Einladung der Stiftung Lesen: AfDler sollen an Schulen vorlesen
Zum Vorlesetag an Schulen, in Bibliotheken und Kitas sollen AfD-Politiker kommen. Wie passt die Einladung zu der angesehenen Stiftung Lesen?
Unter den Adressaten sind auch der Landes- und Fraktionsvorsitzende der AfD im saarländischen Landtag, Josef Dörr, den der Bundesvorstand wegen seiner angeblichen Verbindungen in die Neonaziszene aus der Partei ausschließen lassen wollte, sowie sein Fraktionsgeschäftsführer Rudolf Müller. Der hatte für Schlagzeilen gesorgt, weil er in seinem Antiquitätengeschäft mit Nazidevotionalien und KZ-Geld gehandelt hatte.
Für den Vorlesetag vermittelt die Stiftung alljährlich unbekannte sowie prominente VorleserInnen aus Politik und Gesellschaft. In Bildungseinrichtungen, Bibliotheken und anderen Veranstaltungsorten treten sie vor allem vor Kindern auf, um für das Vorlesen zu werben. „Bei der Veranstaltungsplanung sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt“, so die Stiftung. Auf den Einladungen, die auch den AfD-PolitikerInnen zuging, heißt es: „Jeder Einsatz ist gefragt.“ Offenbar auch der von Menschen, die sich mit rassistischen und antisemitischen Äußerungen hervorgetan haben.
Die Stiftung Lesen ging 1988 aus dem 1977 gegründeten Verein Deutsche Lesegesellschaft hervor. Ihr Zweck ist laut Satzung „die umfassende Förderung des Lesens in allen Bevölkerungskreisen sowie die Pflege und Erhaltung einer zeitgemäßen Lese- und Sprachkultur“. Durch die Förderung der Lesefähigkeit und Lesegewohnheit sollen für die Entwicklung von Medienkompetenz notwendigen Grundlagen geschaffen werden. Schirmherr der Stiftung ist der Bundespräsident, Vorsitzender Joerg Pfuhl von der Holtzbrinck Publishing Group. In ihrem Stiftungsrat hat sie einen illustren Kreis von Unterstützerverbänden und -organisationen versammelt, darunter den Deutschen Kulturrat, den DGB, den Deutschen Olympischen Sportbund, die Hochschulrektorenkonferenz und die Bundesagentur für Arbeit.
Seit 2004 gibt es den von der Stiftung Lesen gemeinsam mit der Zeit und der Deutschen Bahn Stiftung initiierten Bundesweiten Vorlesetag, der jährlich am dritten Freitag im November stattfindet. Jeder, der Spaß am Vorlesen hat, liest an diesem Tag anderen vor – zum Beispiel in Schulen, Kindergärten, Bibliotheken oder Buchhandlungen. Dabei hilft die Stiftung bei der Suche eines Veranstaltungsortes oder eines Vorlesers. Ziel des Aktionstags ist es, „ein öffentlichkeitswirksames Zeichen für die Bedeutung des Vorlesens“ zu setzen. 2016 nahmen 135.000 VorleserInnen teil, auch mehr als 1.000 PolitikerInnen, darunter die BundesministerInnen Wolfgang Schäuble, Andrea Nahles und Manuela Schwesig. Der nächste Bundesweite Vorlesetag findet am 17. November statt. (pab)
So nämlich steht auch der umstrittene AfD-Fraktionsvorsitzende aus Sachsen-Anhalt, Andrè Poggenburg, auf der Einladungsliste. Er wird dem völkischen Flügel seiner Partei zugerechnet und fordert von Kulturschaffenden „einen positiven Bezug zur Heimat“. „Helfen Sie dabei, Wucherungen am deutschen Volkskörper endgültig loszuwerden“, forderte er etwa. Gemeint waren damit linke Studierende an der Uni Magdeburg, die er als „linksextreme Lumpen“ bezeichnete. Was würde Poggenburg wohl in Kitas und Schulen vorlesen?
Auch der wegen seiner antisemitischen Äußerungen umstrittene Stuttgarter AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon ist eingeladen. Für ihn ist das Judentum der „innere“ und der Islam der „äußere Feind des christlichen Abendlandes“. Sein Buch trägt den Titel: „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten“.
Björn Höcke gehört wie Poggenburg zum völkischen Flügel der Partei – am Vorlesetag könnte er demonstrieren, was er unter „identitätsstiftender Kulturpflege“ versteht. Gegen ihn ist wegen rassistischer Äußerungen ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet worden, doch er erhielt ebenso eine persönliche Einladung wie Jörg Meuthen, Frauke Petry und Marcus Pretzell.
Wie passt das Einladen von PolitikerInnen, die Vorurteile verbreiten oder rassistische und antisemitische Positionen vertreten, zu den Grundsätzen der Stiftung Lesen? Dort heißt es: „Sie (die Stiftung) schließt die Zusammenarbeit mit Parteien, Institutionen und anderen Gruppen oder Einzelpersonen, die antidemokratisches, rassistisches, fremdenfeindliches oder diskriminierendes Gedankengut vertreten oder verbreiten, aus.“
Partner der Stiftung beim Vorlesetag ist die Stiftung der Deutschen Bahn AG. In deren Grundsätzen heißt es: „Wir leben Solidarität mit Menschen am Rande der Gesellschaft, indem wir uns dafür einsetzen, Vorurteile abzubauen.“
NPD war immer ausgeschlossen
Der Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung Lesen, der frühere ZDF-Intendant Markus Schächter, erfuhr offenbar erst durch die taz von den Einladungen an die AfD-PolitikerInnen. Es gebe einen Vorstandbeschluss, nach dem alle gewählten Abgeordneten jenseits der NPD angeschrieben werden sollten, teilte Schächter schließlich mit. Kommentieren mochte er den Vorgang aber nicht.
Die Stiftung Lesen selbst erklärte der taz: „Wie in den vergangenen Jahren haben wir auch dieses Jahr alle gewählten Abgeordneten demokratischer Parteien im Bundestag und in den Landtagen auf den bundesweiten Vorlesetag hingewiesen. Jede Einrichtung entscheidet selbst, ob und mit welchen Aktionen und Personen sie sich beteiligen möchte. Ausgenommen von dem Hinweis auf den Vorlesetag war stets die NPD, da deren Parteiprogramm klar unseren Leitlinien widerspricht“.
Fast wortgleich antwortete der Zeitverlag. Die Wochenzeitung Die Zeit unterstützt den Vorlesetag als Medienpartner. In den Vorjahren druckte sie die lange Liste aller Namen der freiwilligen VorleserInnen ab. Der saarländische Bildungsminister Ulrich Comerçon, SPD, selbst Kuratoriumsmitglied der Stiftung, versicherte der taz immerhin: „Man kann keine Schule dazu zwingen, AfD-VertreterInnen einzuladen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind