Einbürgerung von staatenlosen Menschen: „Staatenlose sind nicht sichtbar“
Das neue Staatsbürgerrecht ist die Chance, etwas für staatenlose Menschen zu tun, sagt Aktivistin Christiana Bukalo. Noch sind sie nicht mal erwähnt.
taz: Frau Bukalo, mit Ihrer Organisation Statefree veranstalteten Sie kürzlich einen Dinnerabend, bei denen Staatenlose mit Bundestagsabgeordneten zusammenkamen. Was wollen Sie damit erreichen?
Christiana Bukalo: Staatenlose Menschen sind gesellschaftlich so marginalisiert, dass sie praktisch gar nicht sichtbar sind. Selbst wenn das Thema Staatenlosigkeit eine Rolle spielt, wird meist über die Betroffenen gesprochen, aber nicht mit ihnen. Das ist so, als ob nur Männer mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit befasst wären. Wir wollen Staatenlose ins Zentrum stellen – sie sollen selbst für ihre Anliegen sprechen.
29 Jahre alt, ist staatenlos, obwohl sie in Deutschland geboren wurde und ihr ganzes Leben hier verbracht hat. 2021 hat sie die Organisation Statefree mitgegründet, die sich für die Interessen von staatenlosen Menschen einsetzt.
Das gelingt mit einem Abendessen?
Wir erhoffen uns dadurch eine Art Entmystifizierung – sowohl für Politiker*innen als auch für Staatenlose. Staatenlosen erscheint Politik oft als etwas Undurchdringliches, Machtvolles. Viele haben den staatlichen Apparat bisher nur als ablehnend und ausschließend erlebt. Wir wollen zeigen, dass hinter diesem System Politiker*innen und somit auch nur Menschen sind.
Und inwiefern brauchen Politiker*innen eine „Entmystifizierung“?
Den Politiker*innen wiederum wollen wir die realen Probleme nahebringen, die sich für Betroffene hinter dem vermeintlich abstrakten Thema Staatenlosigkeit verbergen. Die Abgeordneten sollen die Lebensrealität dieser Menschen kennenlernen. Das ist auch deshalb wichtig, weil Staatenlosen mit der Neuregelung des deutschen Staatsbürgerrechts jetzt konkret geholfen werden könnte.
Der aktuelle Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium sieht schnellere Einbürgerungen sowie Sonderregelungen für Menschen aus der Gastarbeitergeneration vor.
Das Gesetz enthält eine Menge guter Ideen, aber Staatenlose sind hier bisher nicht berücksichtigt. Um ihnen eine Einbürgerung in Deutschland zu ermöglichen, muss Staatenlosigkeit klar im Gesetz benannt werden. Obwohl Deutschland sich völkerrechtlich zum Schutz von staatenlosen Menschen verpflichtet hat, sind sie im Staatsangehörigkeitsgesetz nicht sichtbar. Hier stellt sich die Frage: Wie schützt man eine Bevölkerungsgruppe, die man nicht mal klar benennt?
Mitte Mai haben sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) auf einen Entwurf für das neue Staatsbürgerschaftsgesetz geeinigt. Ausländer*innen müssten dann statt acht nur noch fünf Jahre, bei „besonderen Intergrationsleistungen“ sogar nur 3 Jahre in Deutschland leben, bevor sie eingebürgert werden können. Geplant sind auch Erleichterungen für ehemalige Gast- und Vertragsarbeiter*innen, die Verankerung der doppelten Staatsbürgerschaft und bessere Prüfverfahren auf antisemitische, rassistische und sexistische Einstellungen. Staatenlose Menschen finden im Gesetzentwurf bislang keine Berücksichtigung. Auch sonst gibt es Kritik – etwa an den Auswirkungen auf Kinder armer Eltern. Nach der Sommerpause soll der Gesetzentwurf nun im Kabinett beraten werden. (taz)
Welche konkreten Regelungen wären aus Ihrer Sicht nötig?
Staatenlose Kinder, die in Deutschland geboren werden, müssten direkt das Recht auf Einbürgerung erhalten. Im Moment ist das nicht der Fall. Häufig wird die Staatenlosigkeit an die nächste Generation weitergegeben. Auch für staatenlose Menschen, die bereits erwachsen sind, aber im Kindesalter nach Deutschland kamen oder hier geboren wurden, muss es Erleichterungen bei der Einbürgerung geben. Diese Menschen leben teilweise seit Jahrzehnten hier. Das muss anerkannt werden.
Staatenlosigkeit vererbt sich?
Von den rund 126.000 Staatenlosen, die in Deutschland leben, sind etwa 36.000 hier geboren und haben die Staatenlosigkeit gewissermaßen geerbt. Das hat auch damit zu tun, dass in Deutschland Kinder von staatenlosen Eltern meist automatisch als staatenlos oder mit einer „ungeklärten Staatsangehörigkeit“ registriert werden. Viele von ihnen leben bereits ihr ganzes Leben hier und erfüllen eigentlich alle Anforderungen für die Einbürgerung. Trotzdem wird ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit verwehrt. Das ist besonders ungerecht. Wer ist denn deutsch, wenn nicht diese Kinder, die hier geboren sind und ihr ganzes Leben hier gelebt haben, ohne jemals eine Bindung zu einem anderen Staat zu haben?
Wie kommt es, dass die Eltern staatenlos sind?
Es gibt viele unterschiedliche Gründe. Manche Länder haben bestimmte Gruppen gezielt aus dem Gesetz ausgeschlossen. So hat es etwa Myanmar mit den Rohingya, einer muslimischen Minderheit, in den 1990er Jahren gemacht. Ähnlich war es in Deutschland im Zweiten Weltkrieg, als jüdische Menschen, Sinti und Roma ausgebürgert wurden. Dann gibt es den Fall, dass Staaten scheitern oder sich auflösen, wie es mit Teilen der Sowjetunion oder in Somalia geschah. Da fielen Menschen durchs Raster, kein Staat fühlte sich mehr für sie verantwortlich. Ähnlich ergeht es teils Menschen aus Gebieten, die international nicht als Staat anerkannt sind, wie Palästina oder Westsahara. In bestimmten Staaten gibt es aber auch diskriminierende Gesetze, nach denen die Mutter ihre Staatsbürgerschaft nicht an ein Kind weitergeben kann. Wenn der Vater unbekannt ist oder sich nicht zum Kind bekennt, ist das Kind dann staatenlos. Und auch in Staaten mit fehlerhafter Geburtenregistrierung werden Kindern manchmal einfach keine Papiere ausgestellt. Auch sie rutschen dann oft in die Staatenlosigkeit.
Was bedeutet das für Betroffene?
Viele essenzielle Rechte sind an die Staatsbürgerschaft geknüpft. Wer staatenlos ist, kann meist nicht ins Ausland reisen, darf nicht wählen und hat oft Schwierigkeiten beim Heiraten. Staatenlosigkeit bringt aber auch ganz viele kleinere Probleme mit sich. Ohne Ausweis wird es etwa schon schwierig, Post in der Filiale abzuholen oder ein Konto zu eröffnen. Für Kinder bedeutet eine fehlende Staatsbürgerschaft besonders viele Schwierigkeiten. Sie können nicht an Schulausflügen teilnehmen, haben später oft Probleme, Bafög zu erhalten. Das frisst sich durch das ganze Leben.
Würde eine Änderung des Staatsbürgerrechts nach Ihren Vorschlägen die Probleme der Staatenlosen in Deutschland lösen?
Nicht alle, aber sehr viele. Ein wichtiger zusätzlicher Schritt wäre es, geregelte Verfahren zur Anerkennung der Staatenlosigkeit in den deutschen Behörden zu etablieren. Es ist oft sehr schwer nachzuweisen, dass man staatenlos ist. Wie beweist man, etwas nicht zu haben? Daran scheitern regelmäßig auch Anwält*innen. Bisher werden viele Staatenlose deshalb gar nicht als solche registriert, sondern landen bei den Ämtern in der Kategorie „ungeklärt“. Und in diesem Status bleiben viele gefangen. Oft haben sie einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung, schaffen aber den Sprung in die deutsche Staatsbürgerschaft nie, weil sie ihre Staatenlosigkeit nicht klar nachweisen können.
Welchen Beitrag kann eine Organisation wie Statefree leisten?
Staatenlos zu sein ist eine sehr isolierende Erfahrung. Angefangen haben wir deshalb als ein Online-Forum für Betroffene. Mittlerweile hat sich unsere Arbeit stark erweitert, wir arbeiten nicht nur an einer Community, sondern auch an der Sichtbarkeit und Gleichberechtigung von Staatenlosen. Durch Podcasts, Ausstellungen und andere Veranstaltungen bringen wir das Thema in die Öffentlichkeit. Gleichberechtigung wollen wir erreichen, indem wir Gesetzesänderungen anstoßen und unsere Expertise anbieten. Wir können uns zum Beispiel gut vorstellen, bei der Entwicklung eines effektiven Anerkennungsverfahrens mitzuhelfen.
Sehen Sie eine Chance, dass die Ampelkoalition die Gesetzeslage jetzt tatsächlich verbessert?
Ich hoffe, dass die Ampel die Chance nutzt, das neue Staatsbürgerschaftsgesetz noch so zu verändern, dass es auch Staatenlose inkludiert. Ein Gesetz über so etwas Fundamentales wie die Staatsbürgerschaft wird ja nicht alle Tage geändert. Das ist für Deutschland jetzt die Chance auf dem Silbertablett, im internationalen Vergleich endlich aufzuholen und etwas für Staatenlose zu tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich