Empfang für Oleg Senzow in Berlin: Gegen die Propaganda-Armee
Anfang September ist Oleg Senzow aus russischer Haft freigekommen. Nun lud die ukrainische Botschaft seine Unterstützer zu einem Treffen mit ihm.
Es war ein anrührender Empfang. Die ukrainische Botschaft in Berlin hatte die Menschen eingeladen, die sich in den vergangenen Jahren in Deutschland für die Freilassung des ukrainischen Filmemachers Oleg Senzow aus russischer Haft eingesetzt hatten.
Alle Plätze in dem kleinen Raum waren besetzt, als der ukrainische Botschafter Andriy Melnyk den Regisseur begrüßte, der zu Monatsbeginn im Zuge eines Gefangenenaustauschs zwischen der Ukraine und Russland freigekommen war.
Immer wieder standen die Menschen, die sich versammelt hatten, auf und applaudierten. Dankesworte wurden gesprochen, Tränen flossen. Die Unterstützer, von denen nicht wenige an den regelmäßigen Mahnwachen vor der russischen Botschaft in Berlin teilgenommen haben, ließen sich ihre Transparente signieren, versuchten mit Senzow ins Gespräch zu kommen.
Die Freiheit vernichten
Sie hätten gerne mehr gewusst über die Lagerhaft, zu der der Filmkünstler 2014 in Russland verurteilt worden war. Er soll, so die russische Justiz, Terroranschläge auf der Krim vorbereitet haben, nachdem sich die Russen angeschickt hatten, die Halbinsel zu übernehmen. Zu zwanzig Jahren ist er in Russland verurteilt worden.
Worum es Senzow ging, machte er am Freitagabend in Berlin noch einmal deutlich. Auf dem Euromaidan, für den er sich drei Monate lang in Kiew engagiert hat, habe er gespürt, wie es sich anfühlt, wenn die Zivilgesellschaft erwacht. Als er sah, wie sich die Russen drangemacht hätten, genau die Freiheit zu vernichten, für die in Kiew Tausende auf die Straßen gegangen waren, engagierte er sich auf der Halbinsel, auf der er 1976 geboren wurde.
Auch wenn er müde aussieht nach einem dreitägigen Terminmarathon in Berlin, ist die Kraft zu spüren, die ihn antreibt, wenn er sagt, dass er seinen Kampf weiterführen wird. Ideen für fünf Kinoprojekte habe er im Kopf, gerade ist in der Ukraine eine neue autobiografische Erzählung von ihm erschienen, in der es um seine Uni-Zeit im Kreis von Businessstudenten geht. Und doch will er Aktivist bleiben, seinen Kampf gegen die Diktatur fortsetzen.
Er überrascht mit zwei Zahlen, die noch keiner genannt hat: Auf der Krim gebe es 86 politische Gefangene, im Donbass seien es 227. Wenn er das sagt, weiß er, dass die russische Propagandaarmee im Netz alles unternehmen wird, die Zahlen als unglaubwürdig dastehen zu lassen. Propaganda und Provokationen sei er gewohnt, schreibt er auf seiner Facebook-Seite. Er lasse sich davon nicht beeindrucken.
Einem, der 144 Tage im Hungerstreik war, um Russland die WM 2018 „zu versauen“, wie er sagt, muss man das glauben. Auch deshalb sind es die Aktivist_innen, die Senzow am Ende danken für seinen Kampf für die Ukraine. Sie wollen noch wissen, was man denn nur tun könne, um den Gefangenen zu helfen, die noch immer einsitzen.
„Briefe schreiben“, sagt Senzow. „Einfach etwas aus dem Alltag erzählen“. Auf Russisch, nicht auf Ukrainisch, sonst kämen die Briefe nicht durch. Er jedenfalls habe alle Briefe aufgehoben, die bei ihm angekommen seien, habe sie immer mitgenommen, wenn er an einen anderen Ort verlegt worden sei. Noch so ein rührender Moment an diesem Abend in Berlin.
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