piwik no script img

Ende der SonntagszeitungenNur noch am Tablet

An Ostern gibt es die Wochenendausgaben von gleich zwei Berliner Zeitungen zum letzten Mal: Tagesspiegel und Morgenpost. Sonntagszeitungen sind out.

Zeiten, in denen sonntags statt Chia-Samen die Zeitung frisch auf den Tisch kam Foto: Brüchmann/dpa/picture alliance

Im Februar gab’s Post vom Verlag: Der Tagesspiegel aus Berlin kündigte seinen Abonnenten die Einstellung der Sonntagsausgabe an. Letztes Erscheinen: 31. März. Ähnlich bei der Berliner Morgenpost. Für die gebildeten Stände vornehmlich im Westen Berlins endet damit eine Epoche: Ein Sonntagsfrühstück ohne das extra dicke Sonntagsblatt ist für viele kaum vorstellbar.

Ein Regionalblatt mit Sonntagsausgabe, das gab es lange weder in West- noch in Ost-Deutschland. Zwar gab es seit 1948 die WELT am Sonntag (WamS) und seit 1956 die BILD am Sonntag (BamS), aber beide waren überregional vertriebene Titel eigenständiger Redaktionen. Bis heute werden sie separat im Abo angeboten. 1990 kam als erste westdeutsche Regionalzeitung die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit ihrer Rhein-Main-Ausgabe heraus; es dauerte noch über zehn Jahre, bis die FAS bundesweit zu haben war.

Doch auch das ist inzwischen Geschichte: FAS und WamS kommen bereits am Samstag. Und die BamS kommt sonntags nicht mehr an die Haustür. Damit sind Morgenpost und Tagesspiegel die letzten ihrer Art, denn die Sonntagsausgaben der Boulevardblätter BZ und Kurier wurden schon eingestellt: Die BZ im letzten Jahr, der Kurier Anfang des Monats.

Keine gute Zeit für Zeitungsdruckereien: Die zum Medienhaus Aachen gehörende Euregio Druck soll im Sommer schließen, das Druckhaus Waiblingen beendete schon im Oktober den Zeitungsdruck, die Verlagsgruppe DuMont hat ihre Kölner Druckerei stillgelegt und schon im April ging die letzte Ostsee-Zeitung in Rostock in die Rotation. Die entsprechenden Blätter werden nun woanders gedruckt, von Koblenz bis Neubrandenburg. Denn fast überall sind Kapazitäten frei, seit die Printauflagen rasant in den Keller gehen.

Vor 100 Jahren waren Sonntagszeitungen eine Selbstverständlichkeit. Die Tagespresse erschien bis zu zwölf Mal in der Woche – werktäglich morgens und abends, am Montag nur abends und dann am Sonntag nur morgens, dafür aber mit vielen Seiten und Beilagen. Die Vossische Zeitung machte es so, das Berliner Tageblatt machte es so – aber nur in West-Berlin ging es nach dem Krieg auch sonntags weiter. Allerdings gab es dort – bei Morgenpost, Tagesspiegel, Volksblatt – keine Montagsausgaben. Das zweifach tägliche Erscheinen war ohnehin entfallen, aber die Montags­lücke blieb. Bis 1991.

Günter Prinz, Vorstand im damals noch in Hamburg residierenden Axel-Springer-Verlag, war am 1. Dezember extra nach Berlin gekommen, um vor den Objektiven der Fotografen die Druckmaschine zu starten für die neue Montagsausgabe der Morgenpost. Chefredakteur Bruno Waltert sagte damals: „Wir denken, dass in der Hauptstadt Berlin, die bald Regierungs- und Parlamentssitz sein wird, eine Zeitung, die an allen sieben Tagen erscheint, das Richtige ist.“

Klang harmlos, war aber ein millionenteurer Schachzug im damals tobenden Berliner Pressekrieg. Hermann Rudolph, Chef beim Tagesspiegel, war da ehrlicher: „Uns war nach der Öffnung der Grenzen klar“, erklärte er der Abendschau, „es wird diese Montagsausgabe geben. Wir wussten nur nicht, wann.“ Nun hatte man sich – „sicher ein bisschen durch das Erscheinen der Berliner Zeitung hier veranlasst“ – zum Start entschlossen.

Die Berliner Zeitung, bis eben noch ein eher graumäusiges, aber enorm auflagenstarkes Lokalblatt im Ensemble der DDR-Presse, mauserte sich unter dem Einfluss westdeutscher und britischer Medienkonzerne (Maxwell sowie Gruner + Jahr) zum ambitionierten Hauptstadtblatt. Angeführt vom früheren SPIEGEL-Chefredakteur Erich Böhme setzte man zum Sprung nach Westen an.

Die Berliner Zeitung müsse in West-Berlin genauso gelesen werden wie in Ost-Berlin, lautete seine Parole. „Wenn das mal so ist – und das traue ich mir schon zu – dann kann man sie auch zu einer Zeitung machen, die in ganz Deutschland gelesen wird.“ Doch es kam anders. Mehrfach wechselten Herausgeber, Chefredakteur und Eigentümer, die Auflage bröckelte und wird seit einiger Zeit schon gar nicht mehr an die IVW, die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern, gemeldet. Dort laufen die Zahlen aus der gesamten Bundesrepublik zusammen – und diese Zahlen sind nicht gut.

Frühere Dickschiffe wie die BILD im Westen oder das Neue Deutschland im Osten sind – jeweils auf eigene Art – massiv geschrumpft. Die BILD, die in ihren Höchstzeiten täglich über fünf Millionen Exemplare verkauft hat, kommt gerade noch auf ein Fünftel und nähert sich der Millionengrenze. Ärger sieht’s beim Neuen Deutschland – derzeit als nd.DerTag und nd.DieWoche am Markt – aus. Die Auflage, zu DDR-Zeiten über eine Million, liegt irgendwo unterhalb von 20.000. Genauere Zahlen sind nicht veröffentlicht; die nd-Genossenschaft ist aus der IVW ausgetreten.

Natürlich versuchen alle Zeitungen, ihre Verluste in der Print-Welt zumindest teilweise im Online-Universum zu kompensieren, aber das gelingt nur wenigen.

Spektakuläre Erfolge gibt es in den USA, wo es der New York Times gelungen ist, trotz deutlich gefallener Printauflage die Reichweite drastisch zu erhöhen – und zwar weltweit durch kostenpflichtige Online-Angebote rings um nyt.com. Im ersten Quartal 2023 erreichte die Times einen Spitzenwert von global über zehn Millionen Abos.

In Deutschland ist so eine Success-Story nicht zu erwarten, doch Beachtliches gibt es auch hier: So hat der Tagesspiegel seine dominante Position nicht zuletzt durch aggressive Werbung für seine Onlineangebote – die digitale Zeitung zwei Monate für 2 € statt regulär 71,98 € – noch ausbauen können: Mehr als die Hälfte der gemeldeten Auflage von werktags gut 100.000 wird elektronisch verbreitet. (Bei der Morgenpost sind es 6.000 von 37.000.)

Zugleich investiert Eigentümer Holtzbrinck kräftig, insbesondere in eine Reihe hochpreisiger Online-Informationsdienste („Background“), deren Inhalt und Personal dann auch den Tagesspiegel stärken.

Unterdessen üben zwei große Verlagsgruppen schon mal den kompletten Verzicht auf Papier. Funke, zu der auch WAZ, Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost gehören, hat für einige Gemeinden Druck und Zustellung der Ostthüringer Zeitung beendet.

Und Madsack (Hannoversche Allgemeine, Leipziger Volkszeitung u. a.) hat am 2. Oktober den Schalter für die Lokalausgabe Prignitz der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) umgelegt: Seither heißt es dort „digital only“, nur noch elektronisch. Zum 1. Dezember folgten die MAZ-Lokalausgaben für Kyritz und Wittstock. Und da sich im Herbst zumindest in der Prig­nitz die Abozahlen nach eigenen Angaben aufwärts bewegt haben sollen, fühlt sich der Verlag bestätigt. Kein Wunder: Gerade für die MAZ, mit Redaktion und Druck in Potsdam, ist der Vertrieb des Blattes mit seinen 15 Lokalausgaben in der Tiefe des dünn besiedelten Landes ein Zuschussgeschäft. Beschleunigt wurde die Entscheidung durch Einführung des Mindestlohns für Zeitungszusteller: Aber was fair scheint, ist zugleich unwirtschaftlich. Da ist es günstiger, neuen Abonnenten ein Tablet dazuzugeben und Älteren den Hausbesuch zur Ersteinrichtung anzubieten.

Dabei waren Sonntagszeitungen für jeden Lebens­bereich zentral: Am Samstagabend versammelten sich am Berliner Bahnhof Zoo Heerscharen wohnungssuchender Menschen in Erwartung der Sonntags­ausgaben. Besonders die ­Morgenpost war bekannt für ihren fetten Immobilienteil. Oft kam man zu zweit: Einer stellte sich in die Warteschlange, der andere blockierte eine Telefonzelle, um als erster den Vermieter an der Strippe zu haben. Man musste eben auf Draht sein. Jetzt muss man online sein: Dann gibt es auch sonntags noch Frisches aus den Redaktionen – als e-paper.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Ich lese jeden Tag die Zeit, die FAZ, die Taz, den Spiegel, den Tagesspiegel, die Times und die NY Times. Und die Manila Times, weil ich hier lebe - aber alles digital... Rohstoffe und Kraftstoffe (Zustellung) sparen. Aber privat, schreibe ich jede Woche 2-3 Briefe per Hand mit Füller auf Papier :-)

  • Hier zeigt sich einmal mehr ein grundlegendes Problem unserer Medien, der Pressefreiheit und nicht zulestzt auch der Meinungsfreiheit.

    Denn die Online-Publikationen teilen sich grob in zwei Lager:

    Die ohne Paywalll und die mit.

    Und wenn alles so langsam hinter einer (Abo-) Paywall verschwindet ist es kaum noch möglich von Tag zu Tag eine wechselnde Zeitung der Wahl zu lesen.

    Erreichbar bleiben kostenlose Formate.



    Also entweder werbeverseuchte Klickbaits oder aus dubionser Quelle finanzierte Propagandaschmierblätter.

    Und das ist schädlich für unsere Demokratie.

    Abhilfe liesse sich nur durch durch andere Finanzierungsmodelle schaffen.



    Aber insbesondere die Werbewirtschaft wird sich dagegen mit Zähnen und Klauen wehren.

  • Da würde mich mal interessieren wie die Bilanz der Ressourcen aussieht, wenn man statt Papier den Download nutzt.



    Ich nutze die Regionalzeitung seit Jahren online, da kann ich auch mal später noch was nachlesen ohne Papierstapel horten zu müssen.



    Im ländlichen Bereich haben die Verlage aber schon Problem mit der Zustellung, wenn da Zusteller ausfallen kommen schon mal Dienstleister zum Einsatz die 100 bis 200km Anfahrt haben.



    Vor ca. 20 Jahren war man teilweise so aufgestellt, dass es eine Hotline gab, die man anrufen konnte, wenn die Sonntagszeitung mal nicht angekommen war, die haben dann ein Taxi mit der Zeitung geschickt.



    Mal abgesehen vom Aufwand für die Papierproduktion und den Druck alles sicher nicht so richtig ressourcenschonend.



    Die Zukunftsfragen wären jetzt, spart man mit den Downloadangeboten Ressourcen und Geld, und wird das Geld dann in die Redaktionen gesteckt oder eingesackt.