piwik no script img

Entscheidungen des VerfassungsgerichtsKein AfD-Recht auf Bundestags-Vize

Schon sieben Mal scheiterte die AfD mit Kandidaturen für das Amt der Bundestags-Vizepräsident:in. Auch das Verfassungsgericht will nicht helfen.

„Offensichtlich unbegründet“, Bundesverfassungsgericht lehnt AfD-Klagen zu Bundestagsvize ab Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

Karlsruhe taz | Die AfD hat keinen Anspruch auf eine eigene Vi­ze­prä­si­den­t:in im Bundestag. Das Bundesverfassungsgericht lehnte jetzt eine Organklage der AfD-Fraktion ab. Auch ein Geschäftsordnungs-Trick der AfD sei rechtmäßig verhindert worden, urteilte das Gericht in einer zweiten Entscheidung.

Seit 2017 sitzt die AfD im Bundestag. Doch noch nie konnte sie eine Vi­ze­prä­si­den­t:in stellen. Dabei heißt es in der Geschäftsordnung des Bundestags seit 1994: „Jede Fraktion ist durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten.“

Trotzdem sind bisher alle Kan­di­da­t:in­nen der AfD im Plenum des Bundestags nicht gewählt worden. In der vorigen Wahlperiode scheiterte die AfD sechs Mal. Nach der Bundestagswahl 2021 wurde auch der AfD-Abgeordnete Michael Kaufmann nicht als Vizepräsident gewählt.

Schon in der letzten Wahlperiode hatte die AfD per Organklage verlangt, der Bundestag solle durch geeignete Verfahrensregeln sicherstellen, dass auch ein AfD-Kandidat gewählt wird. Konkrete Vorschläge machte sie nicht. Der Eilantrag der AfD scheiterte schon im Sommer 2021, vor allem weil die AfD ihn viel zu spät gestellt hatte.

Nun hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die AfD-Klage auch in der Hauptsache als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Die Fraktion habe keinen Anspruch darauf, dass die anderen Fraktionen ihre Kan­di­da­t:in­nen wählen. „Der verfassungsrechtliche Schutz der Minderheit geht nicht dahin, diese vor Sachentscheidungen der Mehrheit und den Ergebnissen freier Wahlen zu bewahren“, heißt es in dem Beschluss.

Überraschender Zeitpunkt

Auch das Recht auf „effektive Opposition“ sei nicht verletzt, so die Richter:innen. Die Bundestagspräsidentin und ihre Stell­ver­tre­te­r:in­nen seien zur unparteiischen Amtsführung verpflichtet, etwa bei der Leitung der Sitzungen. Das schließe ein „Opponieren aus dem Amt heraus“ aus.

Die Entscheidung des Gerichts wurde an diesem Dienstag völlig überraschend veröffentlicht. Eigentlich sollte nur ein Nebenaspekt des Verfahrens geklärt werden: Der AfD-Abgeordnete Fabian Jacobi hatte 2019 einen Fraktionskollegen als Vizepräsidenten vorgeschlagen und wollte so die Mehrheit des Bundestags überlisten. Im 3. Wahlgang ist nämlich nur dann eine absolute Mehrheit der Stimmen erforderlich, wenn es lediglich einen Kandidaten gibt. Bei zwei Kan­di­da­t:in­nen genügt die einfache Mehrheit, also auch bei der geplanten Wahl des Jacobi-Kandidaten gegen den eigentlichen AfD-Kandidaten.

Doch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, die damals die Sitzung leitete, ließ Jacobis Antrag nicht zu. Dagegen klagte Jacobi in Karlsruhe. Auch er hatte keinen Erfolg.

Es sei vertretbar, die Geschäftsordnung des Bundestags so auszulegen, dass nur Fraktionen eine Vi­ze­prä­si­den­t:in vorschlagen können. Schließlich gehe es bei dem in der Geschäftsordnung zugesicherten Vize-Posten darum, alle Fraktionen in die Leitungsaufgaben einzubinden, um so Konflikte zu verhindern. Die Begründung der Rich­te­r:in­nen wirkt allerdings etwas seltsam angesichts der Tatsache, dass die AfD-Kandidat:innen ja seit fünf Jahren allesamt abgelehnt wurden und die Fraktion damit gerade nicht eingebunden wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Seit einiger Zeit, genauer gesagt seit Voßkuhle als Präsident ausgeschieden ist, werden die Urteile des BuVerfG immer seltsamer.



    Nirgendwo, weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung des Bundestages steht, daß nur Fraktionen Wahlvorschläge für das Amt eines Vizepräsidenten machen dürfen.



    Insoweit hat das Gericht nicht das geschriebene Recht ausgelegt, sondern, ohne dazu befugt zu sein, eine eigene Rechtsetzung vorgenommen. Nur dadurch konnte das Fehlverhalten der seinerzeitigen Versammlungsleiterin nachträglich legitimiert werden.



    Grundsätzlich zeigt der ganze Vorgang ein seltsames Demokratieverständnis.



    Minderheitenrechte, die davon abhängig sind, daß die Mehrheit diese auch gewährt, sind keine Minderheitenrechte.



    Mit der gleichen Logik könnte man auch ein Zustimmungsquorum von 100 Prozent bei der Wahl von Bundeskanzler oder Bundespräsident einführen, denn diese sollen in ihrer Amtsführung ja das GANZE Volk vertreten und nicht nur eine knappe Mehrheit.

  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Das Unbehagen von Parlamentariern anderer Parteien, einem AfD-Mitglied die Stimme zu geben, mag verständlich sein, sonderlich klug ist es allerdings nicht, deswegen eine allgemeine Gepflogenheit über Bord zu werfen. Und es zeugt auch nicht von Reife.



    Differenzen werden in Parlamenten mit Argumenten ausgetragen und nicht durch formale Ausgrenzung, sonst ist die ganze Einrichtung überflüssig.

    Im Grunde kann die AfD das ganze Theater eher als Erfolg für sich verbuchen. Solange sie im Parlament sitzt, wird sie die anderen Parteien immer wieder mit eigenen Kandidaten triezen und das ganze medial für sich ausschlachten.

  • OK, ausserdem gibt es doch schon gefühlt ein Dutzend Vizepräsidenten innen im Bundestag. Naja ist auch das grösste Parlament der Welt, da sagst du nichts

  • Die Argumentation leuchtet ein. Es gibt zwar das Recht einen Kandidaten zu stellen, aber das freie Wahlrecht des Einzelnen bleibt dennoch unantastbar. Das sollte das Thema nun endgültig geklärt haben.

    • @Nobodys Hero:

      Sie haben das Problem nicht komplett erfaßt.



      Die AfD stellt eine gewisse Anzahl an Abgeordneten im Bundestag deshalb, weil eine entsprechende Anzahl an Wahlberechtigten dementsprechend ihr Wahlrecht ausgeübt haben.



      Alle weiteren Ämter im Bundestag sind eigentlich die Folge des Bundestagswahlergebnisses.



      Jetzt dreht man die Geschäftsordnung so, daß die Wahlentscheidung der Bürger keine Rolle mehr spielt, sondern Ämter für Minderheiten von der Zustimmung der Mehrheit abhängig sind.



      Damit wird "das freie Wahlrecht des Einzelnen" ad absurdum geführt.

  • 4G
    47491 (Profil gelöscht)

    "Die Begründung der Rich­te­r:in­nen wirkt allerdings etwas seltsam angesichts der Tatsache, dass die AfD-Kandidat:innen ja seit fünf Jahren allesamt abgelehnt wurden und die Fraktion damit gerade nicht eingebunden wird."

    Was ist daran seltsam, dass die Richter zwei verschiedene Punkte jeweils separat betrachten? Die TAZ verlangt doch auch, dass man die Redaktion von den Aussagen der einzelnen Artikelschreiber trennt. Aber die Verfassungsrichter sollen alles miteinander kombinieren, nur weil es thematisch immer um die gleiche Fraktion geht?

  • Das ist doch mal eine gute Nachricht angesichts der vielen schrecklichen momentan.