Ein Besuch in der Therme: Entspannung im Nilpferdbecken
Unsere Kolumnistin verbringt ihre Feierabende manchmal in einem Wellnesstempel in Wien. Der fünfte Aufguss ist ihr liebster.
W ellness hat viele Gesichter. Thermalquellen, ein riesiger Kurpark, sogar eine eigene Kurkonditorei. Als mir A. von der Therme Wien vorschwärmt, hatte ich ein etwas anderes Bild im Kopf. Steigt man dann aber am südlichen Stadtrand, an der Endstation Oberlaa, aus, steht man plötzlich vor einem Haufen Beton. Von außen sieht die Therme wie ein gigantisches Lego-Raumschiff aus. Links ragt ein mehrstöckiges Gesundheitszentrum über die graue Fläche, das Vordach zum Bade- und Saunabereich erinnert an ein Tetris-Spiel.
„Zweimal After Work“, sagt A., und die Angestellte in Thermen-Merch-Vollmontur reicht uns zwei Beutel, darin kratzige Handtücher und viel zu heiß gewaschene Bademäntel. Mit ambivalenten Gefühlen steige ich die Treppe zu den Umkleiden hinab, jeder Schritt führt mich näher Richtung Sauna, zu der ich ein ähnliches Verhältnis habe wie zur Zahnreinigung. Vorher: null Bock! Mittendrin: eigentlich ganz okay damit. Und im Nachhinein: froh, dass ich da war.
Spätestens ab Mitte 30 gehen gute Teile der Freizeit für die Sanierung des eigenen Körpers drauf. Nicht, weil man plötzlich zur Anhänger*in eines absurden Longevity-Kults geworden wäre und seine gesamte Lebensenergie darauf verwendet, niemals sterben zu wollen. Sondern, weil man ganz einfach den normalen Alltag überleben möchte. A.s Geheimtipp dafür sind die Massagedüsen. Mit ihnen kann man sich alles wegmassieren, was einem der Schreibtischstuhl unter der Woche angetan hat.
Zarter Dampf schwebt über dem beheizten Außenpool, in dem wir nun wahlweise Verrenkungen vor den Düsen ausführen oder so vergnügt planschen wie die Nilpferde. Nur Paarung ist nicht erlaubt, dann kommt nämlich der Saunawart mit seiner Trillerpfeife. Geflirtet wird indes wie verrückt: „Komm, setz dich neben mich, Sugar Mommy“, ruft ein junger Mann beim Saunagang einer deutlich älteren Frau zu. „Ich bin zu viel für dich“, sagt sie und nimmt das Angebot lachend an.
Nacktsein verbindet
In der Sauna sind alle gleich. Da sitzen die Balkan-Boys vom Stadtrand neben der zugezogenen Kärntnerin. Da macht ein Unternehmer aus Niederösterreich den Aufguss, während ihn ein Tätowierter von der Bank aus auf die Schippe nimmt. Neben Profis wirbeln hier auch Hobby-Einheizer*innen das Handtuch. Meistens ist die Stimmung freundlich, manchmal sogar euphorisch, teils so aufgekratzt wie auf Exkursion. Nacktsein verbindet, wenn nur die Blicke mancher Männer nicht wären.
Der Aufguss ist das perfekte Schauspiel. Jeder Wachler, so sagen das die Schluchtenscheißer und gendern dabei nicht, hat seinen eigenen Stil. Der Wikinger vor dem Saunaofen trägt schwarze Gummihandschuhe und macht große Ansagen: „Nach dem Aufguss wird geduscht! Comprende?!“ Der nächste, ein Schamane, versucht „den dritten Chakra“ zu öffnen, nur einen Finger über dem Bauchnabel, wo angeblich die Emotionen sitzen: „Alles, was nicht zu uns gehört, lassen wir jetzt los!“ Mit einer weihevollen Handbewegung schickt er seinen Dampf auf eine Reise.
Mit der zweiten Kelle folgt ein neuer Schwall positive Beschwörungen: „Ich bin vollständig, vollkommen und perfekt. So wie mich der höchste Schöpfer geschaffen hat. Ich verzeihe allen, die mir Böses angetan haben, denn sie sind meine Lehrmeister. Ich entscheide mich für die Liebe.“ Eis gibt es nur für „Damen“, zwei Sportskanonen haben genug. Wir aber bleiben. A. mit seiner Buddha-Miene und ich, weil mich der Ehrgeiz gepackt hat, bis zum vierten Aufguss durchzuhalten. Trotz spirituellem Blabla. Den fünften Aufguss gibt's beim Türken – als Çay. Mein persönlicher Favorit.
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