Eine Straße auf Zypern und der Krieg: Provokation als Herrschaftsmodell
Was jetzt in der UNO-Pufferzone in Zypern, genauer in Pyla/Pile geschieht, ist ein Lehrstück, wie man aus dem Nichts ein Risiko zaubert.

D as Dorf besitzt zwei Kaffeehäuser, ein griechisches und ein türkisches. Es gibt zwei Straßen, eine bessere, die aus der griechischen Republik Zypern, und eine schlechtere aus dem Norden, in den eine von der Türkei abhängige Verwaltung behauptet, einen eigenen Zwergstaat zu repräsentieren. Es gibt im Dorf zwei Gruppen, griechische und türkische Zyprioten. Deshalb hat das Dorf auch zwei Namen: Pyla auf griechisch und Pile auf türkisch. Die Einwohner leben vom Handel und von sehr dicken Kartoffeln.
Aber jetzt hat Pyla/Pile die Ehre, zum Kulminationspunkt eines internationalen Konflikts zu werden. Es hat Verletzte gegeben, demolierte UN-Fahrzeuge dazu, es hagelt Proteste aus Athen, London und Paris. Was jetzt in Pyla/Pile geschieht, ist ein Lehrstück, wie man aus dem Nichts ein Risiko zaubert, ohne Not, aber mit Interessen.
Das Dorf liegt nämlich zwischen der südlichen Republik Zypern und dem nördlichen Zwergenland. Deshalb gehört es zur UN-Pufferzone. Wer dort etwa verändern möchte, benötigt die Genehmigung der Blauhelme. Die aber lag nicht vor, als sich der türkische Norden dazu entschloss, die Straße zu vergrößern. Eine Provokation um der Provokation willen, die genau so ablief, wie es sich nationalistische Hardliner wünschen: mit Krawall.
Selbstverständlich hätte das Zwergenland bei der UN eine Baugenehmigung einholen können. Es hätte sie auch erhalten. Aber dann wäre es ja auch um eine Straße gegangen, und nicht um große Politik. Die Türkei testet, wie der Westen auf Veränderungen am status quo der geteilten Insel reagiert. Sie schaut, was sich im Windschatten des Ukraine-Kriegs so machen lässt. Sie überprüft zudem, ob Russland seine neuen Freundschaftsgesten ernst meint. Zumindest letzteres hat geklappt. Moskau, früher als Beschützer der Inselgriechen-Interessen bekannt, hat nämlich gar nicht reagiert.
Wahrscheinlich bleibt der Straßenstreit von Pyla/Pile eine isoliertes Ereignis ohne große Folgen. Aber es hat schon banalere Anlässe für einen Krieg gegeben.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen