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EU geht gegen Einschüchterungsklagen vorEs hagelt Ohrfeigen

SLAPP-Klagen bringen unliebsame AktivistInnen und JournalistInnen zum Schweigen. Eine EU-Direktive soll das ändern, doch sie geht nicht weit genug.

Im Zweifel: einfach klagen! Foto: Gary Waters/imago

Es sei beängstigend gewesen, als die erste Abmahnung der Jungen Alternative (JA), der Jugendorganisation der AfD, ankam. Maurice Conrad (ist auch als Ko­lum­nis­t*in für taz tätig, Anm. d. Red.) fühlte sich machtlos und gedemütigt. Conrad ist Aktivist*in, Mitglied des Mainzer Stadtrats und der AfD wohl ein Dorn im Auge. „Sie wollten 1.000 Euro von mir und dass ich eine Unterlassungserklärung unterschreibe. Das hat mich ziemlich eingeschüchtert.“

Auslöser für die Abmahnung war ein Tweet, in dem sich Maurice zu einem Treffen der JA in Sachsen äußerte, bei dem offen über die Errichtung von Lagern für JüdInnen und MigrantInnen geredet wurde. „Sie haben diese Äußerungen gar nicht bestritten. Es ist eine Medienstrategie der neuen Rechten, stattdessen gegen Nebenschauplätze juristisch vorzugehen.“ Der Nebenschauplatz in diesem Fall: Conrad schrieb im Tweet von Mitgliedern der JA. Diese vertritt jedoch die Meinung, dass es sich nur um TeilnehmerInnen des Treffens handelte, die diese Äußerungen tätigten, und nicht um ihre Mitglieder.

Vorgehen wie diese werden SLAPPs (Strategic lawsuit against public participation) genannt, „Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung“. Diese juristischen Ohrfeigen sollen einschüchtern, damit sich kritische Stimmen aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen. Betroffen sind davon nicht nur politische AktivistInnen wie Conrad, sondern auch JournalistInnen und WissenschaftlerInnen.

Emotionaler und zeitlicher Stress

„Das Hauptziel ist es, dem Beklagten finanzielle, emotionale und zeitliche Kosten aufzubürden und ihn so davon abzuhalten, weiter über dieses Thema öffentlich zu sprechen. Ob er gewinnt oder verliert, ist dem Kläger dabei eigentlich egal“, sagt der Medienwissenschaftler Uwe Krüger. Unter seiner Leitung publizierte die Universität Leipzig kürzlich eine Studie zu SLAPP-Klagen. Anhand des Beispiels der früheren Adelsfamilie der Hohenzollern untersuchte sein Team, wie Einschüchterungsklagen wirken.

Die Familie verschickte laut einem Interview mit Georg Friedrich Prinz von Preußen in der Welt bereits 120 Klagen und Abmahnungen gegen Redaktionen und HistorikerInnen, unter anderem um gegen Darstellungen über das Verhältnis des damaligen Kronprinzen zum Nationalsozialismus vorzugehen. Trotzdem fanden sich nur zehn Personen, die sich zu einer Teilnahme an der Studie bereiterklärten. Laut Medienwissenschaftler Krüger ein Indiz dafür, dass SLAPPs wirken. „Es zeigt, dass man das Thema gerne ganz aus seinem Leben raushaben möchte oder nicht riskieren möchte, noch mal verklagt zu werden“, sagt er.

Dass Einschüchterungsklagen ein immer größeres Problem für „Public Watchdogs“ darstellen, ist auch in Brüssel angekommen. Neue EU-Richtlinien sollen JournalistInnen, AktivistInnen und WissenschaftlerInnen besser vor SLAPPs schützen. Zentral dabei ist, dass die beklagten Parteien künftig die Möglichkeit haben, das Verfahren vorzeitig einstellen zu lassen. Wird eine Abweisung der Klage beantragt, kommt es zu einer sogenannten Beweisumkehr. Heißt: Der Kläger muss beweisen, dass es sich nicht um eine unbegründete Klage handelt. Außerdem soll den Opfern von SLAPPs mehr finanzielle Hilfe geboten werden.

Uwe Krüger begrüßt diese EU-Direktive, sieht sie jedoch auch nicht unkritisch: „Sie bezieht sich nur auf Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug. Eine Klage muss also mit mehreren EU-Ländern zu tun haben. Die Hohenzollern-Geschichte zum Beispiel würde davon überhaupt nicht berührt werden.“ Die NGO „Coalition against SLAPPs in Europe“ (CASE) dokumentiert SLAPPs seit 2010 und sieht fast jedes Jahr einen Anstieg an Fällen – 135 im Jahr 2021, ein Jahr später bereits 161. Dabei würde die EU-Direktive nur bei etwa 10 Prozent der von CASE gesammelten Fälle greifen, so Uwe Krüger.

Es braucht mehr Solidarität untereinander

Was gegen SLAPPs helfen kann, ist, sich untereinander zu solidarisieren. Im Falle der Hohenzollern-Klagen sahen einige Teilnehmer der Studie der Universität Leipzig eher einen Imageverlust der Familie als eine Einschränkung der Berichterstattung, nachdem Satiriker Jan Böhmermann das Thema öffentlich thematisierte.

Kleinere Medienhäuser und freie JournalistInnen können durch die Klagen leicht an den Rand des Ruins gedrängt werden

Uwe Krüger dazu: „Wichtig ist eine wache Zivilgesellschaft, die aufpasst. Das hat auch bei dem SLAPP des Immobilieninvestors United Capital gegen die Leipziger Studierendenzeitung luhze geholfen.“ Im Dezember 2021 berichtete luhze darüber, dass United Capital Wohnungen kaufe, um diese dann in WG-Zimmer aufzuteilen und teuer weiterzuvermieten. Der Immobilienkonzern sah sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und forderte von luhze, den Artikel offline zu nehmen. Nachdem sich andere Medien mit der Studierendenzeitung solidarisierten und darüber berichteten, zog der Konzern die Klage kurz vor der Verhandlung zurück.



Was diese Solidarisierung angeht, ist die Medienbranche jedoch noch nicht so weit. Krüger spricht von einem vorherrschenden „Einsamer-Wolf-Denken“. „Viele sehen es als normal an, verklagt zu werden. Nach dem Motto: Gehört zum Business, das macht mir nichts aus, ich bin ein harter Hund.“ Dabei ist es wichtig, sich zu vernetzen und sich gegenseitig zu unterstützen. Kleinere Medienhäuser und freie JournalistInnen können durch solche Einschüchterungsklagen viel leichter an den Rand des Ruins gedrängt werden. Es sei außerdem nicht klar, wie hoch die Dunkelziffer ist und wie viele JournalistInnen, ForscherInnen, AktivistInnen oder KünstlerInnen unter solchen Klagen leiden.

Auch Maurice Conrad will in Zukunft besser aufpassen. „Ich kann es mir nicht leisten, alle zwei Wochen abgemahnt zu werden. Du kämpfst da gegen Leute, denen es gar nicht darum geht zu gewinnen, sondern die einfach ganz viel Druck aufbauen wollen.“

Letztendlich wird sich noch zeigen müssen, ob die neue EU-Direktive das Zeug dazu hat, die Tendenz zu SLAPP-Klagen einzudämmen. Uwe Krüger sieht die EU-Mitgliedstaaten in der Pflicht, die Richtlinien eins zu eins zu übernehmen. Sie haben nach ihrem Inkrafttreten zwei Jahre Zeit, um sie in nationales Recht umzusetzen.

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8 Kommentare

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  • Das grundlegende Problem ist das asymmetrische Rechtssystem.



    Beträgt das Kostenrisiko sagen wir mal 10000€ ist das für die größere Partei vermutlich ein Klacks. Für die kleinere uU mehrere Monatsgehälter.



    Das Kostenrisiko müsste sich also an der Finanzkraft orientieren.



    Dann wären auch Riesenkonzerne Länge nicht so klagefreudig.

  • Man sollte sich vielleicht besser (zusätzlich) für eine Europarats-Kovention zu dem Thema einsetzen.

    Die gälte dann in allen Ländern, die diese ratifizieren -auch innerstaatlich- und es würde auch Druck auf Länder außerhalb der EU (ich denke hier gerade an Großbritannien, wo es diese Masche schon länger gibt, Druck ausüben

  • Die EU hat in diesem Rechtsgebiet keinerlei Zuständigkeit. Diese liegt bei den Mitgliedsstaaten.

    Die EU darf nach den Verträgen ("Brüssel-Ia-Verordnung" und das "Lugano-Übereinkommen") die Zuständigkeit des Ortes des Gerichts regeln. Darüber hinaus gehende Regeln des Zivilprozeßrechts sind von dieser Zuständigkeitsregelung jedoch nicht umfasst.

    Insoweit überschreitet die EU mit der Direktive in ihren Kernpunkten ihre Gesetzgebungskompetenz.

    Wenn man so eine Direktive möchte, dann muss man zuvor die EU-Verträge abändern (Einstimmigkeit).

  • Die einfachste Strategie gegen SLAPP wäre, dass Maurice Conrad einfach nur das als Tatsache darstellt, was er auch belegen kann. Ist er sich bezüglich der Informationen unsicher, muss er dies in seinen Texten deutlich machen. Da es sich hierbei um journalistische Grundfertigkeiten handelt, darf die Frage gestellt werden, wo hier jetzt das große Problem liegt.

    • @Klaus Kuckuck:

      ich glaube Sie haben das Prinzip hinter "SLAPP" nicht ganz verstanden.

      Es geht um Einschüchterung und Zermürbung, ob der/die Verklagte beweisen kann, im Recht zu sein, spielt nur eine untergeordnete Rolle.

      Siehe das Beispiel mit der Leipziger Studierenden-Zeitung.

      Selbst wenn Sie alles beweisen können sind rechtliche Auseinandersetzungen zeitaufwendig und zermürbend.

      Und nur darum geht es, um Zermürbung.

      Was gegen Slapp tatsächlich hilft steht im Artikel.

      An die Öffentlichkeit gehen, sich vernetzen und zurück schlagen.

    • @Klaus Kuckuck:

      Danke, das war auch mein erster Gedanke.



      Aber es gibt halt viele Leute, die glauben, die richtige "Haltung" entschuldigt alles, und wenn die Gesetzeslage das nicht widergibt, muß man halt die Gesetze der Haltung anpassen.

  • Hat der Begriff "Jüden" etwas mit der Hamas zu tun? Oder ist das ein weiterer verunglückter Versuch Begriffe zu gendern? Historisch ist dieser Begriff antisemitisch vorbelastet, er entstammt der Bachs Johannes-Passion, mit seinen Wutchören "Kreuziget ihn" als polemisch affektbeladener Hass auf Juden von den Nazis gerne als antisemitische Musik verwendet.

    In der Jüdischen Allgemeinen wird als einziger Zeitung darauf eingegangen:

    "»JüdInnen« hatte, wie der Sprachkritiker Hermann Gremliza feststellte, den Nachteil, dass der männliche Part der so Bezeichneten, »der Jüd« im Singular beziehungsweise »die Jüden« im Plural, Begriffe sind, die so seit der späten Neuzeit (»Die Jüden aber schrien«, heißt es in Bachs Johannes-Passion) nicht mehr verwendet werden, außer heute noch im kölschen Dialekt, und dort nicht immer unbedingt nett gemeint."

    Das ist noch sehr gnädig formuliert. Bitte liebe taz-Redaktion - verwendet diesen Begriff nicht mehr. Und sensibilisiert Eure Autorinnen und Autoren, sie bedienen einen vorbelasten Begriff. Mit diesem Fahrwasser wollt Ihr sicher nicht gleichgesetzt werden.

  • "Letztendlich wird sich noch zeigen müssen, ob die neue EU-Direktive das Zeug dazu hat, die Tendenz zu SLAPP-Klagen einzudämmen"

    Sollte diese nur für grenzüberschreitende Verfahren gelten, ist damit nicht zu rechnen.

    Eine Direktive dir nur rund 10% der Fälle betrifft, kann im besten Fall nur an der Oberfläche kratzen.