Eingeknickt im Erzgebirge: Roter Teppich für NPD-Kader
Obwohl seine NPD nicht genügend Stimmen hat, wollte Stefan Hartung im Erzgebirge in den Finanzausschuss. Der Kreistag gab nach. Warum?
Den hatte sich Hartung ertricksen wollen, obschon die NPD bei den Kommunalwahlen Ende Mai nur noch 1,6 Stimmenprozente erzielt und somit zwei ihrer vier Sitze im 99-köpfigen Kreistag des Erzgebirgskreises verloren hatte. Damit hätte Hartung auch kein Sitz im Finanzausschuss mehr zugestanden. Doch Landrat Frank Vogel (CDU) beantragte für ihn, dass der Ausschuss von 18 auf 24 Mitglieder erweitert wird – und alle Fraktionen außer SPD und Grünen stimmten zu.
Warum selbst die Linke einknickte vor einem im Verfassungsschutzbericht mehrfach erwähnten Neonazi, ist für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Die Entscheidung wird heftig kritisiert. „CDU im Erzgebirge rollt NPD-Kader den Teppich aus“, schrieb beispielsweise der grüne Bundestagsabgeordnete Stephan Kühn. CDU-Fraktionschef Sylvio Krause berichtet aber, wie Hartung bislang durch spontanes Erscheinen und Zwischenfragen auch in Ausschüssen, deren Mitglied er nicht war, deren Arbeit sabotierte.
Über Hartungs Rederecht wurde stets diskutiert, die Sacharbeit litt darunter. In der Hoffnung, ihn sozusagen zu domestizieren, habe man ihn mit dem Ausschusssitz ruhigstellen wollen. „Ständiges Ignorieren und Ablehnen von Wortmeldungen macht diese Truppe zu Märtyrern“, begründet Krause seine Zustimmung zur Ausschusserweiterung. „Wenn es unsere großen Richter am Bundesverwaltungsgericht nicht schaffen, die NPD zu verbieten, müssen wir uns in den Niederungen der Politik weiter damit auseinandersetzen“, antwortet er auf taz-Nachfrage.
Linke Kommunalpolitiker und Landesspitze uneins
Außerdem hoffte der Kreistag, dass Hartung nach diesem Zugeständnis einem schnelleren Besetzungsverfahren der Ausschusssitze zustimmen würde. Statt einer geheimen Wahl sollen die Mitglieder nur von den Fraktionen benannt und vom Plenum und dem Landrat bestätigt werden.
Diesen Grund führt auch die langjährige Linken-Kreisrätin Barbara Drechsel für ihre Zustimmung an. Man habe so erreicht, dass NPD-Vertreter keine geheimen Wahlen fordern konnten und so die Widerspiegelung des Wahlergebnisses in den Ausschüssen möglicherweise verzerrten. Sie habe vor der Wahl gestanden, entweder die Ausschusserweiterung für Hartung zu akzeptieren oder „weiter die Gängelei des Kreistages durch die Vertreter der NPD“ zu erleben, wie bereits in der vorigen Wahlperiode. Drechsel betont ihre Distanz zur NPD.
Die sächsische Linken-Landesspitze wiederum distanziert sich von ihren erzgebirgischen Kommunalpolitikern. Es verbiete sich, „einem NPD-Mann den Roten Teppich auszurollen“, wählen die Landesvorsitzende Antje Feiks und Fraktionschef und Spitzenkandidat Rico Gebhardt ähnliche Worte wie die Grünen.
Demokraten müssten gerade in der gegenwärtigen Situation besonders sensibel sein, wenn „rechte Ideologien immer weiter in den Alltag eindringen“. Es dürfe kein Entgegenkommen gegenüber rechten Parteien geben, das diese salonfähig mache. Das stehe im Widerspruch zu linker Programmatik. Man wolle deshalb die „direkte Unterstützung“ der Kommunalpolitiker verstärken.
Rechte Eminenz
Die Kritiker der Kreistagsentscheidung verweisen außerdem darauf, dass Stefan Hartung 2014 die sogenannten „Lichtelläufe“ gegen die Flüchtlingsunterkunft Schneeberg mit bis zu 1.800 Teilnehmern organisierte. Hartung ist populär. Bei den Wahlen zum Oberbürgermeister von Aue-Schlema am 26. Mai erreichte er im ersten Wahlgang 19,1, im zweiten noch 18,2 Prozent der Stimmen. Damit lag er noch vor dem Linken-Bewerber.
Unterschiedlich wird ein Urteil des sächsischen Oberverwaltungsgerichtes von 2011 interpretiert. Damals hatte die NPD geklagt, um in Ausschüsse zu gelangen – und verloren. Landrat Vogel und der aus dem Erzgebirge stammende Staatssekretär im Bundesinnenministerium Marco Wanderwitz (CDU) meinen, jeder Kreisrat habe das Recht, in Ausschüssen zu arbeiten. Die erzgebirgischen Grünen führen aber an, dass das Gericht mit der Berücksichtigung aller kleinen Parteien und Wählergruppen eine Handlungsunfähigkeit befürchtete. Außerdem habe es damals die „Überrepräsentation“ der CDU gerügt.
In einer früheren Version dieses Textes stand, die SPD habe für den Antrag gestimmt, den Finanzausschuss zu erweitern. Für diese Behauptung gibt es keinen Beleg. Nach Angaben der Fraktion haben die SPD-Kreisräte mit Nein gestimmt bzw. sich enthalten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Tod von Gerhart Baum
Einsamer Rufer in der FDP-Wüste
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?