Editorial von Kai Schöneberg zur Klimastreik-Ausgabe: Protest trotz Corona, Krieg und Inflation
Ach, Sie wollen diesmal auch nicht zum Klimastreik gehen? Climate fatigue? Krisenmüde? Corona, der Krieg, die Inflation, die drohende Winterkälte? Wenn die Kohlekraftwerke wieder angeworfen und neue Terminals für Flüssiggas gebaut werden, ist leider nicht die Zeit, über das Wetter nachzudenken – stimmt’s?
Nein, stimmt überhaupt nicht! Hinter uns liegt der heißeste Sommer aller Zeiten, die hiesige Durchschnittstemperatur im August übertraf den Rekord von 2018 noch einmal um 0,8 Grad. Flüsse liefen leer, Äcker vertrockneten, Wälder brannten ab, vor allem Ältere und Kranke hatten es wegen der Hitze schwer, nicht wenige starben. Und: In Deutschland läuft der Klimawandel noch glimpflich ab …
Weil wir die Erderhitzung trotz aller aktuell schlimmen Weltentwicklungen nach wie vor für das langfristig bedrohlichste aller Probleme halten, haben wir zum 11. globalen Klimastreik an diesem Freitag eine taz-Ausgabe rund um die verschiedenen Facetten des Trotzes produziert. Wir wollen nämlich nicht, dass die Krisen der Welt gegeneinander ausgespielt werden.
„Trotz alledem“, sangen schon Wolf Biermann und Hannes Wader – und griffen dabei ein uraltes Lied über die Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit auf:
Ob Armut euer Los auch sei,
Hebt hoch die Stirn, trotz alledem!
Geht kühn den feigen Knecht vorbei;
Wagt’s, arm zu sein trotz alledem!
Das dichtete Ferdinand Freiligrath schon 1843, und es passt bis heute: Der Widerstand der wenigen kann irgendwann nämlich doch den Mainstream der Mächtigen besiegen. Und so fragen wir uns in dieser Ausgabe, wieso trotz der aktuell allgegenwärtigen Klimakrise Regierungs- und Konzernzentralen nicht schon längst gestürmt worden sind (Seite 2). Außerdem lassen wir Klimaaktivist:innen aus dem Rest der Welt erzählen, wieso sie für das Klima protestieren, obwohl das Thema gerade keine überragende Konjunktur hat (Seite 2). Und wir interviewen eine Moralphilosophin zur Frage, was jedeR Einzelne am besten gegen die Erderhitzung tun sollte (sie rät übrigens nicht, man solle möglichst wenig Auto fahren oder fliegen, Seite 3).
Wir suchten in der Redaktion der taz nach Klimafrevlern, die weiter schnell Auto fahren oder fliegen, obwohl sie wissen, dass sie damit die Erde verheizen – und fanden überraschend viele davon (Seite 4/5)! Wir fragten uns außerdem, ob Klimapolitik schneller und nachhaltiger wird, wenn die Protestierenden rabiater werden (Seite 6). Und ob es eigentlich so schlimm ist, wenn, wie an diesem Freitag zu erwarten, die Klimastreiks nicht mehr so gut besucht sind wie 2019, als Greta Thunberg gerade zur Ikone der neuen Bewegung geworden war (Seite 7). „Wir streiken nicht trotz der vielen Krisen, sondern wegen ihnen“, schreiben Fridays for Future in ihrem aktuellen Streikaufruf. An diesem Freitag an 270 Orten in Deutschland und auf allen Kontinenten.
Viel Spaß bei der Lektüre Ihrer Klimastreik-taz!
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