungen erklärt haben, sind die Erhöhungsankündigungen nach unserer Rechtsauffassung gegenstandslos.
Weshalb sind Sie sicher, dass es legal ist, mit einem Landesgesetz die Mietenhöhe zu regeln? Jahrelang sind alle, sogar Ihre Partei und der Mieterbund, davon ausgegangen, das dürfe nur der Bund tun.
Es ist tatsächlich eine etwas kuriose Situation, dass ein Artikel in einem juristischen Fachblatt Ende 2018 dafür den Anstoß gab. Ausschlaggebend für den Senatsbeschluss im März war ein verfassungsrechtliches Gutachten, das die SPD-Fraktion in Auftrag gegeben hat. Dieses Gutachten haben wir sorgfältig geprüft und wir halten es für tragfähig. Mit der Föderalismusreform von 2006 und der Überführung des Wohnungswesens vom Bund auf die Länder besteht demnach die Möglichkeit, dass die Länder Regelungen erlassen können, die auch Miethöhen einschließen.
Einige Genossenschaften laufen Sturm gegen den Mietendeckel, weil sie glauben, dass sie dann Modernisierung und Neubauten nicht mehr stemmen können.
Natürlich müssen wir mit dem Problem drohender Unwirtschaftlichkeit bei vergleichsweise niedrigen und moderaten Mieten vernünftig umgehen. Dazu werden wir auch eine Lösung finden. Zudem werden wir die Bauträger, die in diesem Segment Wohnungen bauen wollen, künftig noch besser unterstützen – durch die Bereitstellung von Grundstücken und die Ausweitung der Wohnraumförderung.
Vermieter drohen in Zukunft vermehrt normale Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln.
Auch das halte ich für eine reflexartige Reaktion. Der neuste Immobilienmarktbericht zeigt, dass die Zahl der Umwandlungen in letzter Zeit stetig abgenommen hat. Wenn wir bestimmten Geschäftsmodellen die Attraktivität entziehen, haben wir schon etwas Wesentliches erreicht.
Höhere Mieten haben auch eine Lenkungswirkung. Inzwischen ziehen jüngere Leute oft lieber nach Leipzig als nach Berlin, weil dort die Mieten günstiger sind. Wenn die Mieten niedrig bleiben, bleibt der Zuwachs an Einwohnern in Berlin auf demselben Niveau oder wird sogar höher.
Berlin erlebt seit zehn Jahren einen sehr dynamischen Bevölkerungszuwachs. Jetzt beobachten wir ein leicht abgeschwächtes Wachstum. Dennoch: Die Attraktivität Berlins ist ungebrochen. Deshalb gehe ich davon aus, dass Berlin auch in Zukunft eine sehr attraktive Stadt sein wird mit hoffentlich tragbaren Miethöhen. Dass andere Städte auch attraktiver werden, ist aus meiner Sicht kein Nachteil.
Sie erleichtern es mit niedrigen Mieten auch – solche Fälle kenne ich aus meinem Bekanntenkreis – etwa Londonern, ihre Eigentumswohnungen dort zu vermieten oder zu verkaufen und mit dem eingenommenen Geld billig in Berlin zu wohnen.
Bisher waren die niedrigen Lebenshaltungs- und Wohnkosten der Motor für die Anziehungskraft Berlins, für kreative und junge Leute. Was soll daran schlecht sein, wenn man versucht, diese Anziehungskraft aufrechtzuerhalten gegen einen Markttrend, der eine ganz andere Entwicklung vorprogrammiert?
Sie müssten höhere Neubauzahlen einplanen, wenn wegen des Mietendeckels die Lenkungswirkung höherer Mieten wegfällt – oder wenn Investoren abspringen, weil sie woanders mehr Geld verdienen können.
Dass wir in der Stadt Potenziale für zusätzlichen Wohnungsneubau haben, steht außer Frage. Dass wir unsere Prozesse optimieren müssen, um schneller zu Genehmigungen und Bauplänen zu kommen, ist auch klar. Und wenn weniger private Investoren bauen sollten – was ich noch nicht sehe, weil Neubau explizit vom Mietendeckel ausgenommen ist –, müssten wir andere gemeinwohlorientierte Bauherren stärken.
Müssen Sie das jetzt nicht schon einpreisen? Wenn Sie die Entwicklung abwarten, vergrößert sich die Neubaulücke und das Thema fliegt Ihnen im Wahlkampf 2021 um die Ohren.
Stadtplanung ist ein langfristiger Prozess. Wir fokussieren uns schon seit längerer Zeit auf den Neubau: Seit 2014 gibt es wieder eine Wohnungsbauförderung. Es gibt eine mit den städtischen Gesellschaften vereinbarte Roadmap. Es gibt Vereinbarungen mit den Bezirken. Wir haben vor einem knappen Jahr ein Programm zur Beschleunigung des Wohnungsbaus beschlossen. Das wird alles mit großer Energie und Zielstrebigkeit umgesetzt.
Der Senat hat beschlossen, bis 2021 jährlich 6.000 landeseigene Wohnungen zu bauen. Die Investitionsbank IBB sagt, pro Jahr bräuchte Berlin 20.000 neue Wohnungen. Viele in der Linkspartei haben Wien als Vorbild, wo 60 Prozent öffentlicher oder öffentlich geförderter Wohnungsbau sind. Da sind Sie noch deutlich drunter – 6.000 von 20.000 ist nicht mal ein Drittel.
Laut einer gerade veröffentlichten Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat Berlin in den vergangenen drei Jahren nur 73 Prozent des Bedarfs an Wohnungen gebaut. Andere Großstädte schneiden noch schlechter ab: So waren es in München nur 67 Prozent, in Stuttgart 56 Prozent, in Köln 46. Laut IW werden 2019 und 2020 insgesamt 342.000 neue Wohnungen in Deutschland benötigt.
In Berlin will der rot-rot-grüne Senat nach koalitionsinternem Streit in den nächsten Wochen den neuen Stadtentwicklungsplan Wohnen beschließen. Hintergrund des Koalitionskrachs: SPD-Vertreter gehen von noch höheren Zuwachszahlen für Berlins Bevölkerung aus als bisher berechnet - womit auch mehr gebaut werden müsste.
Ein altes Streitthema in Berlin ist auch die Bebauung des Tempelhofer Feldes, die per Volksentscheid ausgeschlossen wurde. Dennoch prescht die SPD immer wieder mit neuen Vorstößen dazu vor.
Wir brauchen neben städtischen auch weitere gemeinwohlorientierte Bauträger, weil städtische Wohnungsbaugesellschaften den notwendigen Wohnungsbau für die Entwicklung dieser Stadt auf keinen Fall alleine stemmen können. Bei dem Neubauziel sollen die städtischen Gesellschaften schon deutlich mehr bauen, als ihr Anteil am Wohnungssektor derzeit mit 17 Prozent beträgt.
Unser Ziel ist, in der gesamten Legislatur 30.000 Wohnungen durch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften zu errichten. Wir werden in diesem Jahr um die 5.000 Fertigstellungen erreichen; die höchste Fertigstellungszahl in dieser Legislatur liegt im Jahr 2021. Bauvorhaben muss man entsprechend vorbereiten, und die Pipeline von Projekten für die Zukunft ist jetzt schon gut gefüllt.
Wenn das alles so gut läuft: Wie kommt Ihr Ruf als Bauverhinderungssenatorin zustande, den Sie bei politischen Gegnern haben?
Es gibt eine interessengeleitete Verstärkung von Vorurteilen. Die Fakten erklären es nicht. Deshalb lese ich solche Vorwürfe inzwischen mit einer gewissen Gelassenheit.
In Berlin kämpft mit der Unterstützung Ihrer Partei ein Bündnis für die Enteignung der Deutschen Wohnen und anderer Wohnungskonzerne. Wozu braucht es noch die Enteignung, wenn die Mieten doch schon gedeckelt sind?
Das Volksbegehren will auf provokante Weise die Sozialpflichtigkeit des Eigentums sicherstellen. Gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes unterliegt Eigentum einer Gemeinwohlverpflichtung. Artikel 15 ermöglicht die Vergesellschaftung für den Fall, dass dies nicht gegeben ist.
Ich sehe in dieser Initiative die Aufforderung an die Politik, dafür zu sorgen, dass große Wohnungseigentümer mit diesem Eigentum im Sinne des Wohls der Allgemeinheit umgehen. Dass unser Mietendeckel dazu führt, dass eine solche Diskussion verebbt, glaube ich nicht. Mit den Mechanismen der kapitalmarktorientierten Wohnungseigentümer werden wir es trotz Mietendeckel weiterhin zu tun haben.
Ihre Partei war 2004 beteiligt, als die landeseigene GSW privatisiert wurde. Die Wohnungen gehören heute der Deutschen Wohnen, die die Linke nun enteignen will. Ist das ein Umgang mit Eigentumsrechten je nach Zeitgeist?
Die Linke hat heute eine selbstkritische Position zum Umgang mit kommunalem Wohneigentum in diesen Haushaltskrisenjahren. Damals haben sich alle Parteien, egal ob in der Regierung oder in der Opposition, mit Privatisierungsvorschlägen überboten. Wir haben inzwischen gelernt, dass man den öffentlichen Einfluss im Wohnungssektor auf keinen Fall verkleinern darf.
Wir haben heute eine breite gesellschaftliche Mehrheit dafür, einerseits den städtischen Wohnungsbestand auszuweiten, andererseits vor allem gemeinwohlorientierte Bauträger zu privilegieren. Wir wissen, dass wir ohne diesen öffentlichen Einfluss das Wesen unserer Stadt nicht erhalten können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag