Entsorgung auf Kosten der Umwelt: Schiffe landen auf der Müllkippe
23 Schiffe deutscher Reeder sind im vergangenen Jahr unter katastrophalen Bedingungen in Ostasien abgewrackt worden.
HAMBURG taz | Jetzt ist die „Northern Vitality“ doch noch in den indischen Sand gesetzt worden. Wie die Brüsseler Shipbreaking Platform, ein Zusammenschluss von Umwelt- und Menschenrechtsgruppen mitteilte, ist das Schiff der Norddeutschen Vermögen Holding mit Sitz in Hamburg im südindischen Alang auf einem Abwrackplatz gestrandet. Dort werden die Schiffe unter Missachtung von Umweltschutz und Arbeitsschutzstandards zerlegt. Eine EU-Verordnung, die das verhindern soll, erweist sich als zahnlos.
Die „Northern Vitality“ hatte vor gut drei Jahren für Schlagzeilen gesorgt, weil sie in Wilhelmshaven an die Kette gelegt worden war. Die Norddeutsche Reederei H. Schuldt aus Hamburg, eine Tochterfirma der Norddeutschen Vermögen, hatte vor, das Schiff an einen Zwischenhändler zu verkaufen. Aus der EU heraus sind solche Verkäufe jedoch verboten. Das niedersächsische Umweltministerium schritt ein. „Es besteht der Verdacht der illegalen Abfallentsorgung“, teilte das Ministerium damals mit.
Das Schiff durfte schließlich weiterfahren unter der Versicherung, dass es im bulgarischen Varna repariert und weiter in Dienst gehalten werde. Jetzt ist es doch auf einem indischen Abwrackplatz gelandet.
Direkt am Meer zerlegen Arbeiter mit Schweißbrennern dort Schiffsrümpfe. Kaum geschützt holen sie Öl, Farben, Asbest und Schwermetalle aus den stillgelegten Ozeanriesen. Das Zeug vergiftet das Meer und die Arbeiter. Schwere Unfälle sind häufig: Allein in Bangladesch sind nach Angaben der Shipbreaking Platform im vergangenen Jahr 16 Arbeiter durch Explosionen und Stürze umgekommen. 22 weitere wurden schwer verletzt.
Rund 80 Prozent aller Schiffe werden nach Angaben des Verbandes Deutscher Reeder in Indien, Pakistan und Bangladesch recycelt. Bis auf wenige Reststoffe wird dabei fast alles wiederverwendet.
Im vergangenen Jahr wurden 768 große seetüchtige Schiffe zur Verschrottung verkauft. Nach Angaben des Initiativenbündnisses Shipbreaking Platform gingen 469 davon in die drei asiatischen Länder.
Die meisten europäischen Schiffe verschrotteten griechische und deutsche Eigner: 76 von 87 griechischen Schiffen wurden auf den Sand gesetzt und 23 von 31 deutschen.
Weltweit verschrottete China die meisten Schiffe, fast zwei Drittel davon zuhause.
Die Shipbreaking Platform vermutet, dass die Norddeutsche Vermögen das Schiff an eine Gesellschaft verkauft hat, die es nur zum Abwracken erwarb. Einige Kleinstaaten wie St. Kitts oder die Komoren mit schwachen Regularien bieten den Eignern gerade für solche Fahrten zum Schrottplatz ihre Flagge zum Schleuderpreis an. „Jedenfalls ist die ‚Northern Vitality‘ ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Schiffseigner das Gesetz zu umgehen versuchen“, so die Plattform.
Die EU hat 2013 eine Verordnung erlassen, nach der Schiffe, die unter einer EU-Flagge fahren nur in einer von der EU-Kommission genehmigten Einrichtungen recycelt werden dürfen. Diese können auch außerhalb der EU liegen. Zudem müssen alle Schiffe, die europäische Häfen anlaufen, ein Verzeichnis aller gefährlichen Stoffe mitführen, die sie enthalten. Die Verordnung enthält jedoch ein Schlupfloch: Die zu verschrottenden Schiffe können in Staaten außerhalb der EU verkauft werden. Was dort geschieht, entzieht sich ihrem Zugriff.
Der Verband Deutscher Reeder (VDR) weist darauf hin, dass es seit 2009 das Hongkong-Übereinkommen über sicheres und umweltverträgliches Recycling von Schiffen gebe. Es enthält ebenfalls Qualifizierungskriterien für Recyclingwerften und die Pflicht, eine Schadstoffliste für Schiffe zu erstellen. Bisher haben aber nur wenige Länder die Konvention ratifiziert. Der VDR appelliert an die Bundesregierung, das zu tun. „Ein europäische Insellösung würde die Arbeitsbedingungen in den südasiatischen Recyclingstaaten nicht verbessern“, sagt der VDR.
Der Shipbreaking Platform ist das zu wenig. Die „Northern Vitality“ sei zwar an einer nach dem Hongkonger Übereinkommen zertifizierte Abwrackwerft übergeben worden, sagt Patrizia Heidegger von der Plattform. Das bedeute aber nicht, dass diese Abwrackplätze EU-Umweltschutzstandards erfüllten.
Dass die Reeder eine Wahl haben, zeigt das Beispiel der Hamburger Reederei Hapag Lloyd. Sie hat vor gut einem Jahr beschlossen, ihre Schiffe nach europäischen Standards in China verschrotten zu lassen. Beim ersten Schiff, dass Hapag Lloyd auf diese Weise entsorgte, einem Containerschiff für 3.000 Boxen, musste die Reederei gegenüber einer optimalen Verwertung auf Einnahmen von zwei Millionen Dollar verzichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken