Ein Sommer in der Stadt: Die Tage am Hafen
Container sehen auf einem Güterschiff viel interessanter aus als auf einem LKW. Das hat wohl mit Romantik und dem Sommer zu tun.
I ch fahre nirgendwohin, ich bleibe diesen Sommer in der Stadt. Jeden Tag gehe ich zum Fischmarkt runter. Ich habe mir Barfußschuhe gekauft. Im Internet hat einer gesagt, dass seine ganzen Probleme verschwunden sind, seit er barfuß läuft. Menschen, die barfuß laufen, sind sehr gesund, und das Gesunde daran gefällt mir.
Aber was mir nicht gefällt, ist der Dreck. Ich fange schon an zu würgen, wenn vor mir einer auf die Erde rotzt.
Ich dachte, es ist ein Kompromiss, wenn ich mir Barfußschuhe kaufe. Die Sache ist die, dass Barfußschuhe nicht aussehen. Die andere Sache ist die, dass man in ihnen immer noch in Schuhen läuft und nicht barfuß. Aber dann las ich im Internet, dass es immer noch besser sei, in Barfußschuhen zu laufen, als in Schuhen, die keine Barfußschuhe sind. Ich laufe also jeden Tag in meinen Barfußschuhen, die nicht so total wie Barfußschuhe aussehen, sondern eher wie DDR-Turnschuhe, runter zum Hafen und dann, solange es geht, direkt am Wasser entlang. Da gefällt es mir so gut und ich rede mir ein, dass ich keinen Urlaub brauche, weil ich ja in Hamburg lebe und jeden Tag am Hafen entlanglaufen kann.
Am Hafen es jetzt ruhig. Die Leute sind alle weggefahren, im Urlaub. Natürlich machen auch welche hier Urlaub, aber wie es aussieht, gar nicht mal so viele.
Ich laufe also da lang und denke über den Hafen nach, weil ich immer über alles nachdenke. Ich sehe, wie ein Containerschiff von zwei Schleppern gedreht wird. Ich sehe es mir ganz genau an, die ganze Drehung. Ich bin begeistert, aber warum?
Es sind einfach nur rostige Container, die sonst auf Lkws liegen, auf der Autobahn, und da gefallen sie mir überhaupt nicht. Es sind Waren, nichts als Waren. Es ist Industrie, Handel, Transport, es macht die Elbe dreckig. Wenn ich runter auf’s Wasser schaue, dann ist es braun. Man möchte nicht unbedingt in diesem Wasser baden, obwohl ich das schon getan habe, am Falkensteiner Ufer, wo die Dünen sind, da habe ich wohl schon gebadet und den Dreck vergessen.
Man kann ja nicht immer an das Schlechte denken. Und obwohl ich an das Schlechte denke, weil ich nun mal so bin, gefällt mir der Hafen so gut, gefallen mir die Schiffe so gut, wie sie sich so langsam drehen, und ich überlege, wo sie wohl hinfahren. Ich lasse in mir so eine Romantik aufkommen, jeden Tag aufs Neue. Und wie ich da so über die Planken laufe, hinter einem Haus am Holzhafen, da steht doch vor mir direkt was zum Verschenken, für meine Kolumne! Auf dem Boden liegt ein kleines blaues Buch mit einem eichenblattumkränzten Anker: „Taschenbuch für Wehrausbildung“, an seinem Kopf steht aufrecht ein blauer Diercke Weltatlas. Es ist ein kleiner Altar. Es ist ein Hafengeschenk, von einem kleinen Matrosen.
Ich habe einmal eine Geschichte über einen kleinen Matrosen geschrieben, dafür habe ich recherchiert und herausgefunden, dass die Ausbildung zum Matrosen in der BRD 1984 eingestellt wurde, dass es den Beruf eigentlich gar nicht mehr gibt. Nur in der Marine, in der Matrose der unterste Dienstgrad ist, mit Matrosenanzug und dem ganzen Schnack. Das war enttäuschend.
Aber ich will, dass meine Romantik siegt: Der kleine Matrose hat seinen Abschied genommen und seine wichtigen Bücher der Welt hinterlassen, mir, für meinen Text, so nah am Wasser, wie es ging, mit Gruß an die Elbe, mit Gruß an mich.
Ich habe ja dieses Jahr überhaupt keinen Sommerurlaub. Aber dafür habe ich dies hier und die herrliche, vollgerotzte Stadt.
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