Entwaffnung der Hisbollah im Libanon: Entscheidung vertagt
Libanons Kabinett wollte am Dienstag über die Entwaffnung der Hisbollah entscheiden. Doch der endgültige Beschluss wurde vertagt.

Doch stattdessen gab das Kabinett bekannt, dass die Debatte vertagt wird. Berichten zufolge soll die Entwaffnung der erste Punkt auf der Tagesordnung gewesen sein – der aber nach hinten verschoben wurde. Ministerpräsident Nawaf Salam gab am Abend bekannt, dass sich die Minister*innen am Donnerstag erneut zum Thema treffen werden.
Immerhin: „Wir haben beschlossen, die Diskussionen über das von den USA vorgelegte Dokument fortzusetzen und die libanesische Armee zu beauftragen, bis Ende des Jahres einen Plan für ein Waffenmonopol auszuarbeiten und ihn dem Kabinett vor Ende dieses Monats vorzulegen“, sagte er. Kurz vor der Vertagung sollen laut lokalen Medien zwei von vier Vertretern der Hisbollah – Umweltministerin Tamara Elzein und Gesundheitsminister Rakan Nassereddine – den Raum verlassen haben.
Die Hisbollah ist so geschwächt wie noch nie
Im Vorfeld der Sitzung war der Libanon unter Spannung: Taxifahrer diskutierten mit ihren Passagieren, ob die Hisbollah sich wehren und einen neuen Bürgerkrieg anstacheln würde. Die Zeitung L'Orient-Le Jour fragte, ob die Hisbollah, wie bereits am 7. Mai 2008, die Beiruter Innenstadt besetzen würde. Menschen in Südbeirut packten ihre Taschen und übernachteten außerhalb – sie hatten Angst, dass Israel seine täglichen Angriffe wieder auf die mehrheitlich schiitischen Viertel ausweitet, falls keine Entscheidung fällt.
Hisbollah-Vertreter hatten in den vergangenen Tagen gedroht, ihre Macht erneut zu demonstrieren, sollten sie genötigt werden, alle Waffen abzugeben. Ein ähnliches Szenario gab es im Mai 2008: Damals entschied die Regierung unter Fouad Siniora, das Telekommunikationssystem der Hisbollah zu zerstören. Daraufhin stürmte die Gruppe bewaffnet mehrheitlich sunnitische Viertel im Westen Beiruts.
Es war das erste Mal seit dem libanesischen Bürgerkrieg (1975–1990), dass die Hisbollah ihre Waffen im eigenen Land genutzt hatte. Damals hatte der 2024 durch Israel getötete Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah gesagt, er lehne eine starke libanesische Armee nicht ab – aber an der Seite des „Widerstands“, also der Hisbollah-Kämpfer.
Heute ist die Hisbollah so geschwächt wie noch nie. Die israelische Armee hat die komplette Hisbollah-Führungsriege, viele ihrer Kämpfer oder Mitglieder getötet sowie Waffenarsenale zerstört. Hinzu kommt: Sie ist weitestgehend isoliert. Geldgeber Iran hat gezeigt, dass iranisches Militär nicht zur Seite springt. Mit dem Sturz des Assad-Regimes sind die Landwege für Waffenschmuggel gekappt.
Hisbollah lehnt Abgabe der Waffen nicht grundsätzlich ab
Wenige Stunden vor der Kabinettsitzung traf sich eine Hisbollah-Delegation mit Präsident Joseph Aoun und dem Chef der christlichen Freien Patriotischen Bewegung (FPM), Gebran Bassil, um ihre Forderungen zu erörtern: den israelischen Rückzug von fünf militärisch besetzten Punkten aus dem Südlibanon, die Rückkehr libanesischer Gefangener aus israelischen Gefängnissen und finanzielle Hilfen für den Wiederaufbau kriegszerstörter Gebiete.
Während das Kabinett noch tagte, sprach Hisbollah-Chef Naim Qassem im Fernsehen. Er wehrte sich gegen einen „Zeitplan“ zur Entwaffnung, solange die israelische Aggression gegen das Land anhalte. Qassem drohte Israel erstmals seit Monaten wieder mit Raketenattacken und kritisierte den libanesischen Staat für sein mangelndes Verteidigungskonzept.
Wegen ihrer extrem geschwächten Position lehnt die Partei der Hisbollah sowohl eine Debatte über das staatliche Waffenmonopol als auch die Abgabe ihrer Waffen nicht grundsätzlich ab. Die Miliz kooperiert bereits mit der libanesischen Armee, die im Süden Waffenarsenale räumt und Stützpunkte übernimmt. Qassem macht aber die Abgabe aller Waffen davon abhängig, dass Israel sich zuvor aus dem Südlibanon zurückzieht, die fast täglichen Angriffe einstellt, Gefangene freilässt und Garantien gibt, nicht weiter anzugreifen.
Kurz nach Qassems Rede bombardierte die israelische Armee ein fahrendes Auto in der Nähe von Baalbeck. Der Fahrer, dessen Identität bisher unbekannt ist, wurde getötet.
Das Kabinett wiederum konnte zumindest eine Entscheidung verkünden: Eine Straße, benannt nach dem syrischen Ex-Diktator Hafiz al-Assad, soll nach dem kürzlich verstorbenen Komponisten und Autor Ziad Rahbani umbenannt werden. Rahbani, der die Gesellschaft mit beißender Satire abzubilden wusste, hätte das Spektakel sicher gefallen.
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