Ein Ethnologe an Hamburgs Kunsthochschule: Irritierendes Terrain

Aus den Nuba-Bergen zurückgekehrt, wurde Fritz W. Kramer 1989 Theorielehrer an der HFBK – und betrieb auch dort ethnografische Forschung.

Zwei Menschen inmitten vieler Luftballons: Lars Hinrichs und Suse Itzel bereiten im Juli 2010 eine Kunst-Performance vor.

Thema für die Ethnografie? Die Studierenden Lars Hinrichs und Suse Itzel bereiten eine Performance vor Foto: Maurizio Gambarini/dpa

HAMBURG taz | „Empört“ sei sie gewesen, erinnert sich Nora Sdun in ihrer „Randbemerkung“: Beforscht werden? „Ich hatte nichts dagegen, in satirischen oder ernsten künstlerischen ‚Arbeiten‘ vorzukommen, aber bitte nicht in wissenschaftlichen, das fand ich demütigend.“ Sdun ist einerseits eine der zwei Be­trei­be­r*in­nen des Hamburger Textem-Verlags, also Verlegerin des Buchs, um das es hier gehen soll. Sie spricht da aber über eine Zeit, in der sie selbst studiert hat an der Hamburger Kunsthochschule, der Hochschule für bildende Künste (HFBK) – an der Fritz W. Kramer zwischen 1989 und 2007 seine „Erkundungen“ unternahm, beziehungsweise: „Beobachtungen zu Künstlern, werdenden Künstlern und ihren Arbeiten“.

„In meinem verquasten Kopf“, so Sdun, sei ihr das Unterfangen des Ethnologen „zugleich läppisch uninteressant und ungehörig“ erschienen: „Läppisch, weil eine deutsche Kunstakademie ja nun wirklich nicht interessant sein kann – ein Haus vollgestopft mit Leuten, die sich absichtlich zu Egomanen ausbilden lassen; Ungehörig, weil ich hätte gefragt werden wollen“.

Frisch aus dem Feld zurück

Kramer, Jahrgang 1941, hat tatsächlich an der FU Berlin Ethnologie unterrichtet, ehe es ihn als Lehrenden der Ästhetik, der Bildtheorie und der visuellen Anthropologie an die HFBK verschlug. So erwähnt er zurückliegende Feldforschungen – Kramer betrieb solche etwa im Hochland von Neuguinea, in Jejuri, Indien, am Tanafluss, Kenia; die direkteste Bezugsgröße zur teilhabenden Beobachtung am Hamburger Lerchenfeld nun liefert ein Aufenthalt in den südlichen Nuba-Bergen, Sudan: Von dort war er nur Wochen zuvor zurückgekehrt, hatte 1987/88 auch die Anfänge der gewaltsamen Konversion der Menschen dort zum Islam mitbekommen.

„Ethnografie, wie ich sie verstehe, ist eine Momentaufnahme“, schreibt er ziemlich zu Beginn. So eine Ethnografie nehme keine „Epoche in den Blick“, vielmehr „eine sinnlich – analog – erfahrbare Gemeinschaft“, „am besten eine „Face to face group“, in der jede und jeder beinahe alle anderen kennt“.

Nun haben – anders als auf Forschungsreisen in ach so exotische Weltgegenden – an einer hiesigen Hochschule der Forschende, das Erforschte und das Publikum für solche Forschung „die meisten Bereiche“ des sozialen Lebens gemein: Sie sind einander nahe, bilden Schnittmengen.

„Statt einer Ethnografie kann es so nur zu ethnografischen Bemerkungen zu sonst irritierenden Phänomenen kommen“, so Kramer – und da komme dem Forscher so etwas wie eine eben erst beendete Abwesenheit zupass: „Was für selbstverständlich gehalten wird, nicht nur im Milieu, sondern auch in der Gesellschaft im Allgemeinen, wird ihm zum Rätsel, das sein Verständnis seltsam hemmt. Er wirkt, mit anderen Worten, begriffsstutzig.“

Leichtigkeit – und Pathos

Verglichen mit der eben erst verlassenen Krisen-, ja: Kriegsregion ist dann einerseits von „spielerischer Leichtigkeit“, was er an der Hochschule antrifft, all das Ausstellen, Verhüllen, Hausstaub-Dokumentieren oder das Den-längsten- überdachten-Weg-in-irgendwessen-Heimatstadt-Erforschen; aber dann fällt ihm auch wieder ein merkwürdiges Pathos auf: Es sind gerade nicht die in Lehmhütten lebenden Menschen in den Nuba-Bergen, die glauben, per Baumaterial große Menschheitsprobleme lösen zu können – mit solchen Hoffnungen trägt sich vielmehr der Hamburger Architekturstudent.

Die Rolle der Künst­le­r:in­nen und deren Verhältnis zu Vorbildern beleuchtet Kramer so, die Kontrastfolie eines ja selbst ausprobierten, ganz anderen Lebens immer hilfreich zur Hand; ebenso etwa die Funktion auch von Schmutzigem, Gefährlichem, anderweitig Verbotenem: Mal stößt er auf Ähnliches, auf Parallelen; dann wieder sind es doch eher Unterschiede, die er herausarbeitet.

Interessant – und vielleicht aus den Köpfen auch mancher Beteiligter wieder verschwunden: Seine „Übersetzungsversuche“ und „weit ausgreifenden Vergleiche“, schreibt Kramer, hätten damals, also in den 1990er-Jahren, „im Trend“ gelegen – bloß in genau umgekehrter Richtung: „Im letzten Drittel des Jahrhunderts suchte eine Vielzahl junger Künstler selbst das ethnografische Feld auf“, man sei also in die Ferne gereist, um „zu beobachten und zu sammeln und diese Erfahrungen in Fotografie und Film, Performance und Installation zu verarbeiten“.

Romantischer Blick aufs Fremde

Heute, so ist anzunehmen, würde sich die damalige Unbekümmertheit – auch: die Ursprünglichkeits-Romantik der Reisenden aus dem globalen Norden, ihr Ekel gegenüber dem „Konsumismus der Popkultur“ – wohl einer ganz anderen (Selbst-)Kritik gegenüber sehen: Kulturelle Aneignung scheint in den 1990ern noch niemand als Problematisches angesehen zu haben. Immerhin erkennt Sdun an ihrem Reflex gegen das Erforschtwerden, dass da auch etwas Rassistisches im Spiel gewesen sei; die Empörung also auch darin wurzelte, dass man schließlich nicht „eine von denen“ sei oder sein wolle.

Fritz W. Kramer: „Unter Künstlern. Erkundungen im Lerchen-feld“. Textem Verlag Hamburg 2020, 152 S., 16 Euro

www.textem.de/campo.html

„Unter Künstlern“ ist erschienen als dritter Band der „Campo“-Reihe des Verlags: Eine Reihe „zu Kunst und Ethnografie“ ist es erklärtermaßen, die sich „Spiegelungen und Übersetzungsproblemen“ widme, „in den Medien, zwischen Wissenschaft und Kunst, quer durch die Weltgegenden und wieder zurück“.

Aufs Reden über werdende Kunst und jene, die sie produzieren, schließt sich bei Kramer ein umfangreicher Bildteil an: Arbeiten von HFBK-Künstler:innen, „die wie in der Ethnografie eine Grenze überschreiten“.

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