Energiewende wegen Ukrainekrieg: EU erklärt ihre Unabhängigkeit
Mit einem neuen Energiepaket will die EU weg von russischem Öl und Gas. Doch nicht alle Maßnahmen sind mit dem Klimaschutz vereinbar.
Die Zeit drängt nun auch in Brüssel. In Windeseile hat die EU Pläne gemacht, wie sie nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vom russischen Gas und Öl wegkommen will. REPowerEU bedeutet: Bis 2030 sollen 45 statt bisher nur 40 Prozent der europäischen Energie aus Ökoquellen stammen, die Energieeffizienz soll um 13 statt wie geplant um 9 Prozent steigen. Wind- und Sonnenenergie sollen schnell wachsen, die Kapazität für Solarstrom soll bis 2030 gegenüber heute verdoppelt werden.
Dazu sucht die EU nach Partnern für Gas oder Wasserstoff und setzt Regeln des Energiemarkts aus. Der „barbarische“ Krieg habe neben menschlichem Leid auch „die Energiemärkte durcheinander gewirbelt“ und eine „riesige Herausforderung“ geschaffen, sagte Frans Timmermans, EU-Klimakommissar. Die Richtung ist klar: Schneller weg von den Fossilen, hin zu mehr Effizienz und Erneuerbaren. „Es ist dringender als je zuvor, dass Europa sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt“, so Timmermans.
Diese energiepolitische Unabhängigkeitserklärung hat viele Seiten: Bisher bezog Europa für jährlich etwa 100 Milliarden Euro 155 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland, 40 Prozent seines Verbrauchs. Das sei inzwischen auf 26 Prozent gesunken, heißt es. 80 Milliarden Kubikmeter des Russengases sollen bis Ende des Jahres ersetzt sein: Durch Erneuerbare und Wasserstoff, durch Sparen und durch Biomethan. Bis 2027 will die EU ganz frei von Russlands Importen sein und sucht Gas und Wasserstoff: in den USA und Kanada, am Persischen Golf oder in Afrika.
Eingriffe in den Markt
Bei den Erneuerbaren soll es – ganz ähnlich wie in Deutschland – viel schneller gehen. In einem Jahr sollen Wind- und Solarparks grünes Licht bekommen können, sie werden zu Projekten von „überragendem öffentlichen Interesse“ erklärt und in einigen „To go“-Zonen mit besonders guten Bedingungen gefördert – aber das soll „nicht auf Kosten der Umwelt gehen“.
Um Gaspreise stabil zu halten, lässt die EU-Kommission weitgehende Eingriffe in den Markt zu: Obergrenzen für Preise, auch für kleine und mittlere Unternehmen, das Abschöpfen von exorbitanten Gewinnen der Energiekonzerne, Rationierung von Gas über Ländergrenzen hinweg, falls Russland den Hahn zudreht. Dazu eine umfassende Planung und Förderung von Wasserstoff und Flüssiggas, auch über neue Terminals.
Bis 2030 würden dafür Investitionen von etwa 210 Milliarden Euro benötigt, erklärte die Kommission. Für Erneuerbare und Wasserstoff, aber auch für Effizienz und Dekarbonisierung der Industrie und die Modernisierung der Stromnetze. Woher das Geld kommen soll, ist nicht ganz klar. Von den insgesamt 300 Milliarden, die benötigt werden, kommen etwa 225 Milliarden Kredite aus dem Wiederaufbaufonds nach Corona und anderen bisher nicht ausgeschöpften Töpfen wie dem Kohäsionsfonds, hieß es in Brüssel.
Für Einnahmen von 20 Milliarden Euro will die Kommission CO2-Zertifikate aus ihrer Reserve auf den Markt werfen, worüber KlimaschützerInnen den Kopf schütteln: Damit lässt die EU zu, dass etwa 200 Millionen Tonnen CO2 mehr ausgestoßen werden als geplant – aber „in der Summe glauben wir, dass es nicht mehr Emissionen gibt“, so Timmermans: die neuen Erneuerbaren und Sparmaßnahmen würden das ausgleichen.
Wenn die erneuerbaren Energien wirklich so deutlich gefördert würden, „wäre das wirklich ein Durchbruch“, sagt Matthias Buck, EU-Experte beim Thinktank Agora Energiewende. Allerdings müsse man sehen, ob und wie die schnellen Genehmigungen tatsächlich durchgesetzt würden. Bei der Finanzierung sieht er allerdings „kaum frisches Geld“, das meiste seien Kredite, die die EU-Länder aus guten Grünen auch bisher nicht beansprucht hätten.
Und die Einnahmen aus den zusätzlichen CO2-Zertifikaten seien klimapolitisch nur zu rechtfertigen, „wenn sie ausschließlich in die Senkung von Emissionen investiert werden – und nicht etwa in neue Gas-Pipelines oder Terminals“. Wichtig sei auch, diese Menge an Zertifikaten später wieder vom Markt zu nehmen. Ähnlich klingen auch Umweltverbände: „Zwei Schritte vor, einer zurück“, heißt es etwa von WWF und BUND: Lob für den Ausbau der Erneuerbaren, aber ungenügende Klimaziele und störendes Geld für Pipelines und Gas-Terminals.
Das Konzept REPowerEU hat auch einen deutlichen Blick Richtung Ukraine: So soll das angegriffene Land in die europäische Energieinfrastruktur besser integriert werden – im Winter bereitet sich die EU darauf vor, das Gas nicht wie bisher aus dem Osten zu holen, sondern nach Osten zu pumpen, um die Ukraine zu versorgen. Schließlich löst die EU-Kommission mit dem Programm ein Versprechen von März ein.
Beim Gipfel in Versailles hatte Kommissionschefin von der Leyen mit Blick auf Russland gesagt: „Wir können einfach nicht von einem Lieferanten abhängig sein, der uns bedroht.“ Deshalb hatten die 27 Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen, die Importe aus dem Osten drastisch einzuschränken. Und von der Leyens Vize Timmermans hatte geschworen, die Umsetzung des „Green Deals“ mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien sei „noch dringender geworden“.
REPowerEU soll alle diese Anforderungen erfüllen: Europas Energieversorgung modernisieren und dekarbonisieren, weg von Russland und der Ukraine helfen. Nach der Verkündung des Energiepakets standen am Mittwoch nämlich noch andere Themen auf der Agenda der Kommission: 200 Milliarden Euro mehr, um die „Lücke bei den Verteidigungsinstrumenten“ zu schließen. Und ein Programm zum Wiederaufbau der Ukraine.
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