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Einigung in ThüringenEin richtiger Tabubruch

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Die Thüringer CDU will jetzt eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung tolerieren. Auf Bundesebene wird das die Partei wohl weiter spalten.

Vorsichtige Berührung im Zehenbereich: Eine Socke stablisiert die andere Foto: imago-images/Winfried Rothermel

T hüringen schreibt in diesen Tagen Geschichte. Die CDU wird erstmals eine von der Linken angeführte Minderheitsregierung tolerieren...äh...stabilisieren. Darauf haben sich Vertreter aller vier Fraktionen im Thüringer Landtag am Freitagabend geeinigt. Das Wort Tolerierung will man bei der CDU unbedingt vermeiden. Die künftigen Partner nehmen Rücksicht auf die semantischen Befindlichkeiten der CDU und sprechen daher von einem Stabilitätsmechanismus. Aber inhaltlich ist und bleibt es eine Tolerierung, wenn man vereinbart, für einen gewissen Zeitraum nicht gegeneinander zu stimmen, sondern untereinander Kompromisse zu suchen.

Für die CDU ist das ein Tabubruch. In mehreren Bundesparteitagsbeschlüssen gelobte sie, niemals mit der Linken zusammenzuarbeiten. Doch die Abkehr dieser Selbstverpflichtung wäre nicht ohne einen anderen Tabubruch möglich gewesen. Die Auschlussklausel galt schließlich auch für eine Kooperation mit den Rechten. Doch vor gut zwei Wochen, am 5. Februar, 75 Jahre nach dem Ende der NS-Dikatur, half die Thüringer CDU einen Ministerpräsidenten ins Amt zu heben, der dabei auch auf die Stimmen der AfD angewiesen war.

Ob die Gefahr von Links oder von Rechts droht, diese Frage stellt sich nach den Morden von Hanau, dem dritten tödlichen Anschlag aus rechtsradikalen, rassistischen Motiven seit Juni 2019, endgültig nicht mehr. Es bedarf keiner weiteren Taten, nur damit die CDU erkennt, wie gefährlich es ist, wenn sich der Diskurs nach rechts verschiebt und der Rassismus einer demokratisch legitimierten Partei wie der AfD als lässliche Sünde gilt.

Insofern ist es ein Fortschritt, wenn die CDU ihre Äquidistanz zu rechts- und vermeintlich linksextremen Parteien aufgibt und sich mit der Linkspartei innerhalb des demokratischen, weltoffenen, liberalen Spektrums gegen die rechten Antidemokraten von der AfD verbündet.

Dieser Schritt ist auch dann nicht gering zu schätzen, wenn man in Rechnung stellt, dass der zweite Erfurter Tabubruch vor allem aus einer instabilen Situation und egoistischen Motiven entsprang. Linke und AfD verfügen im Thüringer Landtag zusammen über eine absolute Mehrheit. Mehrheitsfähige Politik gegen beide Parteien gleichzeitig zu betreiben, wie es die Beschlusslage der CDU vorsieht, ist rechnerisch nicht möglich. Schnelle Neuwahlen, wie sie nach dem ersten Tabubruch im Februar als schnellste und sauberste Lösung erschienen, wollen die CDU-Abgeordneten nicht. Sie fürchten angesichts entmutigender Umfragewerte schlicht um ihr Mandat.

Niemand zu Haus im Konrad-Adenauer-Haus

Also wagten die vier Emissäre in den Verhandlungen das, was in der gegebenen Situation vielen außerhalb und einigen in der CDU als rational und pragmatisch erscheint: Sie sicherten einer Linken, die das Land fünf Jahre lang solide sozialdemokratisch regiert hat, ihre Unterstützung zu. Der Beschlusslage sei man sich natürlich bewusst. Das reicht dann aber auch als Absicherung.

Denn wer in Berlin kontrolliert eigentlich momentan, ob diese eingehalten wird? Nachdem Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rückzug als CDU-Vorsitzende angekündigt hat, herrscht ein Machtvakuum. Niemand zu Haus im Konrad-Adenauer-Haus – sturmfreie Bude.

Ausgestanden ist die Thüringer Krise damit freilich nicht. Denn nicht wenige CDUler sehen es als legitim an, in Sachfragen auch mit der AfD zusammenarbeiten. Die Werteunion warnt vor einem Dammbruch, falls Bodo Ramelow mit den Stimmen der CDU gewählt wird, der der Union unermesslichen Schaden zufügen wird.

Infolge der Öffnung nach links könnte auch die Mauer nach rechts weiter bröckeln. Die Tolerierung einer linken Landesregierung wird die Christdemokraten wohl weiter spalten. In Thüringen aber kann die Landespartei eine absurde politische Situation vorerst befrieden.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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11 Kommentare

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  • AfD und Linke haben nun mal zusammen die parlamentarische Mehrheit in Thüringen. Weil es das Volk bei der letzten Wahl so wollte.



    Deswegen müssen sich die übrigen Parteien mit AfD oder Linker in irgend einer Form arrangieren, um das Land handlungsfähig zu halten.



    Was ist daran so schwer zu verstehen?!

  • Ich sach's mal so: Förderalismus wird sicher nicht auf Bundesebene verwirklicht.

  • "Aber inhaltlich ist und bleibt es eine Tolerierung, wenn man vereinbart, für einen gewissen Zeitraum nicht gegeneinander zu stimmen, sondern untereinander Kompromisse zu suchen."

    das nennt sich eigentlich Demokratie, traurig, dass dieses Wissen verloren zu sein scheint. Fraktionszwang, Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegenüber demokratischen Parteien sind undemokratisch und schaden der Demokratie. Interessant aber scheinbar kaum jemanden.....

    • @siri nihil:

      Das gehört zur Demokratie. Die sonderbaren Typen an der Spitze der Bundes-CDU werden merken, dass sie sich gerade extrem lächerlich (und unzählbar) machen.

  • Die Bundes-CDU verabschiedet sich gerade aus dem Kreise zuverlässiger demokratiefester Partner oder respektabler politischer Gegner.

    Das Hufeisentheorem hat sie sich wie einen Mühlstein selbst um den Hals gehängt, bar jeder politischen Vernunft 30 Jahre nach dem Beitritt der DDR.

    Wie lange will sie sich selbst oder in Verantwortung vor der deutschen Geschichte noch in die Tasche lügen, dass die Linke angeblich so schlimm wie die rechtsextreme AfD sei.

    Das ist nicht nur politisch falsch (Streben für sozialen Ausgleich bei Linke ist nicht gleich Hass, Niedertracht, Verfassungsfeindlichkeit wie der AfD), sondern sie beschneidet sich selbst um politische Gestaltungsmöglichkeiten.

    Wenn es der CDU um das Land und die Demokratie ginge, würde sie sagen, "ja, wir und Linke sind politische Gegner und kämpfen für unterschiedliche Konzepte ... aber wir als Konservative haben aus der Geschichte gelernt und werden dazu beitragen, dass Nazis nie wieder auch nur in die Nähe politischer Macht geraten können. Daher ist die Linke politischer Gegner aber Allierter bei der Verteidigung des liberalen Rechtsstaats."

    Bleibt wohl ein schöner Traum eines Nie-niemals-CDU-Wählers, der aber in Rechnung stellt, dass auch bei dem Verein viele anstând8ge Leute mitmachen, dir wir brauchen werden, um unsere Demokratie, unsere Leute, die Paula, Aysel, Murat, Janosz, oder Milot heißen, gegen die Nazis verteidigen zu können.

    Morgen in HH o. bei der nächsten TH- und Bundestagswahl ist Zahltag ... für die CDU.

    1932/33 mit diesem jämmerlichen, schäbigen Verhalten deutscher Konservativer darf sich nicht wiederholen.

  • Egal wie man es nennt es ist eine aktive Unterstützung der Linken. Da eine Tolerierung durch eine andere Partei für die Linksaußen so gut wie ausgeschlossen ist, ist es eine Koalition ohne Ministerposten. Die CDU bekommt die Kröten ohne die Pfründen.

  • 6G
    68514 (Profil gelöscht)

    "...für einen gewissen Zeitraum nicht gegeneinander zu stimmen, sondern untereinander Kompromisse zu suchen...": Warum nur für einen gewissen Zeitraum? Warum nicht prinzipiell? Die Äußerungen des Herrn Ziemiak bestätigen wiedermal, daß vor allem West-CDUler keine Ahnung vom Osten haben. Naja, woher soll's auch kommen. Sie haben sich bisher nicht wirklich dafür interessiert.

  • Ich bin sprachlos... Wie lange will denn nun die Bundes-CDU in den Osten hinein übermächtig wirken?

    Mich macht das wütend und die Übereblichkeit die darin steckt ist genau das, was viele Ostdeutsche zur AFD getrieben hat.

    Wenn es in Thüringen keine andere Lösung gibt, dann ist es eben so. Basta!



    Haben die Abgeordneten bei einer geheimen Wahl etwas zu befürchten?

    Was können denn Konsequenzen sein?

  • Die CDU hätte das alles viel früher haben können, schon am 27. Oktober sprach Möhring von einer Kooperation mit der Linkspartei. Später bot sich Gauck als Vermittler. Aber nein, die Ideologen der CDU wollten jede Zusammenarbeit mot Ramelow verhindern. Schrieb nicht die taz von einer Impfwirkung des 5. Februar? Zumindeat eine Wirkung scheint mir jetzt tatsächlich nachweisbar.

  • Die CDU in ihrer historisch kapital-faschistischen Gefangenschaft:

    CDU-Generalsekretär Ziemiak gegen Wahl Ramelows mit CDU-Hilfe.

    (vgl. t-Online.de am 22.02.20)

  • Man kann nur staunen, wie beweglich die Thüringer CDU plötzlich ist. Man kann allerdings auch nur staunen, wie unbeweglich Leute wie Spahn und Schäuble immer noch sind. Wie kühl sie die alten Märchen verteidigen. Wie sie damit auch die alten Lager wieder verfestigen, wie sie damit einer sich gerade jetzt sehr anbietenden antifaschistischen Koalition eine Absage erteilen. Und das aus Berechnung, weit mehr aber noch aus Mutlosigkeit und Phantasielosigkeit. Das eigentliche Geheimnis dieser Leute ist ja, dass sie selber keine Zukunft für die CDU mehr sehen, keine Funktion im parteipolitischen Gefüge, wenn sie eine moderne bürgerliche Partei werden. So muss es natürlich überhaupt nicht kommen, das glauben aber viele. Jemand wie Söder hat längst erkannt, dass man mit den Grünen um die Mitte konkurriert und dass man die Mitte verliert, wenn man mit der AFD konkurriert.