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Eindringen in die PrivatsphäreSpringer in den Abgrund ziehen

Während unser Kolumnist die geleakten Döpfner-Nachrichten las, stand er plötzlich in einer fremden Wohnung und fühlte sich wie ein „Bild“-Reporter.

Noch immer wird diskutiert, ob Döpfners Nachrichten an seine Redaktion nun privat sind oder nicht Foto: Kay Nietfeld/dpa

V ergangene Woche habe ich was Schlimmes getan. Zu meiner Verteidigung: Ohne Vorsatz.

Ein Bekannter von mir hatte Geburtstag. Geschenk vorbeibringen und gratulieren: beste Pause vom apokalyptischen Journalismus. Unten stand die Haustür offen, also ging ich mit am Smartphone klebenden Augen rein. Es roch nach frischer Farbe. Das Treppenhaus – samt Türen – war vor wenigen Stunden in Bordeauxrot gestrichen worden. Während ich die Stufen hinaufstieg, scrollte ich durch die geleakten SMS von Springer-Hatespeech-Oberchef Mathias Döpfner. Ich las, wie er Muslime rassistisch und Ossis regulär beleidigt hatte und Almans sich fast nur über die beleidigten Ossis aufregten. Und wie Döpfner seinen damaligen Bild-Chefhasser Julian Reichelt anwies, seine geliebte FDP zu stärken. Mein Leseeindruck: Schadenfreude und Tell me News.

Die frisch gestrichene Tür zur Wohnung stand offen. Meine Augen waren weiterhin auf den Bildschirm fixiert. Ich fing im kleinen Flur an, meine Schuhe auszuziehen. Es war verdächtig still, also wanderte mein Blick ins Wohnzimmer. Es sah so anders aus. Die Wohnung war aufgeräumt. Ich dachte mir: Schön, dass hier mal richtig geputzt wurde. Den rechten Schuh hatte ich ausgezogen, war mit einem Fuß bereits im Wohnzimmer, da kam eine mir unbekannte Frau um die Ecke. Sie schnauzte mich an: „Wer sind Sie denn?“

Die Wohnung ist unverletzlich

Ich war in der falschen Wohnung gelandet. In der Realität bin ich nur drei Etagen hinaufgegangen, aber es fühlte sich an wie vier. Der Boden unter mir ging auf und ich fiel in ein mindestens fünf Etagen tiefes Loch. Ich musste an Artikel 13 des Grundgesetzes denken: „Die Wohnung ist unverletzlich.“ Da stand ich in meinem Hoodie und war entsetzt über meine Unachtsamkeit. Die Frau vor mir schaute mich mit einer Mischung aus Angst und Verteidigungsinstinkt an. Wäre sie in Florida oder Bayern, dürfte sie mich legal erschießen.

Würde mich Wolfgang Kubicki hier sehen, dann würde er bei Markus Lanz eine ganze Viertelstunde sein Land zurückfordern. In der Bild hätten sie die Schlagzeile gedruckt: „Böser Nafri bei Überfall erwischt! SIND WIR NOCH SICHER?“ (die Antwort auf diese Frage lautet allgemein: Niemals!) Ich schüttelte mich. Eigentlich fühlte ich mich wie einer dieser Bild-„Reporter“: in die Wohnungen fremder Menschen lugen, die Privatsphäre verletzen, um fantasievoll dekorierte Hassgeschichten zu verbreiten, die in anderen Medien unkritisch übernommen werden.

„Was wollen Sie!?“, frage die Frau. Ich antwortete, dass ich mich in der Etage geirrt habe, und entschuldigte mich mindestens zwölfmal – bis sie mich entnervt rausschmiss. Mein Bekannter fand’s lustig, schrieb mir danach, dass sie mir verziehen habe und die Situation im Nachhinein auch witzig fand. Ich falle weiterhin fünf Stockwerke hinunter in ein Loch und ziehe Springer mit in die Tiefe.

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Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
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3 Kommentare

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  • Schonn. Aber alles auch ne Frage der Perspektive! Woll.

    Köln - wo die Schwarzkittel wohnen & Vereinigte Kalkwerke & mein Mozart-Flügel & das ging so - short cut!

    Das steinalte*1864 Teil - einer der ersten Gußrahmenflügel ever. Bruder wanderte aus & ich lebte mit Schäfers Nas Tochter in ner 50qm Zweier-WG!



    Ok - aber hatte ihn auf Vermittlung von nem Kollegen im Hahnwald geparkt! Begab mich mal nach dorten => den Namen noch - die Straße aber nur wage auf der Pfanne!



    & sodele



    Die Schildchen - früher “Hier wacht Bello“ - grauschmal “Security-AG osä“ an den Vorgärtenzäunen - hätten mich warnen sollen!



    “Komm Jung - daß ist nicht das Arisiererviertel Köln-Marienburg - frag einfach!“



    & Däh



    Ein Carport - Graue Micedis S-Klasse & - ah the Girls - Silberschwarzer Porsche 911 Targa & da! - kam die Lady auch schon durch die Seitentür!



    Cool: Wagenrad auf der Highcoloured Hairwucht blonde => “uffjetakelt wie ne Fregatte - wa!“ & ich - stand noch auf dem Trottoire - in die sich bereits entgleisende Schminke “…entschuldigen Sie …“ brach hastig ab - weil ich mit der Wiederbelebung von Hysterikern nicht besonders gut & außerdem ziemlich geräuschempfindlich bin!



    Booey - Kalkweiß - gleich nippelt sie ab & für den Derringer isses zu spät!



    “Sorry gnädige Frau! Entschuldigen Sie! Hab mich vertan! Nichts für ungut! Auf Wiedersehen!“



    Die Gesichtsfarbe kehrte zurück! Woll.



    Aber wirklich - sehr sehr langsam!



    Lia Wöhr - “Kall mei Drobbe!“ Gelle

    unterm——-btw



    Das chilenische Kinder-Mädchen mit einem Strauß von 8 bis 10 Kids - “Wie heißen die?“ -



    Ihre Liste im Handy von ca 20 Adressen zeigte die Straße + Nr. an!



    Na bitte - geht doch! Gellewelle.

  • Freunde von mir sind einmal in ein Haus gezogen, in dem hauptsächlich arabische Familien lebten.

    Beim ersten Besuch bin ich im falschen Stockwerk in die falsche Wohnung geraten.

    Der pater familias sah mich stirnrunzelnd an und als ich meine Erklärung heraus gestammelt hatte, lud er mich auf einen Tee ein und stellte mich der umfangreichen Familie vor.

  • Es ist klar, dass die Wohnung oder das Haus ein privater Ort ist, doch die Reaktion der Frau zeigte aber auch auf, dass Gastfreundlichkeit in Deutschland nicht existent ist. Noch weniger gegen Nichtdeutschen. Irrtümlich in die falsche Wohnung gegangen? Ist eben ein Irrtum, dann darf man trotzdem den Menschen wie einen Gast empfangen. Weil dieser eh nicht 24/7 sich einnisten wird (was im Grunde auch nicht verkehrt wäre bei der prekären Wohnungsnot in Deutschland).

    Fehler sind menschlich. Und wie beweist man Menschlichkeit? Auf jeden Fall nicht so, wie die Frau es tat.