piwik no script img

„Ein Stück Rechtssicherheit“

Rechtsanwalt Hans-Joachim Ehrig: Die bisherige Anonymität der Beamten fördert die Bereitschaft zu Übergriffen

taz: Grüne, SPD und FDP haben sich in den Koalitionsverhandlungen auf eine Kennzeichnung der Polizisten verständigt. Wird das die Aufklärung von Polizeiübergriffen erleichern?

Hans Joachim Ehrig: Bei Demonstrationen wird die Bereitschaft, Übergriffe zu begehen, bisher dadurch begünstigt, dass die mit Helm und heruntergezogenem Visier uniformierten Polizisten im Schutz der Anonymität agieren. Durch die Kennzeichnung würde die Identifizierung des Einzelnen deutlich erleichtert. In der Vergangenheit hat es immer wieder Fotos von Presse- und Privatleuten gegeben. Es hat sich aber gezeigt, dass die Beamten, die zum Teil mit erhobenem Schlagstock beim Zuschlagen fotografiert wurden, von den anderen überhaupt nicht zu unterscheiden waren. Ein anderes Problem ist, wenn es auf der Wache oder im Polizeiwagen – wo es keine neutralen Zeugen gibt – zu Polizeiübergriffen kommt. In diesen Fällen wird es auch bei einer Kennzeichnung der Beamten schwierg bleiben, die Tat nachzuweisen. Nicht nur weil Aussage gegen Aussage steht, sondern weil der Betroffene allein gegen viele Polizisten steht, die ihren Kollegen decken.

Müssen Ermittlungsverfahren häufig eingestellt werden, weil der Beschuldigte nicht namhaft gemacht werden kann?

Nach Erfahrungen der Vereinigung Berliner Strafverteidiger wird in drei von vier Fällen gar nicht erst Anzeige erhoben, weil keinerlei andere Beweismittel als die Aussage des Betroffenen zur Verfügung steht und keine Identifizierung des Polizisten möglich erscheint. Das heißt, die offiziellen Zahlen der Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt müssen eigentlich mindestens mit drei multipliziert werden, um die Dunkelziffer zu erfassen.

Der Chef der Schutzpolizei behauptet, es sei selten ein Problem, Beamte namentlich zu ermitteln.

Das wird durch die vielen Erfahrungen von bemühten Staatsanwälten widerlegt, die viel Kraft darauf verwendet haben, einzelne Beamte durch Gegenüberstellungen und Befragungen ganzer Einheiten identifizieren zu lassen. Niemand hat den entsprechenden Beamten benennen können oder wollen. Insofern denke ich, dass durch die Kennzeichnungspflicht auf jeden Fall ein Stück Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit in diese Grauzone einziehen wird.

Die Gewerkschaft der Polizei hat angekündigt, notfalls durch alle Instanzen gegen die Kennzeichnung zu klagen.

Dass sich die GdP dagegen verwahrt, kann ich nicht verstehen. Die Kennzeichnung dient schließlich nur einer Identifierung eines Tatverdächtigen. Die Schwierigkeit, die Tat nachzuweisen und den Beschuldigten vor Gericht zu überführen, bleibt auch weiterhin bestehen.

Die GdP befürchtet, dass Beamte zu Unrecht angezeigt werden.

Das halte ich für vorgeschoben. Versuche in Hessen haben das Gegenteil erwiesen. Außerdem gibt es die Strafandrohung der falschen Verdächtigung. Jeder der missbräuchlich und ohne Anhaltspunkt Anzeige erstattet, wird wie bisher auch die volle Härte des Gesetzes spüren.

Warum sind Polizisten so wenig bereit, die schwarzen Schafe in den eigenen Reihen anzuzeigen?

Das hängt mit dem zusammen, was man seit Kaiser Wilhelms Zeiten den Corpsgeist bei der Polizei nennt. Für den einzelnen Beamten ist es unerhört schwer als so genannter Nestbeschmutzer gegen einen Kollegen auszusagen. Viele, die das mal gemacht haben, sind von ihren Kollegen so gemobbt worden, dass sie die Dienststelle verlassen oder den Polizeidienst quittiert haben.

Ist das ein Führungsproblem?

Zunächst einmal ist es ein Ausbildungsproblem. Den Polizeischülern muss demokratischer Geist gelehrt werden. Es muss sich durchsetzen, dass zu einer modernen demokratischen Polizeiarbeit die Verfolgung jeglicher Straftaten gehört, auch die der eigenen Kollegen. INTERVIEW: PLU

Hans Joachim Ehrig (54) ist Vorstandsmitglied der Anwaltskammer und war langjähriger Vorsitzender der Vereinigung Berliner Strafverteidiger.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen