Ende der Fußball-Bundesliga-Saison: Das war's. War's das?
Die Saison ist vorbei, alles ist wie immer: Bayern oben, HSV unten. Doch es gibt Neues: Drei Thesen zum Ende der Spielzeit.
Selbstzufrieden und verzagt
Die Bundesliga ist spitze. Sie ist spitze darin, Fans in die Stadien zu locken. Das war’s dann aber auch schon mit der Vormachtstellung in Europa. Hierzulande gibt es nun mal ein ewig treues Eventpublikum, das zur Belustigung nicht viel braucht: Ein rollender Ball, die Stadionwurst für dreifuffzich und die Vereinshymne als Stimmungspusher vorm Spiel reichen meist schon, um den Stadiongänger in einen präorgiastischen Taumel zu versetzen. Schnell findet der deutsche Sportfan sein kleines 90-Minuten-Glück, das auch das Glück vieler Bundesligamanager zu sein scheint. Sie sind ähnlich gepolt wie der Kurvenfan. Ihnen reicht, was da ist.
Wenn die Führung von, sagen wir, Borussia Mönchengladbach froh darüber ist, den großen FC Bayern ein wenig „geärgert“ zu haben, am Ende aber trotzdem mehr als deutlich verliert, dann sagt das alles über diese Liga der Mediokren und Verzagten: Sie haben sich längst in ihr Schicksal gefügt, die Verhältnisse anerkannt. Sie rebellieren nicht gegen das Dominanzprinzip der Bayern, dabei sollten sie es tun. Und nicht nur sie.
Alle Klubchefs sollten sich um die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Bundesliga sorgen, aber man tröstet sich mit einem Drops, der schnell gelutscht ist: Ist der Abstiegskampf nicht irre spannend? Haben wir nach der Premier League nicht die umsatzstärkste Liga in Europa? Und ist es nicht auch die ausgeglichenste Liga, weil wir diese supertolle 50+1-Regel haben, die uns vor Oligarchen aus Russland und so schützt?
Kann schon sein, aber auch das ist eine Frage der Perspektive. Wenn man den Zoom etwas aufzieht und ganz Europa in den Blick nimmt, dann bekommt diese dufte Bundesliga etwas Scheinriesenhaftes. Die Statistiken belegen das gnadenlos: Unter den Top-15-Klubs in Europa befinden sich nur zwei deutsche Vereine. Heuer wird die Bundesliga in der Uefa-Fünfjahreswertung auf dem Niveau von Österreich und nur auf Platz sechs die Saison abschließen. Vor allem die Bilanz in der Europa League war zuletzt verheerend. Die Klagen über die besitzstandswahrende Bundesliga werden lauter; Löw, Hitzlsperger, Kind oder Hummels haben nur das allzu Offensichtliche benannt.
Man muss das nicht gut finden, aber will die Liga vorn mithalten, braucht es einen globalistischen Ansatz. Das hat der FC Bayern erkannt. Schon vor Jahren. Markus Völker
Loblied auf die Bayern
Das kann subjektiv sein oder nicht nur, jedenfalls war für mich als Stadionfußballfan diese Bundesligasaison ein Jahr des Weniger-Fußballs und eines zu geringen Erlebnisfaktors. Man versteht ja, warum der Kovac- und Dardai-Fußball derzeit so flächendeckend ist. Und selbstverständlich ist das auch eine Art Kunsthandwerk. Nur spürt man im Stadion einfach weniger, wenn man nicht ausschließlich sieg- oder punktorientierter Follower eines dieser Teams ist. Und irgendwann denkt man vermutlich, Fußball sei halt so.
Aber dann kam der Abend, an dem der richtige Stoff ausgegeben wurde. Der FC Bayern im Rückspiel des Champions-League-Halbfinales bei Real Madrid. Ein ständiges Kurzpass-Geflippere in einem Tempo und mit einer Präzision, dass man gar nicht wegschauen konnte, weil immer was passierte. Und da dachte ich (vor dem Fernseher): Aaah, daaas ist Fußball.
Nun wird der kapitalismus- und kommerzialisierungskritische Einwand selbstredend sein, dass die Bayern nach 20 Jahren Champions League das Geld haben, um sich durchgehend höchstqualifiziertes Personal zu leisten, und die anderen Bundesligisten abgeschlagen sind. Stimmt, aber das verfehlt meinen Punkt. Viel Geld ist die Grundlage, aber dann braucht man einen Fußballstil, der Erfolg und Ästhetik zusammendenken kann, auf Ballbesitz angelegt, aber nicht dogmatisch, sondern variabel.
Dazu als Drittes, das ist die am meisten unterschätzte Tugend der Bayern, einen ganz großen Spirit. In alten Denken wird das als Identifikation mit dem Klub, der Stadt, den Fans verstanden. Perdu: Den Spitzenfußballer muss man von der Idee überzeugen. Diese Identifikation mit der Idee hat Josep Guardiola den Bayern-Profis beigebracht und so macht das auch Jupp Heynckes. Den Spirit spürt man von Ribéry bis James. Die Bayern gewinnen ihre Bundesligaspiele eben nicht „nebenbei“, sondern weil sie jedes Mal mit dem Spirit auflaufen, zu gewinnen. Es war berührend, wie Thomas Müller nach dem Aus in Madrid mit seinem Clownsgesicht das Fernsehmikrofon nicht mehr verlassen konnte, weil er das Spiel der Bayern und das Ergebnis nicht zusammenbrachte. In diesem Moment spürte man, was er spürte: Das war ganz großer Fußball. Peter Unfried
50 + 1 = 68
Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich für ein Buchprojekt („Wir sind der Verein“, Verlag Die Werkstatt) mit AktivistInnen über Mitsprache im deutschen Fußball geredet. Die Stimmung war so lala, der Tenor fatalistisch. 50+1 ist sowieso tot; die Fanszene in Deutschland sei vielerorts weichgespült, habe resigniert. Und überhaupt, was soll man da oben noch erreichen?
Mit der Protestbewegung, die diese Saison kam, hätte niemand, wirklich fast niemand, gerechnet. Und mit ihrem Erfolg. Denn ist nicht Fanprotest reaktiv, punktuell, ausgelöst durch konkrete Krisen?
Die Fußballgeschichte schien dem recht zu geben. Diese Saison aber, dieser Frühling der Fankultur, hat erstmals so großflächig ohne wirtschaftliche oder vereinsinterne Krise funktioniert.
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Und ist damit nicht unähnlich dem politischen 68. Damit sich die Produktivkräfte gegen die Produktionsverhältnisse auflehnen, brauche es eine wirtschaftliche Krise, einen Auslöser, so die gern genannte Theorie.
Aber: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ ist nicht zwangsläufig. Es gibt also auch im Fußball Menschen, die mit vollen Bäuchen Hunger nach Neuem haben.
Die Fankultur hat in der letzten Saison in Deutschland vielleicht ihr fußballerisches 68 erlebt. Eine Welle von Protesten ohne vorangegangene Vereinsinsolvenz, ohne lokalen Streit gegen einen Investor. Der Widerstand war bundesweit, gut organisiert, langfristig und effektiv. Er war alles, was Fans kaum jemand zugetraut hatte. Die seien ja so kleinbürgerlich in ihren Vereinsgrenzen drin, wer denkt denn ans große Ganze?
Die AktivistInnen in dieser Saison hatten konkrete Forderungen, und sie haben mit dem vorläufigen Verbleib von 50+1 einen respektablen demokratischen Erfolg erzielt. Wie lange der vorhält, weiß niemand. Aber wer künftig in ausländischen Ligen von Rebellion träumt, wird wieder auf die Bundesliga schauen.
Zu einem echten 68 fehlt nur eines: der große Traum, die Utopie. Im bürgerlich-konservativen Milieu des Fußballs ist der Antrieb eher Tradition denn Revolution. Es fehlen die wilden Wünsche jenseits von „50+1 bleibt“, die öffentlich diskutierten Gegenkonzepte außerhalb nischiger Projekte. Doch das muss nicht so bleiben.
Diese Saison hat gezeigt, was erreichbar ist. Und Fans haben im modernen Fußball einen Vorteil, den niemand gern ausspricht: Sie sind Kunden. Die Fußballindustrie hängt von ihnen ab. Da oben ist noch nicht alles verloren.Alina Schwermer
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