Eine Villa für Johannes Brahms: In der Jugend ein Feuerkopf

Das Lübecker Johannes-Brahms-Institut erforscht, dokumentiert und erschließt das Oeuvre des Komponisten. Der war gar nicht so konservativ wie gedacht.

Frontalansicht des Brahms-Instituts

Ort für Forschung, Ausstellung und Konzert Die Villa Brahms Foto: Wolfgang Langenstrassen/dpa

LÜBECK taz | Johannes Brahms hat dieses Haus nie betreten. Hat es vielleicht mal von Ferne gesehen, wenn er als junger Komponist an die Trave ging. Aber stilistisch passt sie zu ihm, die klassizistische Villa auf dem Lübecker Jerusalemsberg vor dem Burgtor. 1880 als Landhaus erbaut, war sie einst Stammsitz der Lübecker Musikhochschule, stand später lange leer und wurde in den 1990ern restauriert. Seit 2002 residiert dort das Brahms-Institut, als An-Institut der Universität angegliedert.

Wie es dazu kam? 1991 hatte Lübeck die weltweit größte private Brahms-Sammlung des Hamburger Ehepaars Hofmann erworben. Sie umfasst Handschriften, Stichvorlagen, Erstdrucke und Briefe. Es ist eine wertvolle Sammlung, die nicht nur deutsch-österreichische Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts abbildet, sondern auch den Konflikt zwischen „konservativen“ Komponisten wie Brahms und der „Neudeutschen Schule“ um Richard Wagner und Franz Liszt.

„Natürlich erwirbt man eine so bedeutende Sammlung nicht allein fürs Archiv“, sagt Wolfgang Sandberger, Professor für Musikwissenschaft an der Lübecker Musikhochschule und Leiter des achtköpfigen Teams des Brahms-Instituts. „Die Idee war vielmehr: Wenn wir so eine Sammlung im Schulterschluss von Land, der Kulturstiftung der Länder und einer privaten Stiftung erwerben, gründen wir zugleich ein Institut und richten an der Musikhochschule eine Forschungsstelle für Brahms und seine Zeit ein“, sagt er.

„Lübeck war und ist der perfekte Standort dafür, mit der einzigen Musikhochschule Schleswig-Holsteins, wo Forschung und musikalische Praxis exzellent zusammenspielen.“

Digitaler Knotenpunkt

Bis 1999 hat das Ehepaar Hoffmann das bis 2002 in der Lübecker Königstraße ansässige Institut ehrenamtlich geleitet. Danach übernahm Sandberger, managte den Umzug in die Villa Eschenburg, die heutige Villa Brahms.

Da Brahms nie dort gelebt hat, ist es kein authentischer Ort. Aber man bemühte sich und rekonstruierte Brahms’ Musikzimmer, in dem heute Vorträge und Konzerte stattfinden. Man hat ein Brahms-Handbuch herausgegeben, mit der Digitalisierung der Sammlung begonnen. Erst kürzlich, im August, startete ein neues Projekt zur Vernetzung der Digitalisate. Man will sie noch attraktiver präsentieren und weltweiter digitaler Knotenpunkt zu Brahms werden.

Auch der Ausstellungsraum der Villa sei ein wichtiges Tor zur Öffentlichkeit, sagt Sandberger. „In der aktuellen Schau können Sie viel erfahren über den jungen Brahms, der eine große Leseratte war, und romantische Literatur von Eichendorff und E.T.A. Hoffmann verschlang.

Er war ein Feuerkopf, der gar nicht dem heutigen Klischee vom gesetzten bärtigen Melancholiker entspricht“, sagt der Wissenschaftler. Auch spiele die Literatur in seinen frühen Werken „eine viel größere Rolle als bisher vermutet. Es stimmt eben nicht, dass Brahms der,absolute' Musiker war, der allein in Tönen gedacht hat, während Wagner das,Gesamtkunstwerk' schuf.“

Auch Brahms’ Gesamtwerk sei weniger konservativ als oft behauptet. „Er hat zwar – was Wagner und Liszt antiquiert fanden – noch Sinfonien und Kammermusik komponiert, aber seine Tonsprache war höchst modern“, sagt Sandberger. Bei der Erstellung eines Briefverzeichnisses habe er sogar Brahms’ einzigen Brief an den vermeintlichen Konkurrenten Liszt gefunden.

Über „Brahms und Liszt“ wird Sandberger demnächst auch bei der Hamburger Brahms-Gesellschaft referieren. Auch mit anderen Brahms-Instituten – etwa der Kieler Forschungsstelle oder der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien – funktioniere der Austausch sehr gut. Und auch wenn die Lübecker Sammlung nicht die weltgrößte sei: Das Zusammenwirken von Forschung, Museum und musikalischer Praxis sei einzigartig, sagt Sandberger.

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