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Einsparungen im BildungsbereichSupport für Lehrkräfte wird weggekürzt

Der Berliner Senat streicht Gelder für die „kollegiale Fallberatung“. Das Programm hilft Lehrkräften beim Umgang mit schwierigen Situationen.

Darf's noch ein bisschen mehr Stress sein? Der Lehrerberuf ist schon jetzt nicht gerade attraktiv

Berlin taz | Berlin sucht händeringend Lehrkräfte. Doch ab Januar will der Senat seine Lehrerinnen und Lehrer mit Problemen an den Schulen alleinlassen. Das 500.000 Euro teure Programm für die sogenannte kollegiale Fallberatung ist im kommenden Landeshaushalt ersatzlos gestrichen. Nur eine Übergangsfinanzierung soll es für den Träger, die gemeinnützige „Gesellschaft für Interkulturelles Zusammenleben“ (GIZ), noch geben, weil der die Räume nicht so schnell kündigen kann. Doch das Geld reiche nicht einmal für die Mieten, klagt der Träger.

Die kollegiale Fallberatung ist ein mehrfach evaluiertes pädagogisches Angebot. Mit Unterstützung von Psychologen und Erwachsenenpädagogen suchen Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam Wege für den Umgang mit schwierigen Situationen – beispielsweise mit Schülern, die den Unterricht stören, oder Mobbing in Klassen. Das dient auch der Gesundheit von Pädagogen. „Wir verstehen uns als Präventionsmaßnahme, um Lehrer zu entlasten“, sagt Ulrike Rühle-Werk von der GIZ.

Derzeit würden rund 1.100 Lehrkräfte an 53 Kooperationsschulen online beraten. Hinzu kämen Seminare an Schulen. „Oft hören wir gerade von Quereinsteigern, dass sie den Berufseinstieg ohne uns gar nicht geschafft hätten“, erzählt Rühle-Werk. Doch bald sei Schluss. Die Arbeitsverhältnisse endeten zum Jahresende und die nur Website werde abgeschaltet, weil niemand sie mehr pflegen könne. In Konfliktfällen könnten Lehrer sich dann nur noch an die hoffnungslos überarbeiteten Schulpsychologen der Bezirke wenden.

Der künftige Haushalt und damit auch die Kürzungen seien noch nicht final, beschwichtigt der Sprecher der CDU-geführten Senatsbildungsverwaltung, Martin Klesmann, gegenüber der taz. Änderungen seien im parlamentarischen Verfahren noch möglich.

Nahe am Burn-out

Proteste kommen von der Opposition und aus der Stadtgesellschaft. Der schulpolitische Sprecher der Grünen, Louis Krüger, hält die Streichung des Projekts „angesichts der aktuellen Belastungssituationen in den Schulen für vollkommen unverständlich“.

Zwischenergebnisse einer Studie der Universität Göttingen hätten gezeigt, dass zwei Drittel der Berliner Lehrkräfte aufgrund ihrer Arbeit einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt seien, erklärt Krüger. Damit werde die Bildungsverwaltung ihrer Aufgabe als Arbeitgeberin nicht gerecht: „Die schlechten Arbeitsbedingungen werden sich langfristig auch auf die Attraktivität des Lehrkräfteberufs auswirken und die Lehrkräftemangel weiter befeuern“, befürchtet der Bildungspolitiker – zumal, so Krüger, auch das betriebliche Gesundheitsmanagement an Schulen auf die Hälfte gekürzt werde.

Auch der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann hält das Projekt „angesichts der aktuellen Belastungssituationen für Lehrkräfte“ für bedeutsam. Konkrete pädagogische Handlungsempfehlungen zu erhalten und Situationen zu reflektieren, sei für Lehrkräfte immer wichtiger. Die Lücke sei in der derzeitigen Lage der Schulen schwer zu schließen, so Hurrelmann.

Die Friedrich-Bergius-Schule in Friedenau, die im November in einem Brandbrief an die Schulaufsicht auf katastrophale Zustände an ihrer Schule aufmerksam gemacht und um Hilfe gebeten hatte, gehört nicht zu den Partnerschulen der GIZ. Nach dem Schreiben hatte Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch dem Kollegium unter anderem Supervision angeboten: eine der kollegialen Fallberatung ähnliche, aber deutlich teurere Betreuung und Beratung.

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5 Kommentare

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  • Das Tremolo der Taz Berlin zum Haushalt ist immer das Gleiche: Kürzungen dürfen nirgendwo erfolgen, weil sie den Zusammenhalt schwächen. Lasst uns weiter über unsere Verhältnisse leben….schlaraffenland braucht aber eben auch wirtschaftliche Grundlage…

  • Wenn man auf die Vergütungstabelle für Lehrer schaut, stellt man fest, dass es sich hierbei um hohe Beamte handelt. Ich denke, bei einer derartigen Stellung und Bezahlung kann man erwarten, dass die Damen und Herren sich selbstständig um Lösungen kümmern. Das sind schließlich keine gut bezahlten Halbtagsjobs auf Sachbearbeiterebene. Was kommt denn dann als nächstes?! Bezahlte "Kollegiale Fallberatung" für Richter? Staatsanwälte? Stationsärzte? Hauptkommissare?

    Ich vermute mal, den berühmten Lehrermangel wird es nicht bei Deutsch-, Fremdsprechen-, Sozialwissenschafts-Lehrern geben, sondern nur in den Mintfächern. Dann muss man halt den Mathe- und Physiklehrerinnen mehr bezahlen als den anderen. Dann gibt es sicherlich Geschrei, aber dann soll der Geschichtslehrer halt kündigen und einen top-bezahlten Job sonst wo annehmen. Z.B. als Redakteur bei der taz (ist ein Witz, ich weiß, für wenig Geld ihr arbeitet. Vor dem Hintergrund muss man aber auch mal diese Anspruchshaltung sehen.)

    • @fleischsalat:

      Das *Durchschnittsgehalt* für Akademiker ist knapp 60.000 Euro. Das entspricht etwa dem, was ein Grundschullehrer mit einigen Jahren Berufserfahrung verdient.



      Wenn man keine passenden Fakten hat, dann behautet man halt einfach alternative Fakten.



      Den Mangel gibt es überall. Die zu Schuljahresbeginn vom Senat zusammengeschummelten Statistiken sind spätestens Im Herbst Makulatur,



      weil dann die ersten Quer- und Seiteneinsteiger aufgeben und weil sowieso keine Reserven für Krankheitsausfälle da sind.

      Solange der Senat sich nicht an Recht und Gesetz hält, darf er gar nichts erwarten.

      • @Horstderzweite:

        Wenn es zu wenig Grundschullehrerinnen und Lehrer gibt, dann sind halt 60T Euro zu wenig. Ich vermute stark, dass der Grundschullehrermangel daran liegt, dass alle, die auf Lehramt studieren, das Gymnasium anvisieren. Grund: Dort wird mehr verdient.

        Wenn ich die Lehrerstellen besetzen möchte, was in einer Wissensgesellschaft wie der unsrigen fundamental sein sollte, muss ich sie bei einem Mangel so bezahlen, dass sie keinen anderen Job vorziehen, wo sie einfacher mehr Geld verdienen. Das wird bedeuteten: Die Vergütung von Grundschulpädagogen muss besser werden, die von Mint-Pädagogen auch. Einsparungen könnte man dagegen bei Deutsch-, Fremdsprachen-Lehrern und Fächern der Sozialwissenschaften vornehmen. Es sei denn, die wandern dann in großer Zahl ab und werden Museumsdirektoren, Lektoren, taz-Redakteure...

        Das sind halt die Gesetze des Mangels. Wir haben heute einen Mangel an qualifizierten Menschen. Das liegt daran, dass wir zu faul und zu geizig waren, Kinder in die Welt zu setzen, sie großzuziehen und auszubilden. Wir waren auch zu geizig, die Kinder der Eltern mit einem niedrigeren Bildungslevel gut auszubilden. Jetzt haben wir den Salat.

        • @fleischsalat:

          Das Gehalt ist nicht das Problem. Es sind die Rahmenbedingungen.

          - Eine normale Schule in Berlin hat eine Personalausstattung von 90 - 95 %, man braucht aber mehr als 100 %, da sich Arbeit mit Kinder nicht auf den nächsten Tag schieben lässt.

          Es gibt keine Reserven, um auf unerwartete Probleme zu reagieren.



          - Kind dreht frei, weil seine Eltern sich scheiden lassen?



          Pech gehabt.



          - Ein Kind bräuchte Unterstützung, weil ein Elternteil



          schwer krank ist? Pech gehabt.







          Kollegiative Fallberatung ist eine Methode, um von anderen zu lernen. Das hält der Senat wohl für überflüssig.

          Auch im Materialbereich ist der Mangel eklatant.



          Wer mehr als Möbel im Raum haben will, muss eigenes Geld ausgeben. Auf Regionalkonferenzen kaufen die Dozenten die Materialien für die Schulung aus eigener Tasche selbst, weil es kein Budget dafür gibt.

          - Oder die Sauberkeit. Es wird einmal im Jahr (!) der Boden gewischt.



          - oder der verschwenderische Umgang mit der Arbeitszeit. Wenn man die bezahlen müsste, käme man nicht auf die Idee studiertes Personal für Aufsichten oder Verwaltungstätigkeiten einzusetzen.

          Diese überall zu spürende Respektlosigkeit ist das Hauptproblem.