Eltern und ihr Verhältnis zum Zucker: Sehr widersprüchliche Menschen

Ostern stopfen wir die Nester mit Schokolade voll, danach wird wieder Verzicht gepredigt. Zum Glück durchschauen uns die Kinder.

Eine Reihe vnn Schokoladenhasen in einem Verkaufsregal

Leider lecker: Schokolade Foto: picture alliance / Fabian Sommer/dpa | Fabian Sommer

Ich weiß nicht, ob das von der Süßwarenindustrie mit Absicht gemacht wird, aber Schokonikoläuse haben ein Verfallsdatum bis ungefähr Ostern. Bis Ende März sind sie angeblich haltbar, dann muss man sie aufgegessen haben, vermutlich damit man auch ganz sicher ausreichend in Hasenschokolade und Nougat­eier investieren will. Ansonsten soll mir mal jemand erklären, warum Vollmilchschokolade in eine öde Tafelform gepresst länger essbar sein soll als dieselbe Schokolade in eine Form (­Nikolaus, Lamm, Hase) gebracht, die sich einer kapitalistischen Verwertungslogik zuführen lässt.

Jedenfalls weiß ich das mit dem Verfallsdatum deshalb so genau, weil mein elfjähriger Sohn über die ganz erstaunliche Fähigkeit verfügt, seine Schokolade nicht zu essen, sondern aufzuheben. Er hat eine rote Dose mit Süßigkeiten auf dem Küchenregal stehen, und in dieser Dose ist garantiert immer etwas drin, das den Rest der Familie mal mehr (Kinderriegel) und mal weniger (trocken gewordene Kaubonbons von seinem Geburtstag im Sommer letztes Jahr) auf eine harte Probe stellt.

Woher nimmt das Kind diese Selbstbeherrschung? Von mir hat er’s jedenfalls nicht, und vor allem: Wäre ein Nougatei da nicht gesünder? Aber darf man sein Kind denn zum Schokolade-Essen nötigen? Und ist es überhaupt okay, im Lockdown Nummer 702 oder so über Kinderschokolade nachzudenken, hab ich etwa sonst keine Probleme?

Denke ich und esse diesen leckeren Schokoriegel mit Milchcreme aus dem Vorrat meines kleinen Sohns auf, den ich schon ungefähr dreimal wieder durch neue Ware ersetzt habe, bisher noch ohne entdeckt worden zu sein. Von dem Kleinen jedenfalls, der große Bruder weiß Bescheid.

„Entspann dich doch mal!“

„Kauft euch doch selbst Schokolade“, sagt der Große, wenn er die Erwachsenen abends in der Küche vor dem Regal erwischt. Aber natürlich weiß er auch schon längst um dieses leicht gestörte elterliche Verhältnis zum Zucker. Macht einerseits die Zähne kaputt („da kriegst du gleich noch ein Loch!“) und Pickel im Gesicht und wahrscheinlich auch noch dumm (warum denn nicht, kann ja sein). Und dann stopfen sie doch wieder das Osternest voll und raten dem Kind, sich jetzt aber wirklich mal ganz entspannt („Entspann dich doch mal, du kannst dir auch mal ein bisschen was gönnen!“) dem Schokonikolaus zu widmen („Und krieg ich was ab?“).

Eltern sind, über ihr Schokoproblem hinaus, überhaupt einfach sehr widersprüchliche Menschen. Sie wollen zum Beispiel wahnsinnig gerne Brettspiele machen, aber komischerweise nur, bis die Kinder im Bett sind. Dann vergessen sie, wie gerne sie angeblich Memory spielen wollen, und gucken Netflix.

Eltern haben auch ein Recht darauf, immer genervt zu sein von irgendetwas, und wenn das Kind dann zurückgenervt ist, ist das aber nicht okay: „Wie redest du denn mit mir?!“ – „Ich schimpf zurück, solange ich will!“, hat der Kleine neulich gekreischt, sodass es auch die Nachbarin zwei Stockwerke drüber garantiert gehört haben dürfte. Und eigentlich hat er ja recht, was will ich denn: Da erzieht man die Kinder dazu, nicht so schnell klein beizu­geben, und dann ist es auch wieder nicht recht.

Neulich war der Große nachmittags relativ viel alleine zu Hause. Er hat sich Netflix angemacht, erst „Iron Man 2“ geguckt und, weil wir nichts gemerkt haben, am nächsten Tag auch noch die Hälfte von „Iron Man 3“. Dann ist er aufgeflogen, weil ich mich über die Filme gewundert habe, die Netflix mir unter „Mein Programm“ neuerdings vorschlug.

Da erzieht man die Kinder dazu, nicht so schnell klein beizu­geben, und dann ist es auch wieder nicht recht.

Das Kind gab alles zu, war angemessen zerknirscht und holte bei der Gelegenheit auch gleich die leere Chipstüte hinterm Kleiderschrank hervor, die offenbar immerhin zwei Filme gehalten hatte („Ich hab die auch nicht alle auf einmal gegessen!“).

Ich hab natürlich ein bisschen geschimpft, ich dachte, das sei angemessen. Und gedacht: Wie schön, das Kind fängt langsam ernsthaft an, nicht das zu machen, was man ihm sagt. Also entspann dich.

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Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.

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