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Entscheidung des Landgerichts München IKI darf nicht kostenlos mit Liedtexten trainieren

Es gilt als Piloturteil: KI-Anbieter OpenAI hat mit seinem Chatbot ChatGPT unter anderem die Urheberrechte von Herbert Grönemeyer verletzt.

Auch ein Song von Herbert Grönemeyer war Teil des Rechtsstreits zwischen Gema und ChatGPT Foto: Funke Foto Services/imago
Christian Rath

Aus München

Christian Rath

Songtexte dürfen im KI-gestützten Chatbot ChatGPT nur mit Lizenz genutzt werden, also mit Bezahlung der Urheber. Das entschied das Landgericht München I im europaweit ersten Urteil zu KI-Trainingsdaten. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Geklagt hatte die Verwertungsgesellschaft Gema, die Urheber von Musik aller Art vertritt. Die Gema monierte, dass das Sprachmodell von ChatGPT auch mit urheberrechtlich geschützten Liedtexten trainiert wurde – ohne dafür einen Cent Lizenzgebühren zu bezahlen. Exemplarisch ging es in der Klage um neun bekannte deutsche Liedtexte, von „Über den Wolken“ (Reinhard Mey) über „Bochum“ (Herbert Grönemeyer) bis „Wie schön, dass du geboren bist“ (Rolf Zuckowski).

Die Klage hatte im Kern Erfolg. OpenAI, der Hersteller von ChatGPT, darf die neun Liedtexte nicht mehr in ChatGPT verwenden, jedenfalls nicht in Version 4 und 4.0 des Chatbots. Außerdem müsse OpenAi der Gema Schadenersatz in noch nicht bezifferter Höhe leisten.

Das Landgericht verzichtete auf eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), weil es den Fall für sehr eindeutig hält. „Wir haben keinerlei Zweifel an unserer Lösung“, sagte Elke Schwager, die selbstbewusste Vorsitzende Richterin.

OpenAI bestritt Speicherung der Liedtexte

Konkret ging es um Rechtsverletzungen auf zwei Ebenen. Schon beim Training des Sprachmodells finde notwendigerweise eine Vervielfältigung des Textes statt. Ganz offensichtlich werde der Text aber vervielfältigt, wenn er auf Anfrage eines Nutzers ausgegeben wird.

OpenAI bestritt zwar, dass die Liedtexte im Sprachmodell gespeichert seien. ChatGPT sei schließlich keine Datenbank, sondern eine künstliche Intelligenz. Der Nachweis der Vervielfältigung war aber ganz einfach. Auf den Prompt „Gib mir den Liedtext von ‚Bochum‘“ spuckte ChatGPT das Erfragte aus. Da hierbei die Online-Suche abgestellt war, musste der Text in den Tiefen des Sprachmodells vorhanden gewesen sein.

Auch wenn es bei anderen Texten wie „Über den Wolken“ kleinere Abweichungen gab, blieben die entscheidenden Teile, insbesondere der Refrain, doch unverändert.

„Das kann kein Zufall sein“, sagte Richterin Schwager. Vielmehr sei in der Fachliteratur schon seit 2021 bekannt, dass Sprachmodelle beim Training Texte „memorisieren“, sie sich also merken. Nun ist dieser Memory-Effekt auch gerichtlich festgestellt.

Ein zweiter großer Streitpunkt vor Gericht war die Data-Mining-Schranke. Seit 2021 dürfen Texte kostenlos analysiert werden, um dabei „Muster, Trends und Korrelationen“ zu erkennen, so die Formulierung in Paragraf 44b des Urheberrechtsgesetzes, der auf entsprechendes EU-Recht zurückgeht. Das Landgericht entschied, dass dieser Rechtfertigungsgrund auch für das Training von KI-Daten gilt. „Auch Liedtexte dürfen also danach untersucht werden, wie oft bestimmte Wörter auftauchen, welcher Sprachrhythmus benutzt wird“, so Schwager.

Die Datamining-Schranke erlaube aber nicht, das ganze Werk komplett zu vervielfältigen, betonte die Richterin. Der EU-Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass immer dann, wenn die Verwertungsinteressen der Urheber betroffen sind, eine kostenpflichtige Lizenz erworben werden muss.

Wenn Sie etwas Neues bauen und dafür etwas brauchen, dann müssen Sie das erwerben und können nicht einfach fremdes Eigentum nehmen. Das muss man doch wissen.

Elke Schwager, Vorsitzende Richterin

Die Richterin wandte sich dann an den Vertreter von OpenAI: „Sie sind so intelligente Menschen und bauen so hochkomplexe Maschinen. Aber wenn Sie etwas Neues bauen und dafür etwas brauchen, dann müssen Sie das erwerben und können nicht einfach fremdes Eigentum nehmen. Das muss man doch wissen.“ Die Liedtexte seien jedenfalls „geschütztes geistiges Eigentum“.

OpenAI muss es nun also unterlassen, ganze Songtexte auszugeben und ganze Songtexte im Sprachmodell zu speichern. Letzteres ist schwierig zu unterlassen, weil ChatGPT ja keine Anweisung hat, sich Texte zu merken, es aber dennoch tut. So gesehen, dürften die ChatGPT-Versionen 4 und 4.0 gar nicht mehr genutzt werden.

Es gilt aber als sicher, dass OpenAI Rechtsmittel einlegt, zunächst vor das Oberlandesgericht München, dann vor den Bundesgerichtshof zieht. OpenAI verweist auch gerne darauf, dass ChatGPT inzwischen gar keine vollständigen Songtexte mehr wiedergebe, insbesondere in der neuen Version 5. Auch seien beim Training der neuen Version keine Songtexte vervielfältigt worden. Hierzu wird es möglicherweise bald einen neuen Rechtsstreit geben, wobei der Beweis deutlich schwerer wird, dass auch bei Version 5 Songtexte als Trainingsdaten benutzt wurden, wenn die Songtexte nicht mehr ausgegeben werden.

Für Gema-Chefjustiziar Kai Welp kommt es nicht darauf an, OpenAI und andere KI-Anbieter zur Unterlassung zu zwingen. „Wir wollen vielmehr in Verhandlungen treten.“ Die Gema hat im Vorjahr schon einen neuen Tarif für KI-Trainingsdaten eingerichtet. Bisher nutze ihn aber noch niemand, so Welp. „Erst muss wohl die Rechtslage geklärt sein.“

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