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EU nimmt sich Ungarn vorTodesstrafe ist „niemals eine Lösung“

Der ungarische Regierungschef Orban will über die Wiedereinführung der Todesstrafe diskutieren. In der EU trifft er auf vehementen Widerspruch.

Ungarns Regierungschef Viktor Orban. Bild: dpa

STRASSBURG afp | Ungarns Regierungschef Viktor Orban ist mit seiner Forderung nach einer Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe in der EU auf Widerspruch gestoßen. „Für die Europäische Union ist die Todesstrafe niemals eine Lösung“, sagte Innenkommissar Dimitris Avramopoulos am Mittwoch im Europaparlament.

Parlamentspräsident Martin Schulz kündigte ein Gespräch mit Orban an. EU-Kreisen zufolge drohen Ungarn Sanktionen, sollte es die Todesstrafe wieder einführen.

Orban hatte mit seiner Forderung am Dienstag auf die Ermordung einer jungen Verkäuferin bei einem Raubüberfall reagiert, der landesweit Schlagzeilen gemacht hatte. Schulz sagte in Straßburg, er habe in Orbans Büro in der Sache um ein Gespräch gebeten und werde dem Parlament darüber Bericht erstatten.

Der SPD-Politiker antwortete damit dem österreichischen Sozialdemokraten Jörg Leichtfried, der ihn aufgefordert hatte, die „Konsequenzen“ aus Orbans Vorstoß zu ziehen. Dieser sei „in Europa inakzeptabel“, sagte Leichtfried unter dem Applaus der Abgeordneten und des anwesenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker.

Entzug des Stimmrechts im Ministerrat möglich

Orbans Büro erklärte später am Mittwoch, der Ministerpräsident stehe Schulz für ein Gespräch zur Verfügung. Er sei aber weiter der Meinung, „dass die Todesstrafe auf der Tagesordnung bleiben muss“, erklärte sein Büro nach Angaben der Nachrichtenagentur MTI.

Orbans Äußerungen zeigten, wie weit dieser sich „bereits von den gemeinsamen europäischen Werten entfernt hat“, kritisierte die Grünen-Vorsitzende im Europaparlament, Rebecca Harms. „Die EU-Kommission muss auf Klärung bestehen und die Situation in Ungarn genau beobachten.“ Harms forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, auf den konservativen Regierungschef einzuwirken, damit dieser sich von der Todesstrafe distanziere.

Ungarn hatte die Todesstrafe nach dem Ende des Kommunismus 1990 abgeschafft. Dies war auch eine der Voraussetzungen, damit das Land im November 1990 dem Europarat und 2004 der EU beitreten konnte. Ein Kommissionssprecher erinnerte in Brüssel daran, dass die Abschaffung der Todesstrafe Voraussetzung für den EU-Beitritt sei. Zu Konsequenzen für Budapest wollte er sich nicht äußern, wenn die Strafe wieder eingeführt würde.

Aus EU-Kreisen verlautete, dass in diesem Fall gegen Ungarn Artikel 7 des EU-Vertrags angewandt werden könnte. Er sieht bei „schwerwiegender und anhaltender Verletzung“ der EU-Werte durch ein Mitgliedsland Sanktionen vor. Dies kann bis zum Entzug des Stimmrechts im Ministerrat gehen, wo die entscheidenden Beschlüsse fallen. Dies ist das härteste Druckmittel gegen Mitgliedstaaten, über das die EU verfügt.

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9 Kommentare

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  • Ich hab das Zitat grad nicht mehr präzise im Kopf und bin zu faul, dafür die alte Platte rauszukramen und aufzulegen, aber der Wolfgang Neuss hatte schon recht: "Ich bin für die Todesstrafe - aber nur für Leute, die sie fordern" (sinngemäß...)

  • Wenn Orban die Todesstrafe durchsetzt, wir das wie ein Dammbruch, der andere Länder mitreißt, wirken und auch Gauck wird dann von Verantwortung und Engagement faseln, wenn es darum geht, die Todesstrafe in Deutschland und der EU unter ganz bestimmten Bedingungen einzuführen, siehe auch Lex militärischer Bundeswehreinsatz im Inneren und Lex Lissabonis.

    In den USA war die Todesstrafe Anfang der 1980er-Jahre faktisch abgeschafft und wurde erst unter Ronald Reagan wieder reaktiviert, in keinem einzigen Bundesstaat wurde sie danach von demokratischen Senatoren wieder abgeschafft.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @Khaled Chaabouté:

      In Maryland und Connecticut ist die Todesstrafe vor einigen Jahren abgeschafft worde und zwar von demokratischen Gouverneuren. In Oregon wurden die Hinrichtungen vom demokratischen Gouverneur ausgesetzt.

  • Die grundlegende Voraussetzung für einen EU-Beitritt ist nach den Kopenhagener Kriterien die Wahrung der Menschenrechte. Todesstrafe und Menschenrechte passen aber nunmal nicht zusammen. Die Türkei hat deshalb im Hinblick auf einen angestrebten EU-Beitritt daraus die Konsequenzen gezogen und im August 2002 die Todesstrafe in Friedenzeiten abgeschafft. Ende 2003 wurde dort die Todesstrafe auch aus dem Militärgesetz gestrichen.

    In Ungarn gab's die letzte Hinrichtung 1988 bevor die Todesstrafe 1990 abgeschafft wurde. Wenn Orban die Todesstrafe jetzt wieder einführen will, muss man ihm unmissverständlich klarmachen, dass Ungarn dann definitiv nicht länger mehr EU-Mitglied sein wird. Punkt!

    • @Rainer B.:

      "Punkt!" Wow, jetzt haben Sie es uns gegeben, richtig? Ende der Debatte. Kopf ab, Mund zu.

       

      Genau das ist die Folge, wenn Staaten töten: Die Sitten verrohen. Und wo die Sitten verrohen, ist es sehr schwer, etwas dazu zu lernen. Zum Lernen braucht man nämlich Sicherheit. Und die ist nicht gegeben, wo jede falsche Reaktion (und jede Unterstellung derselben durch sogenannte interessierte Kreise) das Leben kosten kann.

       

      Nein, Basta ist auch keine Lösung. Schon gar nicht in Europa, wo die Überzeugung, der Tod sei für nichts eine angemessene Strafe, ein paar Millionen Opfer gefordert hat. Viktor Orban weiß das mindestens so gut wie seine Kritiker, vermute ich. Er lässt nur seine Muskeln spielen. Und die EU spielt sein Spiel mit. Es geht schließlich um Wählerstimmen. Hier wie da. Man will sich als Vertreter der jeweils besseren Seite präsentieren und hat doch nur ein Interesse an Statistiken und gut dotierten Posten.

       

      Was passiert, wenn Ungarn aus der EU ausgeschlossen wird, kann man übrigens sehr gut erkennen, wenn man in die Türkei schaut. Die hat einst auch in die EU gewollt und sich erkennbar bemüht, sich europäischen Standards anzupassen. Aus reinem Kalkül ist seinerzeit die Türe zu geblieben. Seither driftet das Land nach rechts. Da hin, wo auch Urban seine Zukunft sieht. Und was die USA angeht – die ist schon längst nicht mehr, was sie mal war. Wer einen Anspruch hat, andere führen zu wollen, der tut ja auch ganz gut daran, nicht um Jahrzehnte hinterherzuhinken hinter all denen, die ihre lange Friedenszeit zum Klügerwerden genutzt haben.

      • @mowgli:

        Sorry, aber ein bißchen Todesstrafe geht genausowenig wie ein bißchen schwanger. Da muss man sich schon eindeutig festlegen. Ungarn hat das bereits schon getan, als es der EU beitrat. Wenn man dem Viktor Orban das mal wieder in Erinnerung ruft, hat das mit "Kopf ab, Mund zu", oder "Verrohung der Sitten" herzlich wenig zu tun - im Gegenteil.

    • @Rainer B.:

      Und wie ist es bei unserem großen Vorbild USA? Die töten mit Richterspruch und ohne, d.h. mit Todeslisten des Präsidenten für den Einsatz von Kampfdrohnen. Warum beschwert sich niemand darüber?

      • @mer man:

        Sind die USA neuerdings auch in der EU?

        Wer die taz immer aufmerksam gelesen hat, wird wohl nicht sagen können, dass sich niemand über die endlosen Menschenrechtsverletzungen in und durch die USA beschweren würde.

      • @mer man:

        Es wäre mir neu das die USA eine Mitgliedschaft in der EU anstrebt. Oder geht es bei ihrem Kommentar nur um ein kleines bisschen USA-Bashing?