Engagement in Vereinen: Was passiert, wenn keiner richtig mitmachen will
Für Vereine ist es bedrohlich, wenn niemand mehr verbindlich sein will. Das ist fatal, denn sie sind so etwas wie eine kleine Demokratie.
S portverein, das klingt für viele so altmodisch wie Gewerkschaft oder Partei. Auch für mich. Aber dann hab ich doch eines Tages einen Mitgliedsantrag ausgefüllt – nach langem Hadern. Für gewöhnlich mag ich mich nicht so binden. Viel lieber sind mir Kurse, in die ich spontan „reintropfen“ und die ich flexibel canceln kann, wenn ich was Besseres zu tun habe oder zu müde bin.
So wie die Kunden von Urban Sports und Co. kümmert auch mich mein persönliches Wohlergehen mehr als das Prekariat der Freizeitbranche. Weil jedes Mal andere Leute kommen, kenne ich nur die Trainerinnen mit Namen. Mich kennt auch keiner.
„Hallo, Karlotta“, heißt es dagegen, wenn ich am Dienstagmorgen um sieben die Schwimmhalle betrete. Uwe* ist einer der Leute, mit denen ich mir hier die Bahn teile. Obwohl ich mit meinem Mund bisher mehr Wasser geschluckt habe, als Wörter ausgesprochen, gehöre ich schon fest dazu. Wenn ich wegbleibe, dann wird es Uwe auffallen.
So wie auch Sandra*, die am Beckenrand steht und Menschen wie mir ordentlich schwimmen beibringt. Selbst war Sandra ewig nicht im Wasser. Wenn sie in ihrer Freizeit nicht gerade Vereinskolleg*innen coacht, kümmert sie sich um Mitgliedsausweise und -beiträge sowie die Vereinspost. Vor vierzig Jahren hat sie ihre Kinder bei dem Verein angemeldet, schwimmen können die schon lange, bei ihrem ehrenamtlichen Engagement ist es jedoch geblieben.
Event Jahreshauptversammlung
Als langjährige Vorsitzende verschickt sie auch die Einladung zur Jahreshauptversammlung – auf die ich mir sofort reflexhaft überlege, welche Ausrede ich mir einfallen lassen kann, um nicht zu kommen. Denn leider klingt das nicht nach einem Event, aus dem man etwas für sich ziehen könnte. Das denke nicht nur ich, das denkt der Großteil von uns. Im vergangenen Jahr sind acht Leute gekommen, sieben davon besetzen die Ehrenämter im Verein. Der hat 230 Mitglieder.
Aber Moment – haben wir da nicht was falsch verstanden? Ein Verein ist ja kein Dienstleistungsbetrieb, sondern eine Gemeinschaft von Menschen, die zusammen etwas auf die Beine stellt. Im Prinzip ist der Verein also sowas wie eine kleine Demokratie.
Die gilt es nicht nur zu verwalten, sondern aktiv zu beleben – nach der Versammlung geht es zum Austausch in die Kneipe. Wie in der großen Demokratie ist der Verein auch ein Ort, an dem unterschiedlichste Menschen interagieren – Blasen bilden wir nur unter Wasser. Und das, obwohl wir aus allen Ecken Berlins kommen, unterschiedlich alt sind und bis auf das Schwimmen keine großen Gemeinsamkeiten haben.
Gemein ist uns aber: Verbindlich wollen wir lieber nicht sein. Das ist in diesem kleinen Verein auch wie in der großen Demokratie. Und wie die große Schwester ist auch der Verein dadurch bedroht. Wenn keiner richtig mitmachen will, dann ist es irgendwann aus, kapiere ich. Also ringe ich mich durch: wenn Uwe geht, dann raff' ich mich auch auf. „Nee, wo soll ick 'n da parken?“, sagt der jedoch. „Du könntest ja mit den Öffis fahren“, probiere ich es. Darüber muss er lachen: „So weit kommt's noch!“ Schlimm genug, dass wir aus solchen Events keinen persönlichen Nutzen schlagen, aber dann auch noch Geld und Zeit investieren? – Nö.
Bis zur Versammlung bekomme ich noch drei Erinnerungsmails: „Ihr braucht keine Angst zu haben, dass wir euch zu einem Amt zwingen“, ermutigt Sandra. Das wird vielleicht der Grund sein, dass am Ende 29 Leute kommen. Ich bin nicht darunter. Zu müde.
*Namen geändert
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