Elternaufstand gegen Kinderheim: „Nicht auszuhalten“
Eine Elterngruppe kritisiert das Kinder- und Jugendhaus St. Josef in Bad Oldesloe auf einer Website. Die Einrichtung weist die Vorwürfe zurück.
Eine Besonderheit am „St. Josef“ ist, dass es neben regulären Wohngruppen auch zwei flexible Gruppen für Inobhutnahmen hat. Dort kommen Kinder erst mal hin, die das Jugendamt aus ihren Familien genommen hat oder die von sich aus um Aufnahme bitten.
Die Gruppe „Eltern Erfahrungsaustausch St. Josef Bad Oldesloe“ kritisiert zum einen, dass ihre jugendlichen Kinder im Haus St. Josef häufig wegliefen. Es sorgt sie, dass in Bad Oldesloe bei einem Parkhaus und in der Fußgängerzone Jugendliche sitzen und Drogen konsumierten.
Die taz sprach mit sechs Eltern, die Hälfte von früheren Bewohnern. Sie beschreiben einen schlechten Einfluss, unter den ihre Kinder gerieten, dass sie zu sehr sich selbst überlassen seien. „Als meine Tochter noch bei mir lebte, ging sie jeden Tag zur Schule“, berichtet die Mutter einer jungen Frau, die bis 2018 dort war. Ihre Tochter sei früher eine gute Schülerin gewesen. Nachdem sie mit 15 ins Heim gekommen sei, habe sie die Schule ohne Abschluss verlassen.
Eltern würden „zu spät über Vorfälle informiert“, lautet eine weitere Kritik auf der Liste. Sie würden von den Erziehern nicht eingebunden und der Kontakt zu ihren Kindern werde verhindert. Die Kinder seien verängstigt, ihre Handys würden kontrolliert und sie dürften nicht darüber reden, was in ihrer Gruppe vor sich gehe.
Heimleiterin Brigitte Brauer und der pädagogische Leiter Stefan Götting luden am 14. März interessierte Presse zu sich ins Heim. In der Aula im Souterrain zeigten sie einen Film über den Heimalltag, gedreht von zwei Studentinnen. Zu sehen sind zufriedene Kinder, hübsche Innenräume und engagierte Betreuer.
Das Heim wehrt sich gegen die Vorwürfe: Auf Facebook würden Behauptungen aufgestellt, die „so nicht den Tatsachen“ entsprächen, heißt es in einer auf der Pressekonferenz verteilten Stellungnahme. Die Handynutzung etwa sei in einem gemeinsam mit den Jugendlichen entwickelten „Handyvertrag“ geregelt. Die Handys würden nur unter Einbeziehung der Sorgeberechtigten kontrolliert, wenn dies im Einzelfall bei internetfähigen Geräten nötig scheine.
Das Recht der Kinder auf Umgang mit ihren Eltern werde generell „unbedingt unterstützt“. Anders verhalte es sich, wenn Kinder zum Schutz vor den Eltern im St. Josef untergebracht seien. „Das Recht auf Umgang liegt beim Kind“, schreibt das Heim. Wolle oder dürfe ein Kind seine Eltern nicht sehen, werde das von den Pädagogen „so umgesetzt“.
Es gebe auch „Autonomiekonflikte“, bei denen Eltern ihre Kinder „kleinhalten“ und ein Kind keinen Kontakt zur Mutter wolle, erläutert Stefan Götting im Gespräch. Dass Eltern, die kein Sorgerecht mehr haben, sich ausgeschlossen fühlen, könne passieren, schreibt das Heim. Das Wohl der Kinder werde regelmäßig von den Behörden überprüft.
Auch dass die Jugendlichen wegliefen, komme immer wieder vor, da das St. Josef keine geschlossene Einrichtung sei. Das hänge meistens mit der Abenteuerlust der Bewohner zusammen. Die Heimbewohner träfen sich auch mit anderen jungen Menschen aus Bad Oldesloe an Orten wie besagtem Parkhaus. Anwohner hätten sich dort im letzten Jahr zwar über Lärm beschwert. Doch Drogenkonsum sei da kein Thema gewesen. Es sei wichtig, dass junge Menschen eine gesunde Haltung zu Drogen und anderen gefährlichen Substanzen entwickeln. „Wir halten es aber für falsch, einen jungen Menschen zu entlassen, nur weil er Drogen nimmt“, sagt Götting.
Die Berichte des Stormarner Tageblatt und der Lübecker Nachrichten über die Pressekonferenz provozierten Widerspruch bei der Elterngruppe. Es meldeten sich nun weitere Betroffene, die ihre Erfahrungen schildern wollten. Eine Mutter schreibt, es werde in dem Heim alles darangesetzt, dass man sein Kind nicht wieder bekommt. Eine Betreuerin habe ihrem Sohn gesagt, „wenn du so weitermachst, kommst du gar nicht mehr zu deiner Mutter“. Sie solle ihrem Kind sagen, dass das Heim auch sein Zuhause sei, „obwohl er dort einfach nur rauswill und oft weint“. Auch diese Eltern wollen anonym bleiben aus Angst vor Konsequenzen. Inzwischen erschien auf ihrer Facebookseite eine Warnung, sie könnte gesperrt werden, wenn sie gegen Standards verstoße.
Eine junge Frau, die 2021 im St. Josef war, sagt: „Viele Kinder sind abgehauen, weil sie es nicht ausgehalten haben.“ Die Betreuer redeten in „hartem Ton“. Wäre sie dort nur etwas zu spät zum Mittagessen gekommen, hätte sie bis zum Abend nichts bekommen. Zudem seien die Kühlschränke abends abgeschlossen. Einmal sei eine Bewohnerin im Zimmer eingeschlossen gewesen. Da habe sie bei den Betreuern durchgesetzt, dass sie wieder rauskam.
„Die Portionen sind zu klein“, sagt eine weitere Mutter. Die Kinder würden nicht satt. Auch ihr Kind habe kein Mittagessen bekommen, weil es von der Schule etwa zehn Minuten zu spät kam. Zudem habe ihr Kind nachmittags „Zimmerarrest“ bekommen mit von außen abgeschlossener Tür.
Heimaufsicht: keine Hinweise auf Kindeswohlgefährdung
Das wäre unzulässig. Die taz fragte im St. Josef-Heim nach und nannte auch den Monat März und den Namen der Gruppe, in der das passiert sein soll. „Es gibt keinen Zimmerarrest, da dies keine zulässige Erziehungsmethode darstellt“, antwortet Heimleiterin Brauer. Der Verdacht entwürdigender Erziehungsmethoden habe sich „nach Gesprächen mit den betroffenen Kindern nicht bestätigt“. Auf die Frage, ob sie ausschließen könne, dass dies im März in jener Gruppe passiert sei, antwortet Brauer: „Das kann ich ausschließen.“
Auch dass Kinder, die zu spät zum Mittagessen kommen, nichts bekämen, treffe nicht zu, versichert die Leiterin. Es gebe drei feste Mahlzeiten am Tag, und Bewohner, die daran nicht teilnehmen, bekämen „trotzdem zu essen“, sagt die Leiterin. Es gebe frei zugängliche Lebensmittel in den Gruppen. „Vorräte sind abgeschlossen.“
Auch die Heimaufsicht hat sich St. Josef am 17. März angesehen. Sie sei zu dem Schluss gekommen, dass es „keine Hinweise auf Kindeswohlgefährdung gibt“, sagte Sozialministeriumssprecher Patrick Tiede letzten Donnerstag, als die taz nach dem Einschluss fragte. Am Freitag erhielt die taz die Daten, an denen es im März zum Zimmereinschluss gekommen sein soll. Darunter war auch der 17. März, an dem die Heimaufsicht vor Ort war und drei der elf Wohngruppen besuchte. Ob die Aufsicht auch in jener Gruppe war, auf die sich der Hinweis bezog, blieb bis Redaktionsschluss offen. Tiede sagte, man nehme wegen dieses Vorwurfs nochmal Kontakt mit dem Träger auf.
Gebäude aus alter Zeit
Von Sorgen um ihre Tochter erzählte der taz auch die Mutter einer 17-Jährigen, die mehrfach aus dem St. Josef weglief und vor einer Woche in Berlin in Obhut genommen wurde. Der Berliner Notdienst Kinderschutz informierte die Frau und schrieb, es lägen Anhaltspunkte für „eine mögliche Kindeswohlgefährdung in der derzeitigen Einrichtung vor“. Doch dieser Brief war weder der Heimaufsicht noch dem Jugendamt vor Ort bekannt. Und das Mädchen ist wieder zurück.
Unstrittig ist, dass das vor 120 Jahren erbaute Heim recht groß ist. Von der Bauweise ähnelt es dem „Kinder- und Jugendnotdienst“ in der Hamburger Feuerbergstraße mit über 100 Plätzen für die Aufnahme in Krisen. Dort regten Forscher unlängst an, dieses Angebot zu dezentralisieren.
Gefragt, ob das St. Josef nicht zu groß sei, sagte die Heimleitung, die Größe habe auch Vorteile, man sei flexibler und „aushaltefähiger“, und die Mitarbeiter nachts nicht allein. Gleichwohl würde man heute so eine Einrichtung nicht mehr bauen.
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