Energiewende und Erdgas: Abhängigkeit beenden
So könnte es gehen: Der Fachrat Energieunabhängigkeit legt eine Finanzierungsstrategie für die Abkehr vom Klimakiller Erdgas vor.
Gefüllt werden könnte die Lücke durch staatliche Bürgschaften für solche Darlehen. Dieser Vorschlag ist Teil der Empfehlungen, die der Fachrat Energieunabhängigkeit am Dienstag veröffentlicht hat. Der Ende 2022 gegründete Rat aus Expert:innen aus Finanzwirtschaft, Wirtschaftspolitik und Technik hat eine Strategie erstellt, wie Deutschland unabhängig von Erdgas wird und wie dafür Kapital mobilisiert werden kann.
Zwar ist es der Bundesregierung gelungen, sich aus der Abhängigkeit von russischen Lieferungen zu lösen – vor allem durch Flüssiggasimporte aus den USA und Katar. Aber: „Auch diese neuen Abhängigkeiten sind riskant“, sagte Jonathan Barth, Sprecher des Rats und Direktor des ZOE-Instituts für zukunftsfähige Ökonomien bei der Präsentation in Berlin. Das zeigt etwa die angespannte Lage im Roten Meer vor dem Suezkanal, durch den LNG-Transporte aus Katar transportiert werden. Auch wie es mit Flüssiggasimporten aus den USA weitergeht, ist angesichts einer möglichen Wiederwahl von US-Präsident Donald Trump ungewiss.
Nach Auffassung des Rats sollte die Unabhängigkeit von Gas ganz oben auf die Agenda der Bundesregierung gesetzt werden. „Technisch ist eine Unabhängigkeit möglich“, sagte Barth. „Wenn wir jetzt handeln, können wir Deutschlands Abhängigkeit von Erdgas um 78 Prozent reduzieren.“ Dafür sind nach Einschätzung der Fachleute Investitionen von 526 Milliarden Euro bis 2045 nötig. Davon entfallen 482 Milliarden Euro auf den Gebäudesektor und 44 Milliarden Euro auf die Industrie.
Hälfte aller Wohnungen wird mit Gas beheizt
Der Erdgasverbrauch könnte um ein Drittel sinken, wenn beim Heizen von Gebäuden auf Erdgas verzichtet würde. Die Hälfte aller Wohnungen wird mit Gas beheizt. Das soll sich in den kommenden zwei Jahrzehnten ändern. Zu Jahresbeginn ist das Heizungsgesetz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) in Kraft getreten, das den Ausstieg aus fossilen Heizquellen vorsieht.
Nach Berechnungen des Fachrats haben mindestens 1,5 Millionen private Eigentümer:innen aber Probleme, den Heizungstausch finanziell zu stemmen. Deshalb schlägt er ein „Wärme für alle“-Programm in Form einer Ausfallbürgschaft des Staates vor. Dabei soll das Geld direkt an die Firma überwiesen werden, die den Austausch vornimmt.
Mietheizung von den Staftwerken
Um den Umstieg auf erdgasfreie Wärme zu beschleunigen, empfehlen die Expert:innen außerdem, dass Stadtwerke Eigentümer:innen Mietheizungen anbieten. Das würde Stadtwerken ein neues Geschäftsfeld eröffnen – was die dringend brauchen. Denn heute hängt ein Viertel ihrer Einnahmen vom Erdgas ab.
In der Industrie können Investitionen in Höhe von 10 Milliarden Euro zu einer Halbierung des Verbrauchs führen. Um den Wandel zu beschleunigen, sei es wichtig, vorbildliche Unternehmen zu belohnen und sichtbar zu machen, sagen die Expert:innen. Sie plädieren für die Gründung einer „Industriewende-Beschleuniger-Plattform“. Sie soll eine „Drehscheibe“ für den Wissensaustausch, Kooperationen und die Investitionsförderung werden. Dazu gehört eine zentrale Schnittstelle für die Förderberatung für Unternehmen.
Die Abkehr vom Erdgas soll nach Auffassung des Fachrats vor allem durch private Mittel finanziert werden. Der Staat müsse allerdings einen verlässlichen Rahmen schaffen, hieß es. Einen Anreiz für private Investitionen soll es zum Beispiel durch Zinsvorteile geben. So soll die Europäische Zentralbank (EZB) ein Programm einrichten, bei dem es Vergünstigungen bei der Vergabe von Krediten gibt. Auf diese Weise sollen Banken ermutigt werden, mehr Kredite für Projekte zu vergeben, die in die Unabhängigkeit von Erdgas investieren.
In dem anstehenden Transformationsprozess müsse die soziale Frage im Vordergrund stehen, mahnte die Politökonomin Maja Göpel bei der Vorstellung der Empfehlungen. „Es ist eine große Tragik, dass das Klimageld vernachlässigt wurde.“ Das Klimageld sollte ursprünglich höhere Kosten durch den steigenden CO2-Preis ausgleichen, der auch für den Verbrauch von Erdgas zum Heizen bezahlt werden muss. In dieser Legislaturperiode wird es nicht mehr kommen.
Wichtig sei, Ansätze wie einen höheren Mindestlohn, Härtefallregelungen, eine Abgabe für Vermögende oder den Abbau umweltschädlicher Subventionen zu verfolgen, sagte Göpel. Sonst drohe ein Akzeptanzverlust.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird