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Einsätze der BundespolizeiVerlust statt Gewinn

Seit 2019 sind ganz normale Einsätze der Bundespolizei teils kostenpflichtig. Das lohnt sich aber nicht einmal finanziell, zeigt eine neue Statistik.

Ein U-Bahn-Wachmann in München Foto: imago

Berlin taz | Ilse Hinz geriet im Dezember 2019 in der Berliner S-Bahn in eine Fahrkartenkontrolle: Ihr Portemonnaie mit Personalausweis und Monatskarte hatte sie zu Hause vergessen. Aufgrund des von ihr empfundenen „aggressiven, bedrohlichen Verhaltens des Fahrkartenkontrolleurs“ wandte sich Hinz, die eigentlich anders heißt, am S-Bahnhof Südkreuz an Beamte der Bundespolizei. Durch eine der Polizei zugeschickte Mail mit der Kopie ihres Personalausweises gelang es Hinz, sich zu identifizieren.

Am darauf folgenden Tag legte sie das Originaldokument vor. Für den Arbeitsaufwand der Identitätsfeststellung berechnete ihr die Bundespolizei im Nachgang 53,75 Euro. Hinz weigerte sich, „diesen Unfug“ zu bezahlen. Die nächste Forderung belief sich schon auf 80,35 Euro. Sie hat sich einen Anwalt genommen.

Hinz gehört damit zu den ersten Betroffenen der seit Oktober 2019 geltenden „Besonderen Gebührenverordnung“ des Bundesinnenministeriums, die normale Einsätze der Bundespolizei kostenpflichtig macht: Gewahrsamnahmen kosten seither 74,15 Euro, erkennungsdienstliche Behandlungen 59,50 Euro, jede Viertelstunde in Gewahrsam 6,51 Euro. Insgesamt 2,78 Millionen Euro jährlich wollte das Ministerium von Horst Seehofer (CSU) durch die Gebühren eintreiben.

Der Linke-Bundestagsabgeordnete und umverteilungspolitische Sprecher seiner Fraktion, Victor Perli, hat die Bilanz nach dem ersten vollständigen Jahr seit Inkrafttreten der Gebührenverordnung abgefragt.

„Bürokratischer Wahnsinn“

Demnach hat die Bundespolizei 2020 insgesamt 10.895 Gebührenbescheide verhängt, darunter etwa 5.000 für Anordnung und Vollzug des Gewahrsams, je knapp 2.000 für Identitätsfeststellungen und erkennungsdienstliche Behandlungen, 1.900 für Platzverweise. Unklar bleibt dabei, ob die Maßnahmen gerechtfertigt waren.

Zusammengenommen wurden Gebühren von mehr als einer halben Million Euro berechnet, eingenommen wurden aber nur gut 126.000 Euro. Auf Anfrage der taz beim Innenministerium heißt es zur Erklärung: „Bei einigen Vorgängen sind die Zahlungsfristen noch nicht abgelaufen, bei anderen waren Vollstreckungsmaßnahmen nicht erfolgreich oder dauern aktuell noch an.“ Offensichtlich haben sich viele Betroffene geweigert, die Gebühren zu zahlen.

Selbst wenn schlussendlich die vollen 507.000 Euro eingetrieben werden, sind das nur etwa 18 Prozent der Einnahmen, mit denen das Ministerium ursprünglich rechnete. Dem gegenüber stehen hohe Verwaltungsausgaben. Bei Inkrafttreten der Verordnung rechnete das Ministerium mit jährlichen Kosten für die Verwaltung in Höhe von 852.000 Euro und einer einmaligen Belastung in Höhe von 1,2 Millionen Euro. Wie hoch der Aufwand tatsächlich war, ist unklar.

Für Perli steht fest: „Die Gebührenverordnung ist ein Flop und bürokratischer Wahnsinn. Sie bringt viel zusätzlichen Aufwand für Bescheide und Widersprüche, keinen Nutzen und eine hohe Ausfallquote.“ Der Linke hält diese „Strafe vor der Strafe“ für „rechtlich hochproblematisch“. „Es ist Sache der Justiz, über Strafen zu entscheiden. Es ist nicht die Aufgabe der Polizei, die Kassen des Innenministeriums zu füllen.“

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10 Kommentare

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  • Danke für den Hinweis auf diese Gebührenordnung.

    Man kann sich gar nicht genug darüber aufregen.

    Heisst sie doch nichts anders, als dass der Gebührenerheber selber seine Einnahmen bestimmen kann.

    "Ausweiskontrolle".

    "Platzverweis"

    jedesmal mit x Euro belegt. Und das ohne gegen irgendwelche Gesetze verstossen wurde.

    Das ist dann nicht mehr weit davon entfernt, von dem was man aus ach so fernen Ländern berichtet, wo man bei



    Strassensperren und - kontrollen gegen die mehr oder weniger unauffällige Zahlung von x Talern weiterfahren darf.

    • @fly:

      Abkackendes Yogoslavia.

      Wird ein Kolleg on tour auf der berühmt berüchtigten - weil via Meersalz arschglatten Küstenstraße per Knarre gestoppt: Fahrzeugkontrolle!



      Wieso das denn? Weil ich das so will!



      Durchfahrt 50 € - ??? - &!Däh!



      Außerdem habe er den Monat noch keinen Sold bekommen!

      Betteln mit der Waffe - Volkers 👄



      Vulgo - § 250 StGB 🚔 - 🧑‍🚀 - 🪖- 🥷🏾 - 🤫

      So geht das

  • "Hallo Polizei, meine Brieftasche wurde gestohlen"

    "Das macht 60 Euro für eine einfache Fahndung plus ggf. 80 Euro für eine Verfolgung zzgl. Verwaltungsgebühren und ggf. Rückgabegebühren"

    "Vergessen Sie's, es waren nur 30 Euro drin!"

    Die Kleinkriminellen wird's freuen.

    • @Biks:

      Liggers.

      Schlicht eine Unverschämtheit.



      Unsere Angestellten - nach Silberbesternung ordentlich bezahlt!



      Wollen/Sollen - statt aufgabengemäß ihren Job zu machen - noch für jeden ungenießbaren 💨! Ein Sondersalär! 😱

      kurz - Nich to glöben & rein tonn katolsch warrn! - 👹 -

      • @Lowandorder:

        Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - ergänzt

        “ Ordnungshüter. Es muss alles seine Ordnung haben. Die wichtigste Ordnung in DE ist die Gebührenordnung.“

        Quasi also: Ordentlich - Über Gebühr 😱



        Na dann - 🍻 -

  • Weshalb sollten beispielsweise die Tätigkeiten des Bürgeramtes (Erstellung eines Ausweises) und der KFZ-Zulassungsstelle kostenpflichtig sein und die der Polizei nicht?

    Wünschenswert wäre eine Ausweitung der Gebührenverordnung. Die Räumung einer Wohnung sollte beispielsweise dem Störer auferlegt werden. Es ist nicht einzusehen, dass der Steuerzahler die sich abzeichnenden Polizeieinsätze rund um R34 tragen soll.

  • Das kommt halt dabei heraus - wenn ein Rechtsstaat nach dem Grundgesetz wie Schland zunehmend in eine obrigkeitliche bürgerfeindliche Schlagseite gerät - Stichwort Verpolizeilichung des Öffentlichen Raumes mit Militarisierungstendenzen! (Langwaffen “zufällige“ 2x F 16-Einsätze Heiligendamm - Schlauchbootversenken vorauseilende Mobilmachung München etc ff usw …bitte selber einsetzen 🙏 ;)((



    &



    Dazu passend!



    Von einem paramilitärischen Haufen - Bundesgrenzschutz - das Firmenschild abreißen & verfassungswidrig vgl Art 30



    “ Nach dem Grundgesetz ist die Polizei wie die Ausübung aller staatlichen Befugnisse grundsätzlich Ländersache, vgl. Art. 30 GG. - wiki - )



    BundesPOLIZEI - dranschmieren! - 😱 -



    & weils den Erfahrungsjuristen & DissertationenFälschern so nicht reicht!



    Völlig hirnrissig das Ganze - mittels Gebührenkatalog - echt voll - Anfetten •

    Na Mahlzeit & Sach mal so:

    Unsere hoch dotierten Angestellten -



    Von uns Bürgern - Laufen mehr & mehr:



    Bürgerfeindlich Aus dem Ruder. Amen.



    Nothing else. - 😱 -



    & nochens -



    “Wehret den Anfängen!“ - ist längst vorbei! Aber sowas von.



    Spielen mit Gerichtsentscheidungen Fußball usw usf.

    Conclusio: - Abartig. - 🤮 -

  • Zweierlei lässt mich da zusammenzucken.

    Erstens ist es hochproblematisch, wenn das Exekutivpersonal Einnahmen durch im Artikel genannten "Tätigkeiten" generiert, da kann im Kapitalismus schnell mal der Pennunze wegen verordnet, verhängt und solcherlei Unfug betrieben werden. Der nette Opa Seehofer wird auch entsprechend Druck machen, damit seine Zahlen stimmen.

    Zweitens wird dann aus der Inanspruchnahme poizeilicher Hilfe eine Dienstleistung, die sich nicht jeder leisten kann, selbst wenn denn noch Vertrauen in diese Institution dasein sollte (warum auch immer....).

    Naja, für mich persönlich ist es "nur" ein weiter Grund dem Exekutivpersonal zu mistrauen und - wenn denn Kontakt erzwungen wird - null Kooperation über das gesetzlich erzwungene Maß an den Tag zu legen.

  • Die Gebührenordnung ist schlicht eine Unverschämtheit.

    Es ist keine Pflicht einen Ausweis mit zu führen. Wenn dann die Identität festgestellt werden soll/muss ist es einfach die Aufgabe der Behörde. Genauso die anderen Gebühren.

    Wenn also jetzt jede Tätigkeit der Bundespolizei separat bezahlt werden muss, bleibt eher die Frage, warum die nur so wenig arbeiten. Offensichtlich decken 500000 ja fast nichts. Sprich, all die anderen Arbeitsstunden wird nichts "geschaffen". Demnächst muss man dann auch noch die Ruhezeiten bezahlen. Oder man wird kontrolliert, damit Geld reinkommt.

    Unmöglich.

  • Was hat die privatrechtliche organisierte U-Bahnwache der der Münchner Verkehrsbetriebe mit der Bundespolizei zu tun?