Endlich eine eigene Kneipe: Mit Fußfessel hinterm Tresen
Hamburg, Berlin, München – die Menschen zieht es in die Städte, an jeder Ecke macht eine Kneipe auf. Wie das geht? Unsere Autorin hat es erlebt.
Das Problem daran, wenn man eine Kneipe eröffnet, ist: Jeder glaubt, sich auszukennen. Das ist etwas anderes, als wenn man beispielsweise eine Firma zum Vertrieb von Mikrosystemchips gründet. Wenn das abends jemand auf einer Party erzählt, dann lächeln die Leute freundlich und sagen: „Aha, Mikrosystemchips, interessant, ja wofür braucht man die denn?“
Sie fragen dann vielleicht noch so etwas wie: „An welche Firmen verkaufst du denn diese Chips?“, der Befragte gibt irgendeine Antwort, und danach hat er auch schon wieder seine Ruhe. Erwidert man hingegen auf die Frage „Was machst du denn so?“: „Ich habe eine Kneipe“, ist das ein ganz anderer Film. Weil: „Kneipe? Echt? Mensch, toll! Was ist das denn für eine und wo, und was gibt’s da so?“ Meist dauert es dann nur noch wenige Sekunden, und schon kommen die Experten zum Vorschein.
Das klingt etwa so: „Ja, habt ihr denn auch guten Kaffee? Weil guter Kaffee ist ja das Allerwichtigste. Ich geh in zwei Lokale schon gar nicht mehr rein, weil der Kaffee da so schlecht ist. Ich mag ja den und den am liebsten, den solltest du unbedingt einmal probieren.“
Maria Rossbauer: „Drei Bier auf die Vier. Vom Abenteuer, die eigene Kneipe zu eröffnen“. Blanvalet Taschenbuch Verlag, 256 Seiten, 9,99 Euro
Kaum outet man sich als Kneipenbesitzerin, bekommt man auch schon Tipps, Verbesserungsvorschläge und muss sich Kritik an Dingen wie Lage, Name oder Bierauswahl anhören, ob man will oder nicht. Der Grund ist ganz einfach: Bei einer Kneipe kann jeder mitreden. Jeder war nämlich schon einmal in einer drin, und viele Menschen fühlen sich damit beratungsberechtigt.
Erst Unternehmensberaterin, dann Wirtin
Bei meiner Freundin Sonja stellte sich der Zustand des Ständig-beraten-Werdens schon vor der Eröffnung ein. Dabei hatte sie vor allem deshalb eine Kneipe aufgemacht, weil sie diese ganze Beraterei hinter sich lassen wollte.
Zuvor hatte Sonja nämlich einen von den Jobs, die man macht, wenn man glaubt, dass man was Vernünftiges Arbeiten muss: Unternehmensberatung. Am Anfang war Sonja von diesem Beruf noch ziemlich begeistert gewesen. Doch auf die Dauer hatte sie die aufgetakelte Beraterwelt doch ziemlich zermürbt. Und außerdem war da immer dieser Gedanke: Ich könnte doch ein eigenes Restaurant aufmachen. Eines wie das alte Wirtshaus meiner Familie. Dann wäre ich endlich selbst der Chef und müsste mir von niemandem mehr was sagen lassen.
Als dann tatsächlich eines Tages die Kündigung im Briefkasten lag, ging alles recht schnell: Sonja entschied sich, ein modernes bayerisches Restaurant zu eröffnen, mit Biofleisch und guten Lebensmitteln, sie nannte es „Klinglwirt“, nach dem alten Wirtshaus ihrer Familie, überzeugte einen Banker, zusammen suchten wir in München ein geeignetes Lokal, kämpften uns durch eine anscheinend unendliche Baustelle, bestellten Bier und Wein, suchten einen Koch, nagelten Bilder an die Wand, Sonja sperrte die Tür auf – und schon waren die Berater im Haus.
Die besten Zucchini
Da gibt es zum Beispiel die Spezialitätenberater. Deren Tipps beginnen meist so: „Ich hab da einen besonders guten Wein zu Hause, den musst du probieren, der wär vielleicht etwas für dein Lokal.“ Oder: „Ich weiß einen super Honig/Schnaps/Bäcker/Metzger und kenne jemanden, der die besten Zucchini/Tomaten/Eier/Gurken überhaupt hat.“
Das Problem dabei ist: Natürlich sollen die Lebensmittel in der eigenen Kneipe gut schmecken, aber sie müssen auch in einer gewissen Regelmäßigkeit verfügbar sein. Für ein Restaurant von der Größe wie Sonjas bringt es nichts, wenn jemand einmal eine gute Marmelade gekocht oder schöne Äpfel im Garten geerntet hat. Es braucht gewisse Mengen, die auch noch von irgendjemandem angeliefert werden müssen.
Sonja kann schließlich nicht jede Woche erst eine Kiste von dem supertollen Wein in Franken abholen, dann den besonderen Holunderschnaps in Österreich, anschließend in Niederbayern bei dem noch besseren Metzger selbst das Schwein schlachten, danach in der Oberpfalz auf einem Feld die Erdbeeren für die Nachspeise zupfen und dann wieder in den Laden joggen, um „präsent“ zu sein. Viele Experten sind nämlich auch der Meinung, dass die Wirtin 24 Stunden am Tag hinter dem Tresen stehen sollte. Bei manchen hat man das Gefühl, sie würden Sonja am liebsten mit einer Fußfessel an der Bar festschnallen.
Besonders hilfreiche Vorschläge sind auch wie: „Es ist schon wichtig, dass der Service freundlich und das Essen gut ist.“ Zu solchen Ratschlägen sagte Sonja nach einer Weile oft: „Echt? Meinst wirklich, dass Essen sollte gut sein? Also, ich weiß nicht.“
„Ihr braucht Cocktails und Happy Hour“
Interessant ist auch die Gruppe derer, die Sonja ihre eigenen Vorlieben aufschwatzen wollen, auch wenn diese überhaupt nicht zum Klinglwirt passen: „Ihr braucht unbedingt gute Cocktails und eine Happy Hour. Glaub mir, da rennen dir die Leute die Tür ein.“ Oder: „Ihr braucht eine kubanische Nacht mit Rum und kubanischer Musik. Das zieht ganz bestimmt.“ Ganz egal, dass weder Cocktails noch kubanische Musik in Sonjas bayerischen Laden passen.
Fortgeschrittene Experten untersuchen den Klinglwirt auch vor Ort auf Tippmöglichkeiten: „Was, ihr habt gar keinen Kaiserschmarrn? Aber ihr seid doch ein bayerisches Wirtshaus! Nein, ihr müsst unbedingt einen Kaiserschmarrn machen. So wie in dem und dem Lokal. Ich hätt da auch ein super Rezept.“ Die fortgeschrittenen Experten stellen auch fest, dass das Wasser in den Toiletten zu langsam läuft, dass es im Klinglwirt zu dunkel/zu hell/zu laut oder die Musik zu leise ist, oder: „Ihr brauchts unbedingt ein anderes Bier, am besten das Tegernseer/Augustiner/Lammsbräu/Untergiesinger.“
Kommt das Brot nicht vom biosten Biobäcker?!?
Und weil bei Sonja alles bio und nachhaltig ist, kommen bei ihr auch in regelmäßigen Abständen die Ökoüberprüfer vorbei. Das sind solche, die sich selbst für die noch besseren Klimaschützer/Tierschützer/Regionalverfechter halten. Die Ökoüberprüfer fragen zum Beispiel ganz leise, ob das Brot auch wirklich bio ist und bemäkeln anschließend, dass Sonjas Biobrot nicht vom biosten Biobäcker stammt, den es gibt.
Vielleicht beraten all die Leute deswegen so gerne, weil sie eben ganz heimlich selbst eine Kneipe eröffnen wollen, sich aber nicht trauen. Und so haben sie das Gefühl, wenn sie ein bisschen helfen, stehen sie mit einem Fuß mit drin. Vielleicht liegt Schlaumeiern aber auch einfach in der Natur der Leute.
Gerade in den ersten Wochen jedenfalls konnte sich Sonja vor derartigen Tipps nicht mehr retten. Und jeder einzelne Experte schien vermitteln zu wollen: Wenn du diesen meinen Tipp nicht befolgst, kannst du eigentlich gleich zusperren.
Schlaumeiern kennt keine Öffnungszeiten
„Ein bisschen hab ich das Gefühl, da hängt ein Schild an meiner Tür, auf dem steht: Berate mich“, sagte Sonja am Anfang oft. Sie hatte sich sogar schon überlegt, ein Schild im Lokal mit „Sprechzeiten für Tipps“ aufzustellen. Sodass sie vielleicht nur Montags von 13 bis 14 Uhr beraten wird. Aber sie hatte dann doch nicht geglaubt, dass sich die Experten daran halten würden, darum hat sie es gelassen.
Mit der Zeit ließen diese ungewollten Beratungsgespräche allerdings nach. Und mittlerweile hat Sonjas Lokal schon mehr als zwei Jahre geöffnet. Doch so ein, zwei Tipps pro Woche bekommt sie auch heute noch.
Wer also darüber nachdenkt, eine Kneipe zu eröffnen, damit ihm endlich keiner mehr dreinredet, der sollte sich das noch mal überlegen. Da würde sich vielleicht doch eher ein Vertrieb für Mikrosystemchips eignen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag