Energie sparen im Ukraine-Krieg: Ein paar Tage abschalten in Berlin
Wer aus der Ukraine nach Deutschland in ein erleuchtetes Hotel kommt, denkt sofort ans Energiesparen. Kann aber auch Pause vom Krieg machen.
Als ich nach meiner Reise aus der Ukraine in Berlin eintraf und in das, wie mir schien, gemütliche und moderne Hotelzimmer kam, verspürte ich augenblicklich ein gewisses Unbehagen: Das Zimmer ist zu hell erleuchtet! „Schnell das Licht ausmachen“, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf ging.
ist 33 Jahre alt, Journalist, Dolmetscher sowie Experte für Politik und Wirtschaft. Er lebt und arbeitet in Lwiw.
Noch vor wenigen Wochen hätte mich solch ein Verhalten noch selber erstaunt. Aber während ich in Berlin bin, spüren meine Landsleute mittlerweile fast in der ganzen Ukraine die Auswirkungen der russischen Angriffe auf unsere Infrastruktur.
Die Menschen in Kyjiw sitzen stundenlang in ihren dunklen, kalten Wohnungen. In der Gegend von Lwiw wurden erstmals iranische Kamikaze-Drohnen gesichtet und abgeschossen. Und im Gebiet Tscherniwzi nahe der rumänischen Grenze schlug die erste Rakete seit Beginn des russischen Überfalls ein.
Weil es nicht mehr genügend Strom im Land gibt, lernen die Ukrainer jetzt wirklich Energie zu sparen. Innerhalb weniger Wochen ist das jetzt schon zur Gewohnheit geworden.
In Berlin möchte ich ständig alle Lampen ausknipsen. Sobald ich mein Hotelzimmer betrete, mache ich als Erstes den Fernseher aus, der immer automatisch angeht. Beim Ausschalten einer weiteren Lampe stelle ich plötzlich fest, dass ich ein ähnliches Verhalten schon mal beobachtet habe. Allerdings ging es da ums Essen.
Meine Großmutter wie überhaupt ihre ganze Generation ging sehr sorgfältig mit Brot und ganz allgemein mit Nahrungsmitteln um. Alles musste verwendet, nichts durfte weggeworfen werden. Denn während ihrer Kindheit herrschte der Holodomor, die künstlich erzeugte Hungersnot in weiten Teilen der Ukraine in den 1930er Jahren.
Unterstützen Sie die taz Panter Stiftung und ihre Projekte in Osteuropa mit einer Spende. Mehr erfahren
Damals nahm man den Ukrainern absichtlich nicht nur das Brot, sondern jegliche Nahrung und sogar das Saatgut. Alles, um die Keimzellen der Kultur – die unabhängigen Bauern – physisch zu vernichten und den Widerstand gegen die sowjetische Politik der Kollektivierung und beschleunigten Industrialisierung zu brechen.
Fast neunzig Jahre später nimmt man den Ukrainern Strom und Heizenergie, um sie zum Ende der Kampfhandlungen zu zwingen. Zum Glück sind wir jetzt ein unabhängiger Staat mit einer eigenen Armee und der Unterstützung durch große Teile dieser Welt.
In den 1930er Jahren wusste die Welt nichts von dem, was in der Ukraine geschah oder verschloss die Augen davor, weil sie selbst unter dem Schock der Großen Depression stand. Heute wird alles früher oder später öffentlich bekannt, dank der Presse und den sozialen Medien.
Die ukrainischen Flaggen, die ich am Bahnhof und in den Berliner Straßen gesehen habe, sind ein Zeichen dafür, dass wir dieses Mal nicht alleine sind. Das wachsende Interesse auf Seiten der deutschen Gesellschaft in Bezug auf die Ukraine zeigt, dass sie uns nach Jahren vergeblicher Hoffnungen auf engere Beziehungen zu Russland und unter Ignorierung der Ukraine nun endlich hören wollen.
An den allerersten Tagen des russischen Großangriffs haben gerade die Nachrichten von Freunden und Bekannten aus anderen Ländern sehr geholfen, den ersten Schock zu überwinden.
Jetzt hilft uns das deutsche Flugabwehrsystem dabei, die ukrainischen Städte vor den iranischen Kamikaze-Drohnen und russischen Raketen zu schützen. Die Erwartung wachsender Rüstungshilfe und Unterstützung für die ukrainische Wirtschaft lässt uns auch dann hoffnungsvoll in die Zukunft blicken, wenn Wladimir Putin Hunderttausende neuer Soldaten in den Kampf schickt. Er setzt darauf, dass die Welt müde wird von dem fortdauernden Krieg.
Die wenigen Tage, die ich in Deutschland ohne Angst um mein Leben und die echte Notwendigkeit, überall das Licht auszuschalten, verbracht habe, haben mir geholfen, mich ein bisschen zu erholen. Aber das Wichtigste war, dass sie mir das Gefühl vermittelt haben, dass die Ukrainer nicht alleine sind. Und ich glaube daran, dass das so bleiben wird. Das wird mir in meiner kalten Wohnung ein Gefühl von Wärme geben, und auch unseren Soldaten, die noch vor Kurzem Journalisten, Ärzte und Arbeiter waren, in den Schützengräben an der Front.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren