Entlastung für Krankenhauspflegekräfte: Immer noch zu oft am Limit
Vivantes setzt den Tarifvertrag zur Entlastung der Pflegekräfte nur zögerlich um, klagt Verdi. Bei der Charité klappt es schon etwas besser.
Eine Delegation der Vivantes-Beschäftigten übergab daher am Mittwoch eine Petition mit 850 Unterschriften an Gesundheitssenatorin Ulrike Gote und Finanzsenator Daniel Wesener (beide Grüne), die zur Aufsichtsratssitzung bei Vivantes waren. Die Beschäftigten fordern mehr Druck des Senats, damit beide landeseigenen Konzerne die bundesweit beachteten Tarifverträge umsetzen. Gote blieb jedoch auf taz-Anfrage zurückhaltend: „Ich bin sicher, dass die Tarifpartner auch bei Vivantes eine gute Lösung zur konkreten Umsetzung der Tarifverträge finden.“
Tatsächlich könnten diese in Zukunft einiges an der desolaten Situation in den Krankenhäusern verbessern, wie erste Erfahrungen bei der Charité hoffen lassen. Mareen Höwler, examinierte Pflegerin auf einer Intensivstation der Charité, berichtet der taz, auf ihrer Station gebe es schon eine spürbare Entlastung. Zwar müsse sie noch immer „sehr häufig in belasteten Schichten arbeiten“ – also in solchen, in denen sie mehr Patient*innen betreuen muss, als laut Tarifvertrag erlaubt ist.
Aber sie habe sich dafür seit Januar auch schon zwei zusätzliche Urlaubstage „erarbeitet“ – für fünf „belastete Schichten“ gibt es an der Charité einen Tag Urlaub mehr. Zudem sei es ein großer Fortschritt, dass die Überlastung überhaupt gemessen wird. Dies geschieht mit einer Dienstplansoftware, die pro Schicht die Bettenbelegung und Zahl der Pflegekräfte registriert. „Vielen Kolleg*innen geht es ja vor allem darum, dass ihre Überlastung anerkannt wird“, sagt Höwler.
10 Pflegekräfte auf 17 Patient*innen
Laut Entlastungstarifvertrag gibt es nun für jede Station eine festgelegte Mindestpersonalausstattung. Auf Höwlers Intensivstation beträgt der Pflegekraft-Patient*innen-Schlüssel zum Beispiel 1:1,7. Heißt: Für 17 Patient*innen müssen mindestens zehn Pflegekräfte in der Schicht eingeteilt sein. Geht dies nicht, müssen Betten gesperrt werden. Geht dies auch nicht, bekommen Kolleg*innen den erwähnten Freizeitausgleich oder mehr Geld am Jahresende – oder können für ein Sabbatical Zeit ansparen.
Dass dieses System bei Vivantes noch nicht funktioniert, sei nicht dem Unwillen geschuldet, den Tarifvertrag umzusetzen, erklärt Christoph Lang, Leiter Konzernkommunikation. Nach seiner Schilderung liegt es vor allem am Betriebsrat, dass die Erweiterung der Dienstplanungssoftware sowie die Eingruppierung beim neuen Tarifvertrag „Töchter“ nicht so schnell vorangehe, wie man sich dies wünsche. Dennoch komme man „Schritt für Schritt“ voran: Im Mai, teils auch erst im Juni, würden die Mitarbeitenden der „Töchter“ ihre höheren Löhne bekommen.
Für die Pfleger*innen gebe es seit 1. April eine Übergangslösung mit einem halben freien Tag pro 10 Schichten. „Vivantes hat ein großes Interesse daran, dass die Verbesserungen so schnell wie möglich vollständig bei unseren Beschäftigten ankommen“, versichert Lang.
Manzey erwidert, es sei offenkundig, dass Vivantes sich mit der Umsetzung viel Zeit lasse. Viele Informationen, die der Betriebsrat brauche, gebe die Geschäftsführung nur zögerlich heraus. Auch habe man monatelang Zeit gehabt, die Umstellung der Software vorzubereiten: „Bei der Charité klappt es ja auch.“
Mareen Höwler, Pflegekraft
Ganz reibungslos läuft es mit dem neuen Tarifvertrag dort übrigens auch nicht. Sowohl Manzey als auch Höwler berichten von „Reibungen“ mit der Charité-Leitung, welches Personal in die Überlastungssoftware eingerechnet wird. So würde die Geschäftsführung etwa Stationsleitungen, die im Büro und nicht „am Bett“ arbeiten, einbeziehen – obwohl sie zur Entlastung der Pfleger*innen gar nichts beitragen. Solche Auseinandersetzungen würden die Umsetzung der Tarifverträge wohl weiterhin begleiten, sagt Manzey. Schließlich seien die Verträge sehr kompliziert und ließen „viel Interpretationsspielraum“.
Dennoch bleibt Höwler optimistisch, was das Ziel des Tarifvertrags angeht: Durch spürbare Arbeitsentlastung den Pflegeberuf attraktiver zu machen und wieder mehr Personal zu finden, das in Berlins Krankenhäusern arbeiten möchte. „Meine Freunde, die auch in der Pflege arbeiten, finden das schon cool, was wir erreicht haben.“
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