EU arbeitet an Öko-Verordnung: Weniger Chemie, mehr Biosaatgut
Letzte Runde im Streit über die neuen Regeln für Bio-Nahrungsmittel: Was würde der Entwurf für die geplante Öko-Verordnung bringen?
Doch in letzter Minute habe Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) auf Bitten der Branche eine Vertagung auf Januar beantragt, berichtete der Deutsche Bauernverband am Freitag. Das Ministerium teilte der taz dazu am Sonntag lediglich mit: „Es bleibt abzuwarten, wie sich die Mitgliedstaaten in der Sitzung zu den im Raum stehenden Vorschlägen positionieren.“
Sollten die Regierungen zustimmen, könnte am Mittwoch auch der Agrarausschuss des Europäischen Parlaments grünes Licht geben. Dann dürfte die nun von Juristen überarbeitete Vorlage Gesetz werden.
Darüber, was sie bringt, wird immer noch erbittert gestritten, teils mit irreführenden Informationen oder Halbwahrheiten. Die meisten Verbände der deutschen Biobranche und alle Bundesländer lehnen den Entwurf ab, die EU-Kommission und die Grünen im Europäischen Parlament sind dafür. Im Folgenden die wichtigsten Punkte, die die neue Verordnung ändern würde:
Weniger Pestizide
Die geplante Öko-Verordnung könnte dazu führen, dass Bio-Lebensmittel noch weniger chemisch-synthetische Pestizide enthalten. Denn sie verpflichtet Bauern und andere Bio-Unternehmer stärker als bislang dazu, sich gegen die Verschmutzung ihrer Produkte zu schützen. Die Vorsorgemaßnahmen müssen dem Risiko „angemessen“ sein. Näheres kann die EU-Kommission in einer Durchführungsverordnung regeln.
Die neuen Regeln könnten den Behörden und Kontrollstellen aber eine Menge Zusatzarbeit bescheren, die sie etwa vom Kampf gegen Betrüger abhält. Denn laut Artikel 20b müssen sie bei Pestizidfunden eine „offizielle Untersuchung“ einleiten. Bis die Ergebnisse da sind, dürfen die Produkte nicht verkauft werden, was den Bauern das Leben schwerer macht. Der Entwurf nennt keine Mindestmengen, sodass das Verfahren wohl sogar bei minimalen Dosen ablaufen muss. Der Unterhändler des EU-Parlaments, der grüne Abgeordnete Martin Häusling, interpretiert den Text aber anders. Im besten Fall sind die Formulierungen nicht klar genug.
Mit dem stärkeren Schutz vor Pestiziden will vor allem die EU-Kommission die Erwartung vieler Verbraucher erfüllen, dass Bio-Ware „keine Pestizide hat“. Die deutschen Branchenverbände kritisieren aber, dass nun die Öko-Bauern den Schaden haben, wenn von ihren konventionellen Nachbarn Pestizide herüberwehen.
Neue Bio-Saatgutsorten
Die Verordnung könnte mehr Vielfalt bei Öko-Saatgut bringen. Bislang dürfen zum Beispiel alte Landsorten nicht vermarktet werden, weil sie zu heterogen sind, also die einzelnen Exemplare größere Unterschiede aufweisen als vom Saatgutrecht erlaubt. Die neue Verordnung hebt dieses Verbot für die Biobranche auf. Züchter, Sammler und Händler müssen bei heterogenem Material lediglich die zuständige Behörde informieren. Teure Registrierungen fallen weg. Während einer siebenjährigen Versuchsphase muss die EU-Kommission Kriterien für die Zulassung von öko-gezüchteten Sorten festlegen.
Mehr Bio-Zuchttiere
Die Mitgliedstaaten müssen öffentlich zugängliche Datenbanken nun auch über die verfügbaren Bio-Zuchttiere anlegen. Ausgenommen sind Küken. Bisher schreibt die EU solche Datenbanken nur für Bio-Saatgut vor. Sie sollen dazu führen, dass die Öko-Bauern mehr Biomaterial benutzen. Denn wenn Bio-Zuchttiere oder -Saatgut nicht erhältlich sind, dürfen Ökolandwirte wie schon jetzt auf konventionelle Angebote zurückgreifen.
Strengere Import-Regeln
Künftig gelten für Importe von außerhalb der Europäischen Union grundsätzlich die gleichen Regeln wie für in der EU erzeugte Ware. Bisher erarbeiten die Kontrollstellen für die einzelnen Länder eigene Standards, die von der Kommission genehmigt werden und in Details von der EU-Öko-Verordnung nach unten abweichen können. Nun soll die Verordnung direkt angewendet werden. Die EU-Kommission darf aber Ausnahmegenehmigungen für den Einsatz etwa bestimmter Pestizide oder Dünger erteilen, falls das beispielsweise das Klima in dem Land erfordern sollte. Staaten wie die USA werden bevorzugt: Mit ihnen hat die EU Handelsabkommen geschlossen, wonach beide Parteien ihre Bio-Siegel gegenseitig anerkennen, obwohl sie sich teilweise unterscheiden.
Bioanbau nur mit Erde
Derzeit dürfen Bio-Pflanzen in einigen EU-Ländern auch auf Substrat angebaut werden, also ohne Erde. Das verbietet die neue Verordnung. Ausnahmen gibt es nur noch für bestimmte Arten wie Chicoree. Und für alle während der zehn Jahre nach Inkrafttreten der Regeln für bereits Ende Juni 2017 zertifizierten Gewächshäuser in Finnland, Schweden und Dänemark. Ohne das Verbot würde der Bioanbau ohne Erde wohl zunehmen, weil er wirtschaftlich attraktiv ist. Er widerspricht aber dem Bio-Prinzip der bodengebundenen Produktion.
Weniger Vor-Ort-Kontrollen
Biohöfe mit geringem Risiko und ohne Verstöße gegen „die Integrität“ ihrer Öko-Produkte in den vergangenen drei Jahren sollen nur noch alle zwei Jahre statt jährlich vor Ort kontrolliert werden müssen. Die Integrität ist laut Artikel 43(l) verletzt, wenn ein Regelverstoß absichtlich beziehungsweise wiederholt begangen wird. Oder wenn der Verstoß die Bio-Eigenschaft des Produkts betrifft. Genauer definiert ist das nicht, sodass Kontrollstellen befürchten: Die meisten Betriebe würden nur noch alle zwei Jahre besucht. Damit würde das Bio-Siegel Glaubwürdigkeit verlieren. Unterhändler Häusling dagegen sagt, nur eine Minderheit der Betriebe würde in den Genuss dieser Regel kommen. Und die Kommission könne in einem Durchführungsrechtsakt Unklarheiten beseitigen.
Kaum Neues in den Ställen
Es wird weiter keine Obergrenze für die Tiere pro Betrieb geben. Ställe etwa mit zehntausenden Legehennen können also bestehen bleiben. Auch die neue Verordnung enthält keine konkreten Vorgaben, wie gesund ein Biotier sein muss. Das Kürzen von Schnäbeln wird ausnahmsweise zulässig sein. Das ist aber nichts Neues, selbst wenn diese Möglichkeit in Deutschland praktisch keine Rolle spielte. Ein echter Rückschritt ist allerdings, dass die Elterntiere von Geflügel künftig ausdrücklich ohne Grünauslauf gehalten werden dürfen. Eine überdachte Freifläche („Veranda“) reicht. Das wird teilweise schon jetzt erlaubt, obwohl es dem Wortlaut den bislang geltenden Regeln widerspricht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag