Einzigartiges Computergame „Indika“: Dostojewskis Spiel
„Indika“ ist eines der ungewöhnlichsten und faszinierendsten Spiele der letzten Jahre. Seine Kreativität sprengt alle Genregrenzen.
Die junge Nonne Indika stapft durch den hohen, russischen Schnee. Sie soll für ihren Orden einen Brief übermitteln. Für den Auftrag geht sie durch dichten Schnee, verlassene Fabriken und einsame Wälder. Doch Indika hat einen stetigen, wenn auch unliebsamen Begleiter: Der Teufel steckt in ihrem Kopf. Mit philosophischen Fragen will er sie verführen und vom Glaubensweg ihres russisch-orthodoxen Ordens abbringen. Was folgt, ist eine einzigartige Reise, die „Indika“ zu einem der kreativsten und überraschendsten Spiele der jüngsten Zeit macht.
Die intensiven Dialoge zwischen Nonne und Teufel machen sich auch spielerisch bemerkbar. „Indika“ setzt auf eine Vielzahl an Rätseln, die mal cleverer und mal weniger inspiriert wirken. Für viele der Hindernisse muss man zwischen der Realität und der Hölle in Indikas Kopf wechseln, wodurch sich Umgebungen verändern. Neben den Rätseln kann man eine kleine, dafür aber umso detailliertere Welt entdecken.
Man wird das Gefühl nicht los, dass in dieser Welt, dem Russland des 19. Jahrhunderts, etwas nicht stimmt. Die Technik scheint weiter zu sein, als sie es damals tatsächlich war, und eine leichte Steampunk-Ästhetik begleitet die Spieler:innen. Überall finden sich christliche Götzenbilder und seltsame Maschinerien. Und dann, wenn man bereits denkt das Spiel durchschaut zu haben, wandelt es sich in ein zweidimensionales 8-Bit-Spiel und wird zu einem Jump ’n’ Run.
Auch wenn „Indika“ gerne mal Genregrenzen überspringt, ist der Kern des Spiels die meisterliche Erzählung. Die Kritik an der russisch-orthodoxen Kirche und ihrer Forderung nach Disziplin und Gehorsam ist permanent, die Inszenierung ist erwachsen und tragisch. Literat:innen werden sich durch die Atmosphäre des Spiels an russische Autor:innen wie Bulgakow, Gogol und besonders Dostojewski erinnert fühlen.
Intensive Atmosphäre
Die berüchtigte Schwermütigkeit der russischen Literatur mischt sich in „Indika“ mit der Kreativität und Sprunghaftigkeit von Videospielen. Manche Momente, wenn Indika zum Beispiel durch meterhohe Papierberge oder überdimensionale Fabriken schreitet, haben auch etwas Kafkaeskes und Beängstigendes. In beiden Fällen ist die Atmosphäre so intensiv, wie man es in Spielen nur selten erlebt.
Das Studio Odd Meter ist für die Entwicklung von „Indika“ verantwortlich, vertrieben wird es über den polnischen Publisher 11 Bit Studios. Odd Meter, ursprünglich ein russisches Studio, sprach sich offen gegen den Ukrainekrieg aus und emigrierte nach Kasachstan. Dem eigenen Land und auch der russisch-orthodoxen Kirche steht das Studio äußerst kritisch gegenüber. „Viele der Probleme des modernen Russlands haben ihre Ursache in dem soziopolitischen Infantilismus, der seinen Bewohnern seit Jahrhunderten eingehämmert wird: Demut, Gehorsam und Geduld sind die wichtigsten Tugenden, die uns von unserer orthodoxen Kultur aufgedrückt werden.
Es ist also nicht überraschend, dass Institutionen wie die russisch-orthodoxe Kirche in letzter Zeit erstklassige Propagandawaffen abgeben, Gläubige zum Sterben für ihr Heimatland aufrufen und eine monströse Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Leben und dem anderer Menschen predigen“, so Dmitry Svetlow, der Game Director des Spiels und zugleich Gründer von Odd Meter. Der Publisher 11 Bit Studios hat sich durch anspruchsvolle und kritische Spiele mit einer starken politischen Erzählung einen Namen gemacht. „Indika“ steht damit direkt neben wichtigen Spielen wie „Frostpunk“, „South of the Circle“ und „This War of Mine“.
Man kann das Abenteuer der Nonne in rund fünf Stunden beenden. Lässt man sich Zeit, kommt man bestenfalls auf sechs Stunden. Doch ist „Indika“ ein Erlebnis, das nicht in seiner bloßen Stundenzahl zu fassen ist. Das Spiel wird einem mit seinen Stilbrüchen und dem diabolischen Zusammenspiel aus Nonne und Teufel lange in Erinnerung bleiben.
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