Ehrenbürgerwürde von Hindenburg: In Berlin nicht mehr unbesiegt
Rot-Rot-Grün wird Hindenburg die Ehrenbürgerwürde aberkennen. Mit erschreckenden Argumenten wollten CDU und FDP das verhindern.
Letzteres ist auch der Grund, warum der Generalfeldmarschall Berliner Ehrenbürger ist. Bis heute. Die CDU im Generellen wiederum zeigt ebenfalls Tendenzen, die Zusammenarbeit mit der teilfaschistischen AfD zu intensivieren. Nicht nur, wenn es um Hindenburg geht. Da haben wir sie wieder, die deutschen Kontinuitäten.
Am 30. Januar jährt sich die Machtergreifung der Nationalsozialisten. 87 Jahre danach will das Berliner Abgeordnetenhaus den Senat auffordern, Hindenburg die Ehrenbürgerwürde endlich abzuerkennen. Die Entscheidung ist spruchreif, die Debatten dazu wurden im November und Dezember im Parlament geführt.
Die Begründung der Koalition für die Entehrung: Hindenburg habe entscheidend dazu beigetragen, Hitler an die Macht zu bringen und damit eine autoritäre, antidemokratische Regierung ganz in dessen Sinne.
Bei der Union hingegen (und der FDP, ganz zu schweigen von der AfD) wird für den „Held von Tannenberg“ lautstark getrommelt. „Es wird sich auch die eine oder andere journalistische Hofschranze finden, die das hochjubeln wird. Keine Frage!“, erklärte Robbin Juhnke, immerhin kulturpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, in seiner Rede zum Thema im Parlament. Da zeigt sich das Niveau der Debatte auf konservativer Seite.
„Mit dickem Radiergummi“
Seit 20 Jahren bemühen sich Grüne und Linke um die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde Hindenburgs. 2002 brachten die Grünen einen Antrag dazu ins Abgeordnetenhaus ein; er wurde genauso abgelehnt wie jener der Linken aus dem Jahr 2014. Damals übrigens mit den Stimmen der SPD. Deren Abgeordneter Alex Lubawinski führte ins Feld: „Ich halte nichts davon, dank der Gnade der späten Geburt mit einem dicken Radiergummi durch Deutschland zu gehen und alle Namen zu löschen, die nicht mehr in unser Weltbild passen. Das ist geschichtsvergessen.“
Und, mag man hinzufügen, genau die Art und Weise, wie heute noch Union, FDP und die AfD argumentieren: „Es geht hier wieder einmal um den festen Willen zur Revision von Geschichte“, sagte Juhnke im November 2019 in Richtung von Rot-Rot-Grün. Denn Hindenburg sei der „Skalp für Ihre ideologische Trophäenwand“. „Machen Sie die Ehrenbürgerliste nicht zum Kampfinstrument der politischen Korrektheit“, forderte Stefan Förster für die FDP.
Inzwischen hat es auch die SPD geschafft, sich von Hindenburg zu distanzieren. Auf ihrem Parteitag im Herbst 2018 hatte sie beschlossen, ihm die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen und sogar die „Straßenbenennungen kritisch zu prüfen“. Und auch in der Fraktion sei die Mehrheit für den gemeinsamen Antrag der Koalition breit gewesen, berichtet die Abgeordnete und Historikerin Susanne Kitschun. Im Jahr 2014 sei der Forschungsstand noch ein anderer gewesen.
Laut Kitschun hat sich die SPD „geschichtspolitisch weiterentwickelt“. So habe sich die Partei lange mit der Einordnung der Revolution in Deutschland 1918/19 schwergetan. Die jüngste Beschäftigung damit zum 100. Jahrestag habe auch die Rolle von Hindenburg in jener Zeit deutlicher werden lassen. „Es ist jetzt klar: Bei Hindenburg ist eine Grenze überschritten.“ Er könne nicht länger Ehrenbürger Berlins bleiben, da ein starker NS-Bezug bestehe.
Paul von Beneckendorff und von Hindenburg, geboren 1847, gestorben 1934, war einer der mächtigsten Militärs Deutschlands im Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik. Die von ihm geführte Oberste Heeresleitung übte in den letzten beiden Jahren des Ersten Weltkriegs nahezu diktatorisch die Regierungsgewalt aus.
Nach der Niederlage verbreitete Hindenburg die sogenannte Dolchstoßlegende, wonach das deutsche Heer „im Felde unbesiegt“ geblieben und von den Novemberrevolutionären durch einen Waffenstillstand „von hinten erdolcht“ worden sei. 1925 wurde er zum zweiten Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt und 1932 – als Kandidat auch der SPD – wiedergewählt. Er ernannte am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler. (bis)
Hindenburg kam kurz nach der Machtübernahme der Nazis am 20. April 1933 – dem Geburtstag Adolf Hitlers – zu dieser Ehre, gemeinsam mit dem „Führer“ und auf Vorschlag der NSDAP-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung. Und zwar, um deren „Verdienste um die nationale Wiedergeburt der Stadt Berlin“ zu würdigen.
Das Ehrenbürgerrecht – immerhin die bedeutendste Auszeichnung Berlins – kann der Senat Deutschen wie Ausländern verleihen, die sich „in hervorragender Weise um Berlin verdient gemacht“ haben, wie das Abgeordnetenhaus auf seiner Webseite erläutert. Sie erhalten eine Reihe von Vergünstigungen, darunter das Recht auf ein Ehrengrab, und sie dürfen auch einen Künstler auswählen, der auf Kosten des Landes Berlin ein Bild von ihnen malt.
Adolf Hitler wurde die Berliner Ehrenbürgerschaft bereits im Dezember 1948 aberkannt, zeitgleich mit Joseph Goebbels, Hermann Göring und Wilhelm Frick. Hindenburg nicht. „Da hat sich einfach niemand drum gekümmert“, sagt die grüne Abgeordnete June Tomiak.
Der Allererste Conrad Gottlieb Ribbeck wurde 1813 zum ersten Ehrenbürger Berlins ernannt. Er erhielt aufgrund seiner Verdienste um die Berliner Bevölkerung alle Rechte eines Bürgers, „obwohl er nach der Städteordnung keinen Anspruch darauf hatte“. Bis heute folgten 120 weitere, zuletzt die beiden Holocaust-Überlebenden Inge Deutschkron und Margot Friedländer.
Aberkannt Bisher wurde fünf Ehrenbürgern diese Auszeichnung wieder aberkannt: vier Nazis, darunter Hitler und Goebbels, sowie Wilhelm Pieck, Präsident der DDR bis 1960. Letzterer wurde 1946 zum Ehrenbürger ernannt; der Westberliner Senat erkannte ihm diese Würde bereits 1948 wieder ab. Er wurde nach der Wiedervereinigung 1992 nicht mehr in die Liste der Ehrenbürger aufgenommen.
Umstritten war auch Nikolai Bersarin, erster sowjetischer Stadtkommandant nach dem Zweiten Weltkrieg. 1975 zum Ehrenbürger ernannt, wurde er nach 1990 zunächst nicht wieder in die Liste aufgenommen. Erst 2000 forderte das Abgeordnetenhaus, wo damals CDU und SPD die Regierungskoalitionen bildeten, die Wiederaufnahme Bersarins. Seit 2003 ist er wieder Ehrenbürger. (bis)
In vielen Städten war das anders: Halle, Leipzig und Köln etwa beschlossen die Aberkennung der dortigen Ehrenbürgerwürde schon vor 30 Jahren, in Stuttgart im Jahr 2010. In Hamburg hingegen haben sich 2013 SPD, Linke, Grüne und FDP nach langer Debatte gegen eine Aberkennung entschieden; stattdessen soll fortan besser über die jeweiligen Persönlichkeiten informiert werden.
In Berlin ist dies keine Option. „Die Aberkennung ist eine Entscheidung mit Symbolcharakter“, sagte Regine Kittler (Linkspartei) der taz. Auch heute gehe es wieder um den Schutz der Demokratie gegen erstarkte rechte Parteien und Nationalisten. Und: Man könne die Bewertung historischer Personen nicht abkoppeln von deren aktueller Bedeutung – ein Argument gegen die These, dass Hindenburg 1948 offenbar noch als verdienstvoller Mensch angesehen wurde und man das doch nicht im Nachhinein korrigieren sollte.
Allerdings zeigt laut Kittler die Hindenburg-Debatte, dass der antifaschistische Grundkonsens im Parlament brüchiger sei als gedacht. So hatten sich zum Beispiel vor dem letzten Wahlkampf alle Fraktionen im „Berliner Konsens“ verpflichtet, zu eigenen Veranstaltungen keine Vertreter der AfD einzuladen; auch gab es gemeinsame Initiativen gegen Antisemitismus.
Nun sagt die Linken-Abgeordnete: „CDU und FDP verharmlosen die Geschichte. Das halte ich für sehr gefährlich.“ Hindenburg habe die Dolchstoßlegende mit erfunden, er hat das Ermächtigungsgesetz unterzeichnet. Ihn jetzt als Kämpfer gegen Hitler darzustellen, etwa weil er 1932 auch der Kandidat der SPD für das Reichspräsidentenamt war, sei nicht weit weg von der Position der AfD. „Es ist ein Irrtum der Parteien rechts von der SPD, dass sie gegen die Rechtspopulisten erfolgreich sein können, wenn sie ebenfalls nach rechts rücken.“
Aufklärung ist nötig
Die „flachen“ Argumente der Opposition in der Debatte hätten sie zwar schockiert, sagt die Grüne June Tomiak, aber nicht überrascht. „Da nehmen sich CDU und FDP nichts.“ Es zeige sich dabei allerdings, welche Aufklärungsarbeit in Deutschland noch nötig sei.
Tomiak hofft, dass der Beschluss des Abgeordnetenhauses auch zu einer Debatte in den Bezirken führt, ob diese auch Straßen umbenennen sollten, allen voran den Hindenburgdamm in Steglitz-Zehlendorf. Die Straßenschilder lediglich mit einem Zusatz zur Person zu versehen, sei nicht ausreichend, betont Kittler. „Was soll da draufstehen: Er war ein Kriegstreiber? Dann fragt man sich doch, warum er überhaupt einen Straßennamen bekommen hat.“ Es gebe genug andere Möglichkeiten, über Hindenburg aufzuklären, nicht nur im Geschichtsunterricht.
Kittler hofft zudem, dass die Debatte um Hindenburg nur ein Auftakt ist, die Liste der – einschließlich Hindenburg – 116 Ehrenbürgerinnen und Ehrenbürger genauer zu überprüfen, gerade auch im Hinblick auf die Debatte um Postkolonialismus. Ähnlich sieht das Susanne Kitschun. „Ich denke, wir müssen viele von ihnen deutlicher kommentieren.“
Eines ihrer Lieblingsbeispiele: der Generalfeldmarschall Friedrich Heinrich Ernst Graf von Wrangel. Er wurde 1850 zum 29. Ehrenbürger gemacht, nachdem er „1848 die revolutionäre Bewegung in Berlin niedergeschlagen und die Autorität des Königs wieder hergestellt“ hatte, wie es auf der Webseite des Parlaments offiziell heißt.
Ein Reaktionär, ein Kämpfer gegen die demokratische Bewegung und die Pressefreiheit als Ehrenbürger einer Stadt, die zuletzt immer wieder den Begriff „Freiheit“ in ihrer Eigenwerbung genutzt hat?
Das kann eigentlich auch nicht sein.
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