Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher: „Die Eskalation zeichnete sich ab“
Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher wurde während der Sitzung des Bundesrats entlassen. Ein Gespräch über die Klinikreform und ihren Konflikt mit Dietmar Woidke.
taz: Frau Nonnemacher, was für ein Krimi! Unmittelbar vor der Abstimmung im Bundesrat zur großen Krankenhausreform hat Sie Ihr Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) auf den Gängen des Bundesrats von allen Aufgaben entbunden. Wie überraschend kam das?
Ursula Nonnemacher: Diese Eskalation zeichnete sich ab. Ich hatte vor der Sitzung erfahren, dass der Ministerpräsident auf jeden Fall beabsichtigt, für die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu stimmen, also das Gesetz zu blockieren. Obwohl er genau wusste, dass ich als Fachpolitikerin dagegen bin. Üblich wäre in diesem Fall eine Enthaltung Brandenburgs gewesen. Also habe ich mich entschieden, in den Bundesrat zu fahren, ich bin als Gesundheitsministerin ja Mitglied des Bundesrats, und vor Ort eine Rede zu halten, warum ich mich gegen einen Vermittlungsausschuss ausspreche.
war von 2019 bis 2024 Gesundheitsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin von Brandenburg.
Sie hatten sich im Vorfeld aber selbst mehrfach kritisch über die Reform geäußert.
Ich habe dieses Gesetz seit zwei Jahren mitverhandelt, ich war bei jeder Bund-Länder-Runde und jedem Treffen im Bundesgesundheitsministerium. Diese Reform ist nicht perfekt. Aber wir haben in den letzten Monaten für Brandenburg noch erhebliche Verbesserungen aushandeln können, die sich auch in dem Gesetz wiederfinden. Unter Abwägung aller Aspekte hielt ich es aus fachlicher Sicht für nicht im Landesinteresse, dieses Gesetz zu versenken. Eine Überweisung in den Vermittlungsausschuss hätte angesichts des Ampel-Bruchs das Ende bedeutet. Eine Reform ist aber dringend notwendig.
Das heißt, wenn Sie am Freitag im Bundesrat hätten bleiben können, dann wären Sie bei der Abstimmung aufgesprungen und hätten gesagt „Das trage ich nicht mit“?
Ja, ich hätte der Präsidentin des Bundesrates angezeigt, dass ich für Enthaltung stimme. Damit wäre der Dissens öffentlich gewesen und die Stimmen ungültig geworden.
Ministerpräsident Woidke erklärte nach der Sitzung, er habe es nicht hinnehmen können, dass eine Ministerin gegen die vorherrschende Meinung in Brandenburg stimmt. Alle Akteur*innen des Landes seien für einen Vermittlungsausschuss gewesen.
Herr Woidke hat am Mittwoch einen Krankenhausgipfel mit Klinikträgern und Kommunalpolitikern veranstaltet. Ich war da auch anwesend und habe die Sicht der Fachebene dargelegt. Es gab tatsächlich viele Stimmen, die gesagt haben, ruft den Vermittlungsausschuss an! Eine klare, ungebrochene Haltung habe ich aber nicht wahrgenommen. Die Kommunalpolitiker und die Kliniken stehen sehr unter Druck und viele waren von der Hoffnung geleitet, dass man im Vermittlungsausschuss noch Verbesserungen und Milliarden für eine Übergangsfinanzierung aushandeln kann.
Daran glaubten Sie nicht?
Auch ich hätte mir gewünscht, es gäbe eine rückwirkende Erstattung der gestiegenen Betriebskosten, eine Überbrückungsfinanzierung, bis die Reform greift und eine echte Beteiligung des Bundes an den Transformationskosten. Aber man muss doch mal realistisch sein: Die Ampel ist gerade unter anderem deshalb gecrasht, weil ein Haushaltsloch von 19 Milliarden Euro nicht zu stopfen ist! Selbst eine neue Bundesregierung kann nicht plötzlich zusätzliche Milliarden regnen lassen. Die Herausforderungen werden doch gigantisch. Die gesetzlichen Krankenkassen stehen mit dem Rücken zur Wand, die Pflegeversicherung muss anders aufgestellt werden, die ganzen Sozialversicherungssysteme stehen unter Druck. Zu glauben, man würde durch ein Verschleppen dieser Reform mehr Geld rauskriegen, halte ich für fahrlässig.
Lieber eine schlechte Reform als gar keine?
Wir hätten möglicherweise anderthalb Jahre im Reformprozess verloren, die Ungewissheit der Krankenhäuser hätte weiter fortbestanden. Sie hätten weiterhin nicht gewusst, in welche Richtung sie umbauen sollen. Und wir hätten die guten Dinge verloren, die in dem Gesetz drin sind: voller Ausgleich von Tarifsteigerungen, Zuschläge für bestimmte Leistungsbereiche und so weiter. Weitere Details müssen auch noch ausgehandelt werden, dafür werden in den nächsten Wochen noch Rechtsverordnungen erlassen, die zustimmungspflichtig sind. Solche großen Reformen sind immer schwierig, sie wurden in Deutschland seit Jahren boykottiert. Da muss man mal jetzt endlich mal einsteigen, auch wenn nicht alles optimal ist.
Teilen Sie die Einschätzung anderer Flächenländer, dass die Reform die Kliniken auf dem Land existenziell bedroht?
Dieses Argument höre ich immer wieder. Das ist doch eine völlige Kausalitätsumkehr! Diese Kliniken stehen seit zwei, drei Jahren wirtschaftlich unter massivem Druck. Durch die Reform soll ja gerade versucht werden, eine ungesteuerte Bereinigung des Marktes zu verringern. Es wird auch mit der Reform Insolvenzen geben. Aber es wird eben auch etwas Geld und Strukturveränderungen geben. Und ohne Reform gibt es weder Geld noch Strukturveränderungen. So simpel ist das. Die Insolvenzwelle droht nicht wegen der Krankenhausreform.
Was machen Sie jetzt, nach Ihrer Entlassung?
Ich wäre ja sowieso aus dem Amt geschieden, voraussichtlich am 11. Dezember, wenn Herr Woidke im Landtag erneut zum Ministerpräsidenten gewählt wird.
…mit den Stimmen des BSW. Glauben Sie, das spielte eine Rolle bei ihrer vorzeitigen Entlassung?
Sahra Wagenknecht hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie nichts von der Krankenhausreform hält. Ich bin sicher, dass Herr Woidke seine Wiederwahl nicht gefährden wollte und das zu seinen Motiven gehörte, mich von allen Aufgaben zu entbinden. Ich hatte jedenfalls vor, am 11. Dezember in Würde und mit Stil mein Haus an meine Nachfolgerin oder meinen Nachfolger zu übergeben, mich von all meinen Mitarbeitenden zu verabschieden und danach wäre ich in den Ruhestand gegangen. Jetzt bin ich halt zwei Wochen früher aus meinem Büro ausgezogen.
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