EZB unterstützt Südeuropa: Neue Eurokrise vorerst abgeblasen
Die Europäische Zentralbank hat mit der Zinswende für Entsetzen in Südeuropa gesorgt. Nach einer Feuerwehraktion ist man nun beruhigt.
Genau besehen hatte die EZB diesen Feuerwehreinsatz selbst provoziert. Erst am Donnerstag vergangener Woche nämlich hatte deren Chefin Christine Lagarde bekanntgegeben, vom 1. Juli an werde nicht nur der Leitzins auf den Euro erhöht, sondern es würden auch die Stützungskäufe von Staatsanleihen der Euro-Mitgliedstaaten gestoppt. Damit wurde der gemeinsame Euro-Schutzschild quasi in die Ecke gestellt, und an den Finanzmärkten rückte wieder die Situation der einzelnen Euro-Staaten in den Fokus – mit besonderem Augenmerk auf die schwächelnden Länder.
Und dort steht Italien ganz oben auf der Liste. Es hat inzwischen Staatsschulden von 2,75 Billionen Euro angehäuft, das macht 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Die von der EU erlaubte Obergrenze liegt bei 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: Die deutsche Schuldenquote lag 2021 bei 69,3 Prozent.
Vor der Corona-Pandemie hatten die Schulden noch bei – auch schon hohen – 135 Prozent des BIP gelegen. Der durch die Covid-Lockdowns verursachte tiefe wirtschaftliche Einbruch hatte zusammen mit den notwendig gewordenen staatlichen Abfederungsmaßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft und der Einkommen einen weiteren rasanten Anstieg der staatlichen Verbindlichkeiten nach sich gezogen.
Eurozone in der Pandemie solidarisch
Doch auf die Zinsen Italiens, auf den Zinsabstand auch zum Stabilitätsprimus Deutschland hatte diese Tatsache zunächst keinen Einfluss. So musste das Land auf seine zehnjährigen Schuldverschreibungen noch im Februar 2021 nur 0,9 Prozent mehr Zinsen zahlen als Deutschland. Der Grund: Die EU zeigte sich solidarisch. Der Stabilitätspakt wurde ausgesetzt, die EZB kaufte eifrig Staatsanleihen ihrer Mitgliedsländer, die EU verabschiedete das Mega-Paket „Next Generation EU“, das allein Italien in den Jahren 2021 bis 2026 etwa 190 Milliarden Euro in die Kassen spült, als direkte Zuwendungen oder als Billigkredite.
Der nun von der EZB angekündigte Stopp der Anleihekäufe änderte vieles: Die Finanzmärkte verstanden ihn als Signal, dass es mit dieser unverbrüchlichen Solidarität erst einmal vorbei ist, dass in Zukunft jeder Staat in der Eurozone wieder auf eigene Rechnung wirtschaftet.
Für Italien eine ungemütliche Situation: Wie wichtig die Aufkäufe der europäischen Notenbank für das Land waren, zeigt sich daran, dass mittlerweile ein Viertel der Staatstitel des Landes von der EZB gehalten wird, ein weiteres Viertel liegt bei Italiens Banken.
Drohende „Fragmentierung“ der Euro-Zone
Die „Märkte“ reagierten prompt. Bis zum Dienstag schnellte der Zinsabstand („Spread“) zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen auf 2,5 Prozent hoch, italienische Bankentitel brachen an der Mailänder Börse regelrecht ein. Ähnlich erging es Griechenland und Spanien mit ihren Staatsanleihen. ExpertInnen sprachen schon wieder von einer drohenden „Fragmentierung“ der Euro-Zone in den armen Süden und den prosperierenden Norden.
Die Risikoaufschläge weckten vielerorts Erinnerungen an die Euro-Schuldenkrise vor etwa einem Jahrzehnt – damals lagen die „Spreads“ aber noch viel höher. Die deshalb enorm teure Tilgung der Staatsschulden vieler europäischer Länder drohte, viele Etats zu überfordern und so den Euro zu sprengen. Damals konnten die Finanzmärkte erst beruhigt werden, als der einstige EZB-Chef Mario Draghi versprach, die Zentralbank werde alles innerhalb ihres Mandats alles tun, um den Euro zu retten („whatever it takes“).
Draghi, heute Italiens Regierungschef, schwieg zur verunglückten Zinswende der aktuellen EZB-Chefin Lagarde. Ungehalten äußerte sich Italiens Finanzminister Massimo Franco. Er sprach von „Irritationen“ und davon, dass die EZB „unnötige Spannungen“ verursacht habe. Mit der Sondersitzung am Mittwoch versuchte das EZB-Direktorium, die Investoren wieder einzufangen.
Angekündigt wurden „flexible“ Stützungsmaßnahmen, die zu hohe Zinsabstände zwischen den Euro-Mitgliedstaaten verhindern sollen. Worin die genau bestehen sollen, wurde noch nicht definiert. Doch schon die Ankündigung hatte einen ersten Effekt. Schon am Mittwoch ging Italiens Zinsabstand zu Deutschland wieder auf 2,2 Prozent zurück. Und die Banken des Landes legten an der Börse kräftig zu. Die Rendite der 10-jährigen italienischen Staatsanleihe sank zeitweise auf 3,92 Prozent. Ähnlich bei griechischen 10-jährigen Staatstiteln. Hier verringerte sich die Rendite auf 4,308 Prozent, ein Rückgang von 0,35 Prozentpunkten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands