Ein stolzer, aber trauriger Geburtstag: Erstmals ohne die Schwester

Am Dienstag wird Katharina Schwarzbauer im Bayerischen Wald 101 Jahre alt. Ihre Zwillingsschwester starb Ende Januar an Covid-19.

Katharina Schwarzbauer mit Familienmitgliedern.

Katharina Schwarzbauer, Anna Zitzelsberger (verstorben), dahinter die beiden Töchter Foto: Patrick Guyton

Auf der Trauerkarte steht: „Die Mama war’s – was brauchts der Worte mehr.“ Hundertjährig starb Anna Zitzelsberger am 29. Januar 2021 im Pflegeheim in Ruhmannsfelden. Ihre Zwillingsschwester Katharina Schwarzbauer lebt weiterhin in dem Markt im Bayerischen Wald. Und an diesem Dienstag, 4. Mai, wird sie 101.

Die beiden waren fit beim Besuch im vergangenen Herbst. Schwarzbauer sagte: „Ich bin pumperl­gsund.“ Auch die Schwester Anna stand in der Früh immer auf und wurde mit dem Rollstuhl geschoben, oft gingen sie mit Tochter und Nichte für einen Kuchen ins nahe Café Mader. Zu dieser Zeit war Corona abgeebbt, Besuche waren erlaubt.

Recherchen zufolge waren die Jahrhundertfrauen wohl das einzige lebende Zwillingspärchen in diesem Alter in Deutschland. Sie erzählten von ihrem harten, aber geerdeten Bayerwaldleben, vom Aufwachsen mit neun Geschwistern in einer Bauernfamilie. Es wurde Holz gehackt, man lebte vom Wald, der Vater war auch Wilderer, sonst hätte er die Familie nicht durchgebracht. Eine raue, versunkene Welt. Immer blieben sie nah beieinander, heirateten, bekamen Kinder, Enkel, Urenkel. Zuletzt teilten sie sich ein Zimmer im Heim.

Ab Oktober, als die Infek­tions­zahlen wieder in die Höhe schnellten, durften sie nicht mehr besucht werden. „Aber wir haben geskypt, alle 14 Tage“, erzählt Margot Wagner, die Tochter von Anna Zitzelsberger. Das Pflegepersonal organisierte das, hielt den beiden im Heim das Handy bereit. „Die Mama war putzmunter“, erinnert sich Wagner.

Trotz Schutzmaßnahmen infiziert

Am 23. Januar erhielten sie ihre erste Coronaschutzimpfung und waren sehr froh darüber. „Das war schon eine Erleichterung“, so Wagner. Denn viele Bewohner und Teile des Personals hatten sich trotz aller Schutzmaßnahmen infiziert.

Doch nur zwei Tage nach der Impfung rief das Heimpersonal an: Die Schwestern seien Corona-positiv. Es braucht eine gewisse Zeit, bis die Erstimpfung ihre Wirkung aufbaut. Ob Katharina Schwarzbauer tatsächlich infiziert war, lässt sich nicht rekonstruieren. Den beiden gehe es „soweit gut“, meinten die Pflegekräfte.

Margot Wagner und ihre Schwester Christine Heimerl, die sich hauptsächlich um die beiden kümmerten, konnten nichts weiter machen. Zwei Tage später sagte man ihnen, die Mutter sei „ein bisschen matt, sie schläft“. Dann wurden die Mitteilungen immer schlechter: Der Zustand sei „nicht so gut“. Tags darauf wurde gesagt: „Es geht dem Ende zu, Sie dürfen kommen.“ Nach Negativtests und in Schutzkleidung eingehüllt, konnten sie alle ins Zimmer, die Töchter und auch die Enkel.

„Wir haben uns verabschiedet“, meint Margot Wagner. Am 29. Januar morgens um 3.55 Uhr ist Anna Zitzelsberger dann „friedlich eingeschlafen“, so sagt es die Tochter. Da waren sie da. Sie streichelten der Verstorbenen über die Wangen. Der Arzt sagte: „Mit 100 darf man an allem sterben, nur nicht an Corona.“

„Wieder derrappelt“

Am 3. Februar wurde Anna Zitzelsberger beerdigt, im Familiengrab auf dem Friedhof von Gotteszell, neben der Pfarrkirche St. Anna. „Es hat nur gegossen und war sehr kalt“, erinnert sich Wagner. 25 Angehörige waren zugelassen, die Kirche blieb wegen Corona abgesperrt.

Die Schwester Katharina Schwarzbauer kam nicht, sie war psychisch zusammengebrochen. Sie musste in eine Klinik gebracht werden, nach einiger Zeit verlegte man sie dort auf die Palliativstation, weil ihr Zustand aussichtslos erschien. „Doch irgendwie hat sie sich wieder derrappelt“, meint die Nichte. Im März kam sie zurück ins Heim. „Sie vermisst ihre Schwester sehr und möchte nun bald eine Messe für sie lesen lassen.“

Die Angehörigen kommen am Dienstag in kleiner Runde und gemäß den Coronavorschriften zusammen, das traditionelle Geburtstagsessen im Gasthof Hacker in ­Gotteszell fällt aus. Aber die Nichten werden die Tante im Heim besuchen zum 101.

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