Editorial von Anja Krüger: Der Kollaps des Verkehrs ist allgegenwärtig
Gerade hat der größte deutsche Autobauer, Volkswagen, verkündet, in Europa zwischen 2033 und 2035 aus der Produktion von Fahrzeugen mit Benzin- und Verbrennermotoren auszusteigen, weltweit bis spätestens 2050. Der Umbau der Autoindustrie hin zu einer Produktion von Fahrzeugen ohne klimaschädliche fossile Antriebe ist in vollem Gange. Die Frage ist nicht, ob das E-Auto der neue Standard wird, sondern ob das früher oder später der Fall sein wird. Viele Menschen haben Angst vor dieser Entwicklung, weil sie den Jobverlust fürchten. Weil bei der Produktion von E-Autos weniger Teile verbaut werden, werden auch weniger Leute gebraucht. Das zeigt: Es geht bei der aus Klimagründen schnell nötigen Verkehrswende nicht nur um ökologische Aspekte, sondern auch um soziale. Mobilität ist immer auch eine Frage der Gerechtigkeit. Einst war das Reisen den Reichen vorbehalten. In der Diskussion über den Benzinpreis tun viele so, als ginge es darum, den Armen das Autofahren zu verbieten. Dabei geschieht das nicht über den Benzinpreis, sondern über Lohndumping und Hartz IV.
Heute dominieren in Deutschland rund 48 Millionen Pkws Straßen und öffentliche Flächen. Sie durch E-Autos zu ersetzen ist keine Lösung. Blechlawinen verstopfen Innenstädte und Autobahnen; bei Unfällen werden jedes Jahr Tausende Menschen getötet oder schwer verletzt. Der Verkehrskollaps ist allgegenwärtig. Auf den Straßen tobt seit Langem ein Kampf aller gegen alle: Autofahrer:innen gegen Autofahrer:nnen, Autofahrer:innen gegen Radler:innen, Radler:innen gegen Fußgänger:innen. Neu ist, dass immer weniger Bürger:innen das hinnehmen wollen. Die Klimabewegung kämpft unter großem Beifall gegen den Neubau von Autobahnen. Längst hat sich eine breite Fahrradbewegung formiert, die erfolgreich die Neuverteilung der Straßenflächen fordert. Die in der Coronakrise entstandenen Pop-up-Radwege beweisen, dass sich auch ganz schnell etwas ändern kann, wenn der Druck groß genug ist. Die Forderung nach dem Ausbau von Bussen und Bahnen fehlt in kaum einer Sonntagsrede von Politiker:innen, auch wenn immer noch zu wenig geschieht. Es braucht nicht nur hier und dort eine Verbindung mehr, sondern eine völlig neue Logik: weg von der autogerechten Stadt, Flächen für Menschen statt für Fahrzeuge – und überall öffentliche Verkehrsmittel, die sich jedeR leisten kann.
Im Bundestagswahlkampf ist Mobilität ein zentrales Thema. In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, wie der Verkehr der Zukunft aussieht: Ob der Kampf auf den Straßen weitergeht oder Friedensverhandlungen beginnen. Aus diesem Grund widmet sich die taz in dieser Woche an vielen verschiedenen Stellen in der Zeitung der Frage „Straßenkampf – warum es eine Frage der (Klima-)Gerechtigkeit ist, wie wir mobil sind“.
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