Embargo gegen Russland: Auf Öl gebaut
Die Raffinerie in Schwedt wird in großen Teilen mit russischem Öl versorgt. Es gibt Pläne für den Öko-Umbau der Region. Aber das dauert.
M anchmal stellt sich Katrin Wallura auf eine Empore an der Stirnseite ihrer riesigen Halle und macht ein Foto. 4.500 Quadratmeter, zwölf Meter hoch, durchflutet von Sonnenlicht, das durch die raumhohen Fensterfronten der Seitenwände fällt. „Schön, oder?“, fragt die Maschinenbauingenieurin, „und was Sie riechen, das ist Rohöl“.
Die fußballfeldgroße Halle hat Wallura von der örtlichen Raffinerie PCK gemietet, als eine von zwei Geschäftsführerinnen der Firma A&W. Zusammen mit der Betriebswirtin Maren Blank leitet sie die GmbH mit 62 Mitarbeiter:innen. Die A&W – Apparate und Wärmetauscherbau – baut und repariert Geräte, mit denen sich Wärme übertragen lässt. Raffinerien benötigen Wärmetauscher in ihren Anlagen, genau wie die chemische Industrie, Batteriefabriken oder Kraftwerke. Hunderte von Wärmetauschern stehen in den Anlagen der PCK-Raffinerie in Schwedt an der Oder im Nordosten Brandenburgs. Sie zu erneuern, instand zu halten und zu pflegen macht über 60 Prozent der 10 Millionen Euro Jahresumsatz des Mittelständlers A&W aus.
Vor beinahe acht Jahren haben die beiden Frauen, 59 und 54 Jahre alt, ihre Firma auf den Trümmern gescheiterter Privatisierungsversuche des Vorgängerunternehmens aus DDR-Zeiten gegründet. Seitdem haben sie 2 Millionen Euro in Maschinentechnik investiert, in Schweißtechnik, in Fräs- und Bohrmaschinen.
Derzeit arbeiten sie einen Großauftrag für die PCK-Raffinerie ab – PCK steht für Petrochemisches Kombinat, so hieß die Raffinerie zu DDR-Zeiten. Was wird daraus jetzt, mit dem Embargo, fragen sich Wallruba und Blank. Storniert die PCK Aufträge? Bleibt sie zahlungsfähig? Wechseln neue Gesellschafter ihre Geschäftspartner?
Maren Blank, Geschäftsführerin bei A&W
Am schlimmsten, da sind sich die Geschäftsfrauen einig, sei die Unsicherheit. „Niemand informiert uns, niemand spricht mit uns“, sagt Blank, „wir lesen Zeitung und schauen Nachrichten im Fernsehen, und dann überlegen wir, was das für uns heißen könnte“.
Seit Wochen hören sie in den Nachrichten, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit Hochdruck daran arbeitet, Gas und Öl aus Russland durch Energieträger aus anderen Ländern zu ersetzen. Das ist dem Grünen erstaunlich schnell gelungen. Beim Öl gibt es nur noch einen akuten Problemfall – und das ist Schwedt und die Raffinerie PCK.
Inzwischen kennt wohl jeder, der Nachrichten hört, das russische Wort für Freundschaft, Druschba. So heißt die Pipeline, die die Raffinerie in der kleinen Stadt an der Oder mit Öl versorgt. 34.000 Einwohner, ein Theater, ein Fluss und, hinter blühenden Bäumen, Wiesen und einer Bundesstraße, die Raffinerie. Wer in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder im Westen Polens tankt, egal ob Benzin oder Diesel, der erhält seinen Sprit von der PCK. Auch den Berliner Flughafen beliefert Schwedt.
1990 haben hier noch 9.000 Menschen gearbeitet, jetzt sind es rund 1.200; einige hundert verdienen ihr Gehalt bei Firmen, die direkt auf dem Gelände angesiedelt und mehr oder weniger von der PCK abhängig sind. So wie bei A&W. „Wenn es der PCK gut geht, dann geht es Schwedt gut – und umgekehrt“, sagt Wallura. Da wäre doch schön, findet Blank, wenn Habeck herkäme und sich die Lage vor Ort mal ansähe.
Als Blank das sagt, ist Michael Kellner schon lange wieder verschwunden. Der ehemalige grüne Wahlkampfmanager ist zwar nicht Minister Habeck, aber immerhin sein parlamentarischer Staatssekretär. An diesem Montag hat er zu einer „Bioökonomie-Tour“ nach Schwedt geladen, seinem Wahlkreis. Der Anlass ist eher weniger aufregend, ein Atlas mit Bioökonomie-Regionen, die das Ministerium Ende Mai herausgibt.
Die Stadt Schwedt an der Oder hat knapp 34.000 Einwohner und liegt im nordöstlichen Brandenburg am Nationalpark „Unteres Odertal“ nahe der Grenze zu Polen. Im Zweiten Weltkrieg zu 85 Prozent zerstört, wurde Schwedt in der DDR wiederaufgebaut. Der Staat siedelte dort große Industrieunternehmen an, die Bevölkerungszahl stieg. Zeitweilig wohnten hier mehr als 50.000 Menschen. Nach der Wende 1989/90 verlor Schwedt Unternehmen, Arbeitsplätze und Einwohner, ganze Straßenzüge wurden abgerissen.
Die Raffinerie Die PCK-Raffinerie ging im Jahr 1964 in Betrieb, zeitgleich mit der Pipeline „Druschba“, die in Schwedt endet. Das Unternehmen verarbeitet derzeit jährlich rund 12 Millionen Tonnen russisches Öl zu Benzin, Diesel, Heizölen, Flüssiggas, Bitumen, Kerosin und zu chemischen Grundstoffen. Bislang gehört die Raffinerie zu 54 Prozent den russischen Konzern Rosneft, zu 37,5 Prozent Shell und zu 8,3 Prozent dem italienischen Mineralölkonzern Eni. (taz)
Und nun das. Ausgerechnet in den Tagen, an denen ein Embargo russischen Öls immer konkreter wird, kann Kellner zeigen, „welche positiven Ansätze es im Bereich der Transformation hin zu einer klimafreundlichen und biobasierten Industrie schon gibt“. Es geht also um kleine, große, junge und etablierte Firmen, die aus nachwachsenden Rohstoffen, Pflanzen und oder Abfall Produkte herstellen und somit fossile und primäre Rohstoffe ersetzen.
Langfristig steht es schlecht ums Öl
Denn es ist ja so, dass sich hier, in der rapsgelben, weißblühenden und sanftwelligen Uckermark, gerade zwei Prozesse überschneiden, ein aktueller, kurzatmiger, der eine enorme Aufmerksamkeit erfährt, und ein langfristiger, aber umwälzender, meist knapp unterhalb des Radars des Publikums. Nun wirft das Öl-Embargo gegen Russland ein grelles Licht auf die Tatsache, dass in wenigen Jahren in den Erdölraffinerien des Landes die Lichter sowieso ausgehen werden. Autos werden dann elektrisch fahren, Heizöl durch Wärmepumpen, Solar- oder Geothermie ersetzt – deshalb braucht Deutschland Strom, kein Öl. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe schätzt, dass über 80 Prozent der heutigen Absatzmärkte von Raffinerien im nächsten Jahrzehnt wegbrechen werden.
In der Uckermark geht es jetzt erst einmal um die nächsten Monate. Wirtschaftsminister Habeck versichert am Mittwoch, die Bundesregierung werde dafür Sorge tragen, dass eine andere Ölversorgung auch für Schwedt sichergestellt werden könne. Bislang ist die Eigentümerstruktur der PCK ein Knackpunkt: Größter Anteilseigner ist mit 54,1 Prozent der russische Staatskonzern Rosneft, es folgen Shell mit 37,5 und der italienische Mineralölkonzern Eni mit 8,3 Prozent.
Dass Rosneft es zulässt, dass die PCK künftig Öl aus anderen Quellen als Russland verabeitet, ist schwer vorstellbar. Es gilt also, Rosneft zu ersetzen. Vorstellbar ist, dass Shell den Betrieb zeitweilig übernimmt. Mit alternativen Quellen könnte die Raffinerie rund 70 Prozent der aktuellen Leistung aufrechterhalten. Sie würde dann mit Öl arbeiten, das in den Häfen Rostock und Danzig angelandet und dort in Pipelines eingespeist wird.
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister
Die Unternehmervereinigung Uckermark bezweifelt, dass Ersatzlieferungen etwa aus Saudi-Arabien, Venezuela, Iran, den Vereinigten Staaten oder Kanada kurzfristig durchzuführen seien. Verfahrenstechniker weisen auf den hohen Schwefelgehalt russischen Öls hin, auf den die Anlagen in der PCK eingestellt seien – eine Umrüstung sei schwierig und brauche Zeit. Habeck gelobt ausreichend lange Übergangsfristen, räumt aber auch ein, es könne auch „stockend“ werden, vor allem regional. Die klare Aussage der Bundesregierung sei, „dass der Standort erhalten bleiben soll, dass wir dort eine zukunftsfähige Industrie aufbauen wollen, dass das Embargo gegen russisches Öl nicht dazu führt, dass in der Region die Lichter ausgehen“.
Strukturwandel braucht Zeit
Genau das ist auch die Sache von Sascha Lademann. Der Betriebswirt, 33, anthrazitgrauer Anzug, gemütliche Statur, arbeitet daran, Schwedt unabhängig vom Öl zu machen. Einige Jahre lang hat Lademann den Transformationsprozess in der Lausitz begleitet, seit Kurzem ist er Projektleiter Industriemanagement im Investcenter Uckermark, der kreiseigenen Wirtschaftsgesellschaft, die mit Forschungsinstituten und der Stadt zusammenarbeitet.
„Der Strukturwandel“, sagt Lademann, „muss hier noch in der Mentalität der Leute ankommen.“ In der Lausitz, im Süden Brandenburgs, da gebe es schon eine Aufbruchstimmung, seit klar ist, dass die Kohle dort keine Zukunft hat, weswegen mit viel Geld Wissenschaft, Verwaltung und Infrastruktur aufgebaut werden. Die Aufbruchstimmung und Strukturen seien nötig für Veränderung, sagt Lademann.
Und so steht er am Montag mit Laptop und Beamer bewaffnet auf dem grauen Teppich eines Besprechungsraums und erklärt Staatssekretär Kellner und seinem Tross, was bislang noch alles fehlt für die Transformation in Schwedt. In der überalterten Stadt gibt es zu wenige Fachkräfte. Es mangelt an Forschungseinrichtungen. Außerhalb der Industrie sind Produktivität und Lohnniveau gering.
Konzentriert arbeitet Lademann die Punkte auf seiner Folie ab, als es den grünen Staatssekretär nicht mehr auf seinem Stuhl hält. Ganz offenbar ist er nicht hier, um sich Probleme anzuhören. „Haben Sie auch ’ne Folie mit den Stärken?“, ruft Kellner, „oder stört es Sie, wenn ich jetzt unterbreche?“ Man müsse doch auch sagen, dass es große Stärken gebe in Schwedt, in der Region, fährt Kellner fort, und zwar das große Angebot an Platz und an grüner Energie. Deswegen sei ja auch Tesla nach Brandenburg gekommen und Intel nach Magdeburg.
Lademann nickt brav und erzählt weiter, von der „reifen technologischen Basis“, die einem hohen Transformationsdruck unterliege. Da hat Kellner schon längst die Arme vor der Brust verschränkt und redet mit seinem Nachbarn.
Wenn sich der Staatssekretär drückt
Annekathrin Hoppe aber hört zu. Die Bürgermeisterin von Schwedt, SPD, hat dem Staatssekretär am Montagmorgen ein Protestschreiben gegen ein russisches Öl-Embargo überreicht. Es ist schon der dritte Brief, den sie seit Beginn des Krieges in der Ukraine an das Wirtschaftsministerium geschrieben hat. Robert Habeck, sagt sie, solle nach Schwedt kommen und mit den Bürgern, mit den Mitarbeitern der Raffinerie und mit ihr diskutieren. „Ich will ihn nicht von seinem grünen Weg abbringen, von erneuerbaren Energien und dem Auslaufen der Fossilen“, sagt Hoppe. „Aber für diesen Prozess brauchen wir Zeit und Geld.“
Der Innovationscampus, der entstehen und Start-ups anziehen soll, der könne leicht 40 Millionen Euro kosten. „Selbst wenn ich 80 Prozent Fördergelder aus Brüssel bekomme“, rechnet sie vor, „muss ich immer noch 8 Millionen Euro aus dem Haushalt der Stadt beisteuern.“ So viel Geld sei im kommunalen Haushalt, aus dem die Kitas, die Schulen oder die Abwasserentsorgung bezahlt werden müssten, nicht zu holen. „Ohne Hilfe vom Bund geht das nicht.“ Das hat sie dem Staatssekretär Kellner deutlich gemacht. Und?
„Er ist allgemein geblieben“, sagt Hoppe, „etwas Konkretes habe ich von ihm nicht gehört“. Dabei sieht auch die studierte Bauingenieurin durchaus, dass in den grünen Projekten die Zukunft liegt, auch für Schwedt. Um die Firma Bio-Lutions hat Hoppe intensiv geworben; das Start-up ist das Vorzeigeprojekt eines Gründerzentrums, das die Papierfabrik Leipa angestoßen und bislang finanziert hat und das in der industriellen Zukunft Schwedts eine wichtige Rolle spielen soll. „Bio-Lutions ist großartig“, sagt sie, „davon brauchen wir mehr“.
Selbstverständlich steht die junge Firma auch auf dem Programm des Staatssekretärs. Dieser Programmpunkt ist eher nach Kellners Geschmack: Das international aufgestellte Hamburger Unternehmen hat eine Technologie entwickelt, aus bislang wertlosen Reststoffen, beispielsweise Abfällen aus dem Papierrecycling, und Pflanzenfasern Kunststoffe herzustellen, wasser- und energiesparend, ohne Chemikalien.
Im Angebot sind Platten, die zu Möbeln oder als Verkleidung verbaut werden können, lebensmittelechte Schälchen und Besteck. Die Fasern stammen aus Wiesen der Umgebung, die zu Feuchtgebieten zurückentwickelt werden. Fast zu schön, um wahr zu sein. Ende Juni soll die Produktion starten, 20 Mitarbeiter werden dort rund um die Uhr arbeiten. „Ich freue mich, dass hier etwas entsteht“, sagt Kellner.
In der Bioraffinerie gibt man sich gelassen
Sein nächster Termin – der Besuch der Bioraffinerie auf dem Gelände der PCK – ist schwieriger. Ob die Anlage des Leipziger Unternehmens Verbio wirklich öko ist, ist mindestens umstritten. Die Klimabilanz dieser Kraftstoffe sei, rechnen Energieexperten vor, nicht besser als der fossilen Sprits. Und erst vor wenigen Tagen hatte die grüne Umweltministerin Steffi Lemke betont, angesichts der kriegsbedingten Lebensmittelkrise sei einmal mehr deutlich geworden, dass Ackerflächen für die Lebensmittelproduktion freigehalten werden müssten. Agrarkraftstoffe aus Lebensmitteln seien keine sinnvolle Option. Die Biokraftstoffbranche mit ihrem Flaggschiff Verbio tobte.
Auf dem Gelände der PCK, Zufahrtsstraße K, stellt die Firma Biodiesel, -ethanol und -gas her, aus Stroh, Lebensmittelresten und minderwertigem Getreide. „Was wir hier verarbeiten, wollen Sie nicht auf Ihrem Teller haben“, sagt Geschäftsführer Klaus-Dieter Bettien, während er mit weißem Helm auf dem Kopf über das Werk führt. Die Bioraffinerie wirkt, mit ihren hochhaushohen Betonsilos, dem blitzenden Geflecht aus metallenen Rohren und Leitungen, wie eine schlichtere Version der Erdölraffinerie. Nur riecht es hier anders, nicht nach Rohöl, sondern, je nach Prozessschritt, nach Stroh, Gülle oder Schnaps.
Gegenüber einem Embargo auf russisches Öl gibt sich Bettien einigermaßen gelassen. Die Verbio beziehe für ihre Produktion Dampf und Strom vom Kraftwerk. In der allergrößten Not könne man sich mit Strom aus dem eigenen Biogaskraftwerk auch selbst versorgen, sagt Bettien. Und für den Diesel und Benzin aus Pflanzen müsse man sich eben neue Abnehmer suchen, wenn die PCK ausfalle. „Wir prüfen derzeit im Hintergrund, wie wir mit einer reduzierten Produktion oder gar mit einem Produktionsstopp umgehen könnten“, sagt er.
Ihn treibt die langfristige Perspektive viel mehr um. Bevor Staatssekretär Kellner wieder in sein Auto springt, nimmt Bettien ihn also zur Seite und bittet ihn „um einen Kontakt mit Umweltministerin Lemke“. Kellner verspricht’s und verschwindet mit langen Schritten in seiner Limousine, Richtung Eberswalde, auch dort wartet noch ein Projekt.
Und so fährt er davon, auf der Zufahrtsstraße K, während ein paar hundert Meter weiter Wallura und Blank über ihre eigene Transformation nachdenken. Auch ihnen ist klar, dass das Geschäft mit dem Öl enden wird. Sie haben schon Angebote für Wärmetauscher für Batteriefabriken erarbeitet, welche für die benachbarte Bioraffinerie abgegeben. Aber die benötigen andere Techniken, andere Anlagen. „Wir kommen halt aus der Erdölraffinerie, das können wir“, sagt Wallura, schiebt aber schnell hinterher: „Natürlich überlegen wir jetzt, wir brauchen eine neue Strategie.“
Und – schaffen sie das, jetzt, nach zwei Jahren Corona, zerstörten Lieferketten und Kurzarbeit? „Natürlich“, sagt Katrin Wallura, „aber wir brauchen Zeit, wir brauchen die Möglichkeit, auf neue Verhältnisse zu reagieren“. Eine Transformation, sagt sie, könne doch nur dann gelingen, wenn sie auch alle mitnimmt.
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