Elfjährige von Schule geworfen: Pieks in den Po
Zwei Elfjährige sollen Schule wegen sexueller Belästigung verlassen. Eltern ziehen vor Gericht. Ihr Anwalt sagt, es werde mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Hamburg taz | Unsittliche Berührung, so lautet der Vorwurf: Wegen eines Vorfalls auf einer Klassenfahrt sollen zwei Elfjährige von ihrer Gesamtschule in Hannover-Langenhagen fliegen. Dagegen ziehen die Eltern nun vor Gericht. „Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, sagt ihr Rechtsanwalt Thorsten Hatwig.
Erstmals berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung vor zwei Wochen über den Fall – damals sah es noch so aus, als würde die Schule die beiden Elfjährigen nur suspendieren, wenn auch für drei Monate. Die Eltern selbst bestätigten damals, die beiden hätten auf einer vorangegangenen Klassenreise an drei Tagen in Folge drei Mädchen die T-Shirts hochgezogen, Klapse auf den Po gegeben oder auch an die Brüste gegriffen.
„Ein Gespräch zwischen den Eltern der Jungen und der Mädchen wurde von der Schule nicht gestattet“, berichtet Anwalt Hatwig. Am vorletzten Tag der Reise erst habe die Lehrerin per SMS darüber informiert, dass deren Söhne an diesen Übergriffen beteiligt gewesen sein sollten und es „eine Konferenz und disziplinarische Maßnahmen“ geben werde.
Üblicherweise werden Eltern aufgefordert, ihre Kinder abzuholen, wenn es große Probleme gibt, doch das unterblieb in dem Fall. Stattdessen seien die Jungs von der Schulleitung „verhört“ worden, sagt Anwalt Hatwig. Eingeschüchtert sei einer der Jungs nach Hause gekommen und habe gefragt: „Mama, bin ich ein Vergewaltiger?“
Erziehungsmittel und Ordnungsmaßnahmen hat Niedersachsen in Paragraf 61 des Landesschulgesetzes geregelt.
Ordnungsmaßnahmen sind unter anderem dann zulässig, wenn Schüler Pflichten grob verletzen, dem Unterricht fernbleiben oder ihn nachhaltig stören.
Die mildeste Maßnahme ist der Ausschluss von einem Fach für bis zu einen Monat. Am anderen Ende der Skala steht der Verweis – von allen Schulen. Dieser setzt voraus, dass der betreffende Schüler die Sicherheit von Menschen ernstlich gefährdet oder den Schulbetrieb schwer beeinträchtigt.
Die Entscheidung über einen Schulverweis trifft in Niedersachsen die Klassenkonferenz, genehmigen muss ihn danach noch die jeweilige Schulbehörde.
Höhere Hürden gibt es beispielsweise in Hamburg: Hier entscheidet über einen Schulverweis die Behörde, wenn ihn zuvor die Lehrerkonferenz einer Schule beantragt hat.
Laut dem Hamburgischen Schulgesetz müssen Ordnungs- immer mit Erziehungsmaßnahmen verknüpft werden.
Die Schule habe auch die Staatsanwaltschaft und das Jugendamt eingeschaltet. Erstere habe die Sache aber gleich wieder eingestellt. Es handle sich nach den Schilderungen, die ihm bekannt seinen, unter einvernehmliche gegenseitige Handlungen, wie unter Pubertierenden durchaus üblich, sagt der Rechtsanwalt – „das hat nichts mit sexuellen Übergriffen zu tun“. Die Mädchen und Jungen sollen im Kreis gelaufen sein, wobei jeder den anderen am Po gepiekt habe. Auch Mädchen sollen versucht haben, einem Jungen die Hose runterzuziehen.
Die Phase der sexuellen Rollenspiele, in der Kinder sich gegenseitig erkunden, sei ab dem achten Lebensjahr „eigentlich vorbei“, sagt Ursula Mathyl von der Beratungsstelle „Violetta“ in Hannover. Dennoch lasse sich das Verhalten von Elfjährigen nicht vergleichen mit dem von Erwachsenen. „Wir sprechen deshalb nicht von Tätern, sondern von sexuell grenzverletzenden Kindern“, so Mathyl.
Wie sexuelle Aktivitäten unter Kindern zu bewerten sind, hängt ihr zufolge auch von der Freiwilligkeit und dem Machtgefälle ab. „Sobald Pädagogen von Übergriffen Kenntnis haben, sollten sie intervenieren“, sagt die Expertin. Hamburg habe dazu einen guten Leitfaden entwickelt.
Die Schule hätte eine Beratungsstelle wie Violetta einschalten müssen, sagt Anwalt Hatwig. Stattdessen gab es zweieinhalb Wochen nach der Reise eine Klassenkonferenz, bei der dann die Suspendierung herauskam. Zwei weitere Jungs seien zu zwei Monaten Putzdienst verpflichtet worden.
Die Eltern der Suspendierten legten Widerspruch ein, weshalb nun am Montag erneut eine Konferenz tagte. Sie hob die Suspendierung auf – und verwies die beiden Kinder der Schule. „Man hebt die eine Strafe auf und verfügt noch eine härtere“, sagt Hatwig. Dieses Vorgehen sei unverhältnismäßig – und damit rechtswidrig. Im Namen der betroffenen Eltern ficht er die Entscheidung nun in einem Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht an.
Die Schulleitung äußert sich nicht zu dem Fall, ebenso wenig die Landesschulbehörde in Lüneburg. Sie muss den Verweis überhaupt erst noch genehmigen. Das ist Hatwig zufolge aber noch nicht geschehen.
Leser*innenkommentare
Andreas_2020
Also auch die Suspendierung über drei Monate bei Bestehen einer Schulpflicht und Schulgesetzen, die Lernfortschritte praktisch vorschreiben, ist m.M. illegal und pädagogisch gar nicht begründbar. Aber der Schule scheint die Angst im Nacken zu sitzen. Normalerweise sollte in so einem Fall das Gespräch, ein Schulsozialarbeiter, Schulpsychologe/inn ausreichen, um zu einer tragfähigen Ausgangslage für alle zu kommen.
Sapperlot
Das ist wohl Gleichberechtigung auf Deutsch. Eine Gruppe Kinder bestehend aus Jungen und Mädchen piksen sich gegenseitig in denn Hintern und versuchen sich gegenseitig die Hosen herunterzuziehen. Die Lehrerin bestraft dafür aber nur die Jungen und das gleich sehr drakonisch. Den Mädchen passiert gar nichts. Das ist übelster Sexismus. Diese Lehrerin ist doch für den Schuldienst absolut ungeeignet, zumindest für gemischte Klassen.
JoWall
Während einer Klassenfahrt in der Altersgruppe liegt die Aufsichtspflicht und Verantwortung ja wohl bei den Lehrern der Schule. Scheint so als ob da was schief gelaufen ist und nun werden Sündenböcke gesucht.
mowgli
Wie bitte? "Ein Gespräch zwischen den Eltern der Jungen und der Mädchen wurde von der Schule nicht gestattet"? Und das hat dann die Eltern davon abgehalten, miteinander zu reden?
Du meine Güte! Wer hätte gedacht, dass Schule als Autorität so nachhaltig wirken kann!
Nun ja. Die Phase jener "Rollenspiele", in denen man die eigenen Kräfte sowie "sich gegenseitig erkunde[t]", sollte "eigentlich vorbei" sein, wenn man selber Kinder hat bzw. welche unterrichtet. Aber die Infantilisierung der Gesellschaft schreitet ja rasant voran. Wieso sollte das ausgerechnet in Hannover-Langenhagen anders sein? Weil Lehrer anders ticken als normale Menschen?
Bandari
mowgli
Sie ist sogar schon ab 2,00 Euro zu haben - und kann bis 55 Euro kosten. :-)
Hilft aber nichts. Denn grau, mein Freund, ist alle Theorie. Die Kids wollen nicht noch mehr kluge Bücher lesen als sie schon lesen müssen. Sie wollen lieber Spaß haben. Blöd nur, dass Spaß etwas so individuelles ist...