Ein Tag im Columbiabad Neukölln: Hauptsache, Rutsche
Das Berliner Columbiabad ist mehr als Massenschlägereien. Es ist auch ein Ort der Erholung und ein Treffpunkt für sehr verschiedene Menschen.
Doch bevor man es überhaupt zur Pommes schafft, muss man in dieses Schwimmbad erst mal reinkommen. Im Sommerbad Neukölln, welches unter dem Namen Columbiabad bekannt sein dürfte, ist die Kasse nämlich täglich nur bis 10 Uhr geöffnet, danach kann man die Tickets online erwerben – solange der Vorrat reicht.
An diesem heißen Samstagnachmittag stehen ein paar Personen vor dem Eingang, darunter ein Kind in Badehose und einem roten Plastikeimer mit seinem Vater. Es schreit und weint. Der Vater versucht einem der Mitarbeiter, der für den Eingang verantwortlich ist, zu überreden, doch reinkommen zu können: „Ja, aber früher konnte man auch Tickets an der Kasse kaufen“, argumentiert der Vater und zeigt auf sein enttäuschtes Kind.
Der Freibadangestellte zuckt mit den Schultern. „Sie brauchen ein Onlineticket, einen Personalausweis und kein Messer, kein Glas oder ähnliche Waffen in Ihrem Rucksack. Dann dürfen Sie rein. Nur leider nicht mehr heute“, sagt er und winkt die Leute mit einem Ticket durch.
Die Besonderheit
Das Sommerbad Neukölln wurde 1951 als erstes Freibad Westberlins vom damaligen Oberbürgermeister Ernst Reuter eröffnet. Von der ursprünglichen Anlage sind heute das Sportbecken, der Sprungturm, das sogenannte Volksbecken, die Zuschauertribüne und die Liegeterrassen erhalten. Die zwei geschwungenen Rutschen des „Volksbeckens“ wurden im Laufe der Jahre durch eine große Wasserrutsche ersetzt.
Das Zielpublikum
Jeder von alt bis jung, von Prenzlauer Berger bis zum Neuköllner. Genug Platz für Massenprügelein ist auf jeden Fall vorhanden.
Hindernisse auf dem Weg
Der Sprungturm hat 2023 keine Zulassung vom TÜV bekommen und bleibt vorerst geschlossen. Wer kein Ticket bekommen hat und trotzdem rein will, muss einen hohen Zaun überwinden.
Wenn man die erste Hürde genommen und die härteste Tür Neuköllns überwunden hat, beginnt die nächste Herausforderung: einen Platz zu finden! Denn es gibt eine ungeschriebene Aufteilung unter den Besuchern, die man kennen muss. In der Nähe des Imbiss und des großen Beckens tummeln sich die Jugendlichen. „Heute gibt es Vapes statt Prügel“, sagt ein größerer Junge gönnerhaft zu einem kleineren. „Heute auf Kombi, Bruder“, fügt er hinzu. Ein Mädchen berichtet von einem fürchterlichen Kuss, während ihre Freundin einen Arm um sie legt.
Weinblätter gegen Baklava
Am Kinderplanschbecken, das inzwischen wieder in Betrieb ist, nehmen die Familien mit kleinen Kindern Platz. Zum Teil sitzen große Familien mit großen Decken und sehr viel Essen dort. Auch die Großeltern sind dabei. Sie bieten ihren Nachbarn gefüllte Weinblätter an. Die Nachbarn wiederum bieten ihnen Baklava an.
Ganz weit hinten auf der Wiese, wo es einem vorkommt, als müsse man eine halbe Ewigkeit zum Becken gehen, liegen die Neuankömmlinge, die entweder neu nach Neukölln gezogen sind oder schon immer mal ins Columbiabad wollten. Einzelne Personen, die ein Buch lesen. Personen, die gar nicht ins Wasser wollen. Und einige, die eben später angekommen sind und keinen besseren Platz bekommen haben.
Die Geräuschkulisse ist ein Remix aus Geschrei, Wasserplanschen, Youtube Oriental Mix-Playlisten, von gesungenen Koranversen, deutschem Punk und arabischem Pop. Und mittendrin, auf einer der Sitzbänke, sitzt eine Gruppe von Frauen in Burkinis, die Sonnenblumenkerne essen und sich über ihre Männer beschweren.
Die Rutsche hat auch wieder auf, und minütlich wächst die Schlange. Ein Kind bietet einem anderen sein Wassereis an, im Gegenzug möchte es vorgelassen werden.
Im Juni 2023 ging es im Sommerbad Neukölln nicht so harmonisch zu. Als rund 50 Jugendliche die Rutsche stürmten und einen Polizeieinsatz auslösten, musste das Bad geräumt und die Rutsche geschlossen werden. Es folgten Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Beschäftigten. Die Mitarbeiter schrieben einen Brandbrief an die Chefetage, und das Bad blieb geschlossen.
Vorfälle wie diese würden die Mitarbeiter krank machen, hieß es damals vom Chef der Bäderbetriebe Johannes Kleinsorg. Eine bundesweite Debatte war die Folge. Die Grünenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus forderte ein Hausverbot für gewalttätige Mehrfachtäter – nicht nur im Columbiabad, sondern in allen Schwimmbädern. Auch Friedrich Merz (CDU) äußerte sich – sein Wunsch: eine höhere Polizeipräsenz.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Keine Spur von Merz’ Polizisten
Das Columbiabad hat dennoch weiterhin auf. Keine Eskalation, kein Hausverbot und auch keine Spur von Merz’ Polizisten, lediglich die Hürden beim Einlass. Und ein Plakat, welches am Bauzaun des geschlossenen 50-Meter-Sportbeckens hängt. Auf dem ist eine Werbung für die Hilferuf-App Safe Now zu sehen, mit der der Sicherheitsdienst alarmiert werden kann, wenn Gefahr droht. Sie ist ein Pilotprojekt und seit dem 3. Juni im Einsatz.
Vor dem Plakat sitzt einer der Sicherheitsleute und schleckt genüsslich an seinem Eis. Bisher verläuft der Sommer im Columbiabad recht ruhig.
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