Englands Nationalspieler Harry Kane: Eine ganz falsche Neun
Englands Star Harry Kane kommt bei der EM einfach nicht in Schwung. Gegen Tschechien wird vom besten Torjäger der Premier League viel erwartet.
Harry Kane dürfte gewusst haben, was auf ihn zukommt. Er dürfte die Schlagzeilen schon vor sich gesehen haben, als er unter Buhrufen des Publikums im Wembley-Stadion am Freitag in der 74. Minute ausgewechselt wurde, als es gerade im Spiel gegen Schottland 0:0 stand.
Harry Kane ist sich ja im Klaren darüber, dass er besonders im Fokus steht, dass er der Talisman der englischen Nationalmannschaft ist als Kapitän und etatmäßiger Torjäger – und dass die Hoffnungen der Öffentlichkeit, England vom mittlerweile 55 Jahre langen Warten auf einen Titel zu erlösen, vor allem auf ihm ruhen.
Das Problem ist nur: Bisher läuft die EM an Kane vorbei. Er spielte zweimal schwach, beim 1:0 gegen Kroatien und gegen Schottland, gab jeweils keinen einzigen Torschuss ab und wurde zweimal ausgewechselt.
Vor der letzten Vorrundenpartie an diesem Dienstag gegen Tschechien drehen sich in England deshalb tatsächlich alle Debatten um Kane, 27. „Harry Pain-ful“, wortspielt das Boulevardblatt Sun. Der Kapitän sei „alarmierend aus dem Tritt“, urteilt die Times – und fragt: „Müssen wir über Harry reden?“ Der ehemalige Manchester-United-Kapitän Roy Keane sagt: „Wenn England in diesem Wettbewerb etwas erreichen will, muss der Starspieler Leistung zeigen. Kane ist ein großes Problem.“
Das ist er in der Tat – allerdings nicht, weil er plötzlich das Fußballspielen verlernt hätte, sondern weil er der einzige Unersetzliche ist in dieser Mannschaft von Trainer Gareth Southgate. Das Spiel des jungen Teams ist um Kane herum aufgebaut. Ist er außer Form, gerät der ganze Vortrag der Engländer ins Wanken.
Kein klassischer Torjäger mehr
Kanes Rolle hat sich verändert in der vergangenen Saison bei Tottenham Hotspur. Er ist nicht mehr nur klassischer Torjäger, sondern lässt sich immer wieder zurückfallen, schafft Räume für die Kollegen und legt Tore auf. Wegen dieses Wandels gewann er gerade zum dritten Mal in seiner Karriere den „Golden Boot“, mit dem der beste Torjäger der Premier League geehrt wird, und war zudem erfolgreichster Vorbereiter. Bei der EM aber sucht er noch seinen Platz. „Kane will in der Rolle als Zehner und Neuner glänzen, doch spielt irgendwie keine davon“, schreibt der Guardian. Anstatt falscher Neun ist er die ganz falsche Neun, sozusagen.
Der Kapitän wirkt langsam, nicht richtig fit. Wenn er den Ball bekommt, kann er ihn oft nicht richtig kontrollieren. Trotzdem dementiert er mögliche Probleme mit seiner Fitness: „Ich habe mich vor den EM-Spielen so gut gefühlt wie in der ganzen Saison.“
Auch Trainer Southgate versucht, der Hysterie um Kane die Grundlage zu entziehen. Für die Partie gegen Tschechien, die England gewinnen muss, um Gruppensieger zu werden und das Achtelfinale im heimischen Wembley-Stadion zu bestreiten, stellt er seinem Kapitän eine Einsatzgarantie aus. „Er hat solche Situationen schon hundertmal durchgemacht“, sagt Southgate.
Früherer WM-Torschützenkönig
Tatsächlich war Kane auch schon bei der WM in Russland vor drei Jahren das große Thema. England kam überraschend ins Halbfinale, Kane war bester Schütze des Turniers – allerdings erzielte er fünf seiner sechs Tore in der Vorrunde, gegen Tunesien und Panama. In den entscheidenden Spielen tauchte er ab. Offensichtlich schleppte er damals eine Verletzung mit sich herum.
Bei der EM ist er nun auch auf der Mission zu beweisen, dass er ein Mann für große Momente ist. Und ganz nebenbei geht es um die eigene Zukunft.
Seit seiner Jugend ist Harry Kane Tottenham Hotspur treu, doch zuletzt hat er angedeutet, den Klub in diesem Sommer zu verlassen. Er will nämlich Titel gewinnen. Manchester City gilt als möglicher neuer Arbeitgeber. Viele Fachleute fürchten, dass der Kapitän durch die Verhandlungen und vielen Berichte über seinen eventuellen Wechsel abgelenkt ist, doch auch dem widerspricht Kane: „Ich verstehe, dass die Medien viel spekulieren. Aber ich bin voll auf den Job hier konzentriert.“ Um glaubwürdig zu bleiben, muss er diese Aussage mit Leistungen belegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“