Einfach Dank taz.leicht können auch Menschen mit Leseschwächen am politischen Geschehen teilhaben: Einander verstehen
von Christine Stöckel, Juliane Fiegler und Belinda Grasnick
Kurze Sätze, kaum Fremdwörter und auch den Genitiv sucht man vergeblich – die Rede ist von taz.leicht. Seit zwei Monaten gibt es unser Informationsangebot zur Bundestagswahl in Leichter Sprache. Jeden Freitag thematisieren wir hier die großen Parteien, ihre Kandidaten und Wahlprogramme, vom SPD-Steuerkonzept bis zum Phänomen „Merkel“. Warum machen wir das? taz.leicht soll eine Lücke füllen. Bis vor zwei Monaten gab es keine überregionale deutsche Tageszeitung, die meinungsstarke Politiknachrichten in Leichter Sprache veröffentlicht.
Dabei ist die Zielgruppe für Leichte Sprache groß: In Deutschland gibt es mehr als 400.000 Menschen mit Lernschwierigkeiten, 7,5 Millionen Analphabeten und viele Menschen, die gerade Deutsch lernen. Leichte Sprache bereitet Informationen auf und ermöglicht so politische Teilhabe. Zur Bundestagswahl ist das besonders wichtig. Deshalb gibt es taz.leicht ab September einmal wöchentlich auch in der gedruckten taz.
Für viele Menschen ist Leichte Sprache noch etwas Unbekanntes. Sie ist eine ganz eigene Sprache mit eigenen Regeln, die in Deutschland seit ungefähr 15 Jahren ständig weiterentwickelt wird. In den letzten beiden Monaten wurden uns viele Fragen zu taz.leicht gestellt. Wie werden die Texte in Leichte Sprache übersetzt? Wie sind die Reaktionen? Wie erreicht taz.leicht seine Zielgruppe? Wir möchten hier einige Antworten geben.
Die taz.leicht-Redaktion wählt einmal in der Woche zwei bis drei Texte aus der taz aus. Dabei achten wir darauf, dass die verschiedenen Parteien und Themen in einem ausgewogenen Verhältnis dargestellt werden. Nicht immer ist das leicht. Manchmal wird eine Woche lang vor allem über eine Aussage von Martin Schulz berichtet – doch auch diese Schwerpunkte bilden wir ab, das sind Themen über die „die Leute reden“. Und alle sollten die Chance haben mitzureden.
Eine eigene Logik und Struktur
Sobald wir einen Text ausgewählt haben, wird er intensiv gelesen. Die Kernaussagen müssen uns klar sein, bevor wir den Text übersetzen. Dann lösen wir uns erst mal vom Originaltext. Denn unsere leichten Übersetzungen haben eine ganz eigene Logik, Struktur und gehen anders mit Informationen um. Sie müssen Aussagen schnell auf den Punkt bringen und viele Hintergrundinfos liefern. Wichtig ist dabei: Der Originaltext und die Übersetzung sollen nicht miteinander konkurrieren. Die Texte funktionieren verschieden, weil sie andere Zielgruppen haben.
Es gibt leicht und schwer zu übersetzende Texte. Oft wählen wir meinungsstarke Kommentare aus, die einen eigenen Stil haben. Ironie, Anspielungen und Vorwissen sind dabei wichtig. In Leichter Sprache funktioniert das nicht immer. Deshalb werden die Übersetzungen von den Autoren der ursprünglichen Texte gegengelesen. Sie sollen sicherstellen: Kommt noch rüber, was ich sagen will? Dann schicken wir die Texte an das Übersetzungsbüro „Capito“. Dort prüfen Menschen mit Lernschwierigkeiten selbst, ob die Texte verständlich sind.
Als taz.leicht an den Start ging, haben wir viele Behindertenhilfen, Werkstätten, Aktivisten und Medien angeschrieben. Und wir vermuten: Unser Angebot muss sich noch herumsprechen. Oft sind Menschen mit Lernschwierigkeiten weniger im Netz unterwegs, eine Studie des Lebenshilfe e. V. zeigt, dass vor allem der Fernseher als Informationsquelle dient.
Die meisten Reaktionen erreichen uns per Mail. Wir bekommen Verbesserungsvorschläge: Denn manche Wörter sind noch zu schwer, die ändern wir. Anfangs war taz.leicht kaum auf der Startseite von taz.de auffindbar. Auch das haben wir geändert. Häufiger kommen Reaktionen von Angehörigen, die unsere leichten Texte an ihren Verwandten mit Lernschwierigkeiten weitergeben, und sich freuen: „Endlich kann mein Sohn auch die taz lesen!“
Und Lob kommt sogar von Sprachlehrern: „Nun kann ich meine Deutschschüler aus Syrien auf die Themen vorbereiten, die im Zusammenhang mit der Bundestagswahl von Bedeutung sind.“
Die taz-Texte leicht lesen kann man hier: www.taz.de/leicht
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen