Ein Bauer gegen RWE: Saúl Luciano Lliuya gibt nicht auf
Der Kläger, Kleinbauer und Bergführer hat erlebt, wie dicke Eisschichten auf den Bergen tauten. Dem sieht er nicht tatenlos zu.
Saúl Luciano Lliuya balanciert geschickt auf einem der zehn schwarzen Rohre, die zur Laguna Palcacocha führen. Ein paar Hundert Meter sind es von dem kleinen Parkplatz am Ende der Piste bis hoch zur Lagune, die eingekesselt von den beiden Bergen Ranrapalca und Ocshapalca liegt. Jedes Jahr im Januar ist Saúl Luciano Lliuya hier oben zum Seminar mit den anderen Bergführern, um Kenntnisse aufzufrischen, den Rückgang der Gletscher zu registrieren und in Augenschein zu nehmen, wie hoch der Pegelstand der Laguna Palcacocha ist.
Die Lagune liegt ruhig im Licht der Sonne, deren Strahlen über den zerfurchten Gletscher gleiten und die Felsspalten in helles Licht tauchen. „Heute ist der Pegel niedrig, etwa fünf Meter tiefer als zuvor“, erklärt Lliuya. Er ist zwei, drei Monate nicht da gewesen. Nach der Saison als Bergführer, die von Anfang Mai bis Mitte September dauert, kümmert er sich als Kleinbauer um die Ernte von Mais, Getreide und Kartoffeln und um das Vieh, welches auf Weideflächen zwischen den Bergen steht. Das hat er auch schon als Achtjähriger mit seinem Vater Julio Luciano gemacht, von dessen Ausrüstung als Bergführer er schon früh begeistert war.
In die Fußstapfen des heute 83-Jährigen ist Sohn Saúl getreten: als Bergführer, aber auch als sensibler Naturbeobachter. „Mit meinem Vater und mit meinem Freund José Valdivia Roca, einem Umweltingenieur, habe ich immer wieder über die Gletscherschmelze und ihre Ursachen diskutiert. Beide haben mich im Sommer 2014 bestärkt, aktiv zu werden“, erinnert er sich und nimmt Platz auf dem Deich, der die Laguna Palcacocha zum Tal hin einfasst. 2014 war der Pegelstand noch deutlich höher, das Monitoring- und das Abpumpsystem aus zehn dicken Rohren noch nicht installiert.
„Die Gefahr einer Flutwelle, die alles unten in Huaraz verwüstet, drohte“, meint Saúl Luciano Lliuya. „Auch heute enthält die Lagune noch rund 17 Millionen Kubikmeter Wasser, ein Dammbruch hätte dramatische Folgen.“ Den gilt es zu verhindern, und dafür leistet der drahtige Mann mit dem lichter werdenden Haar seinen Beitrag. „Uns geht es darum, die für den Klimawandel verantwortlichen Unternehmen an den Folgekosten zu beteiligen und sie zur Verantwortung zu ziehen“, sagt er.
An den Kosten der Installation der Rohre und des Monitoringsystems, aber auch des geplanten Deichausbaus und der Installation eines Kanals soll sich RWE als größter europäischer CO2-Emittent beteiligen. „Das Projekt ist bewilligt, aber immer noch nicht initiiert. Hier geht alles immer sehr langsam“, sagt der Vater zweier Kinder. Denen will er ein Vorbild sein, er sorgt sich um ihre Zukunft. Daher ist er froh, dass im Mai 2022 die Delegation aus Deutschland im Rahmen der Beweisaufnahme vor Ort war. „Das hat dazu geführt, dass die Menschen die Zusammenhänge begriffen, auch meine Familie, die Nachbarn, die Politik.“ Die Gerüchte, dass er mit der Klage etwas verdienen wolle, sind verstummt: sowohl unten in Huaraz, wo er zwischen Mai und Anfang September lebt, wenn er Touristen durch die Berge führt, als auch oben in dem kleinen Dorf Centro Poblado de Llupa, wo er den Rest des Jahres lebt.
Kaum 20 Minuten von Huaraz entfernt lebt er dort ein Leben als Kleinbauer in direkter Nachbarschaft seines Vaters mit Blick auf die Berge, die seit Jahren ihre eisigen Kappen verlieren. Das beobachtet Saúl Luciano Lliuya seit 2002. „Da habe ich meine Bergführerausbildung gemacht, ab da die Veränderungen in der Natur wahrgenommen und das Ende der Froschkonzerte an meiner Lieblingslagune, aber auch die Verknappung des Wassers für die Landwirtschaft registriert“, erklärt er nachdenklich. Das macht ihm Sorgen, denn seit ein paar Jahren kommt es öfter vor, dass seine Frau kein Wasser zum Waschen der Wäsche hat, dass er länger warten muss, bis der Regen kommt, um auszusäen. „Der Klimawandel wird spürbar. Wir müssen mehr tun, und der Prozess ist ein Schritt in diese Richtung“, sagt er. Dann steht auf und steuert den Rückweg zum Parkplatz an, wo sein weißer Kombi steht.
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