EU will Fluggastrechte stärken: Machtkampf um die Lufthoheit
Das Europaparlament will Flugpassagiere bei Problemen künftig früher entschädigen. Der Industrielobby gefällt das gar nicht.
BRÜSSEL taz | „Mit vereinten Kräften gegen den Kommissionsvorschlag“: Mit diesen Worten beschreibt der Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer den ungewöhnlich heftigen Streit über die Rechte von Flugpassagieren in der EU. In seltener Einigkeit stimmten Konservative und Sozialdemokraten, Grüne und Liberale am Mittwoch einen Entwurf der Kommission nieder und setzten besseren Schutz bei Verspätungen, Flugausfällen und Gepäckverlust durch.
Künftig sollen Passagiere bereits bei drei Stunden Verspätung einen Anspruch auf Entschädigung haben – und nicht erst nach fünf Stunden, wie es die Brüsseler Behörde vorgeschlagen hatte. Die Airlines sollen sich seltener auf außergewöhnliche Umstände herausreden können und gezwungen werden, ihre Kunden rasch über die Gründe einer Verspätung oder eines Flugausfalls zu informieren.
Das Parlament legte auch Schwellenwerte fest, ab denen den Passagieren Entschädigungen zustehen sollen. Bei Flügen bis 3.500 Kilometern soll es ab drei Stunden Verspätung 300 Euro geben, bei 3.500 bis 6.000 Kilometern ab fünf Stunden 400 Euro und bei Flügen über 6.000 Kilometern ab sieben Stunden Verspätung eine Entschädigung von 600 Euro.
Auch beim Handgepäck fordern die EU-Parlamentarier neue, verbraucherfreundliche Regeln. Im Flugpreis muss künftig mindestens eine Tasche und ein Duty-Free-Einkauf inbegriffen sein. Die Abgeordneten fordern zudem, dass Passagiere bei direkten Hin- und Rückflügen ihren Anspruch auf den Rückflug behalten, auch wenn sie die Hinreise nicht angetreten haben. Zudem sieht die Verordnung vor, dass die Airlines innerhalb von zwei Monaten auf Beschwerden reagieren müssen.
Nur 2 Prozent werden entschädigt
Bisher versanden viele Proteste und Schadensersatzansprüche ergebnislos. Nach Angaben aus dem Verkehrsausschuss des EU-Parlaments werden nur 2 Prozent der Betroffenen tatsächlich entschädigt. Dies führte zu massiver Unzufriedenheit bei vielen Reisenden – und einer Klagewelle. Der Europäische Gerichtshof rügte in 39 Urteilen die mangelhafte Durchsetzung der Verbraucherrechte und forderte Nachbesserungen.
Doch der Entwurf, den die EU-Kommission vorgelegt hatte, brachte kaum Verbesserungen – im Gegenteil. Bei einer Befragung des Online-Portals Flightright sagten mehr als 90 Prozent der Teilnehmer, der Vorschlag bedeute eine Verschlechterung. Diese Einschätzung teilt auch der Grünen-Verkehrsexperte Cramer. „Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission wäre ein Höhenflug für die Airlines und eine Bruchlandung für den Verbraucherschutz gewesen.“
Die Empörung ging quer durch alle Fraktionen und führte zu einer ungewohnt klaren Mehrheit für die nun vorgeschlagenen Verbesserungen. Sie wurden mit 580 gegen 41 Stimmen bei 48 Enthaltungen angenommen. Ebenso überwältigend ist allerdings die Ablehnung der Industrie. Luftverkehrsverbände nannten die Entscheidung unverantwortlich. Für Verbraucher bedeute der Entwurf vor allem teurere Flüge, sagte Klaus-Peter Siegloch, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft.
Auch EU-Verkehrskommissar Siim Kallas warnte vor einem Anstieg der Ticketpreise. Er glaube nicht, dass es vor den Europawahlen im Mai zu einer Einigung komme. Der verbraucherfreundliche Vorschlag muss nämlich erst noch durch den Ministerrat. Und dort könnte die Industrielobby ihn wieder verwässern – im Namen billiger Flüge und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, wie so oft.
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