EU-Wirtschaftshilfen in Coronakrise: Wohin die Reise gehen muss
Die Chance nicht verspielen: Jetzt muss die EU die Weichen auf umweltfreundliches Wirtschaften stellen.
H urra, wir dürfen im Sommer Urlaub machen. Reisen in europäische Nachbarländer sind ab Mitte Juni wieder erlaubt. Jetzt, da die Bundesliga wieder spielen darf und der Strandurlaub möglich scheint, atmen viele auf. Corona wird in der kollektiven Wahrnehmung zunehmend zu einem Wetterleuchten. Allein der lästige Mundschutz beim Einkaufen, ärgerlich. Die Zahl der Neuinfektionen darf zwar nicht wieder ansteigen, sonst sind diese neu gewonnenen Freiheiten schnell wieder futsch. Aber darauf setzen wir jetzt einfach mal.
Denken wir an Europa in diesen viel zu trockenen Frühjahrstagen, dann stellt sich aber noch eine andere Frage: Hieß es nicht zu Anfang der Coronapandemie, dass Europa eine gemeinsame Antwort auf die Krise finden solle? Dass es um die Frage gehe, ob Europa solidarisch sei, und den am stärksten von der Krise betroffenen Staaten, Regionen und Menschen flexibel Unterstützung würde bieten können. Ging es nicht auch darum, ob EU-Konjunkturprogramme Arbeitsplätze schaffen und erhalten können und gleichzeitig Klima- und Naturschutz ermöglichen?
Wohin also geht die Reise? Dieser Tage wird in Brüssel um die Höhe des europäischen Konjunkturpakets und die Bedingungen gerungen, die an die Gelder geknüpft werden. Das EU-Parlament hat zwei Billionen Euro für Konjunkturhilfen gefordert. In Europa werden derzeit Entscheidungen von enormer Tragweite getroffen. Am Mittwoch sollen sowohl das nächste mehrjährige EU-Budget als auch das Konjunkturpaket und der Recovery-Plan für den Weg Europas aus der Coronakrise vorgestellt werden. Dabei geht es nicht um ein paar Monate, sondern um die Ausgestaltung unserer Welt auf Jahrzehnte.
Schon die kommenden Tage werden zeigen: Wird Europa auch in Zukunft mehr sein als nur ein Ort der Reisefreiheit für uns alle, die wir im Schengenraum leben? Wird die EU ein Projekt sein, das uns in die Zukunft führt? Oder geht die EU womöglich schon bald baden?
Ja zu Umweltstandards
Das europäische Konjunkturpaket und der neue Haushalt sollten folgende Prinzipien einhalten: Die Coronakrise darf nicht missbraucht werden, um Umweltstandards zu schleifen oder Klimapolitik zu verwässern, auch nicht, um geplante Regulierung für den Schutz von Wasser, Boden und Klima zu verschieben. Existierende Standards, die Umwelt und Klima schützen, dürfen nicht geschwächt werden. Denn Ökologie betrifft ausnahmslos alle Menschen, ob arm oder reich.
Daran knüpft die soziale Frage an. Starke Schultern müssen größere Lasten tragen. Es ist eine Frage von Solidarität und Gerechtigkeit, die besonders Einkommensstarken auch stärker zu belasten. Die europäischen Regierungen müssen dafür sorgen, dass zukünftige Generationen nicht für die Kosten der Coronakrisenbekämpfung aufkommen müssen und Schwache nicht noch tiefer abrutschen.
Um zu verhindern, dass die Lasten auf künftige Generationen abgewälzt werden, muss Steuervermeidung in Europa gesetzlich unmöglich werden. Unternehmen, die in den Genuss von Staatshilfen und damit von Steuergeldern kommen, dürfen keine Steuertrickserei betreiben. Konzerne, die ihre Gewinne in Steueroasen verschieben, dürfen keine staatliche Unterstützung erhalten. Einzelne europäische Länder wie Dänemark sind in dieser Frage rigoros. Das muss zum Standard für alle in Europa werden.
Dasselbe gilt bei Dividenden und Boni. Unternehmen, die Steuergelder aus Rettungsfonds erhalten, müssen sich dazu verpflichten, ihre Gewinne zu reinvestieren und nicht an ihre Aktionäre auszuschütten. Großzügige Boni für Vorstandsmitglieder und Dividenden an Aktionäre sind als das zu brandmarken, was sie sind: unethisch und asozial. Der Missbrauch von Steuergeldern kann und muss durch klare Übereinkommen mit den Unternehmen, die staatliche Unterstützung bekommen, verhindert werden.
Klimaabkommen bindet auch Unternehmen
Aber kommt man mit all dem schon in den grünen Bereich? Nein! Es gilt, alle Rettungsgelder für Unternehmen sowohl an rote als auch grüne Standards zu knüpfen. Im sozialen Bereich steht die Sicherung und Schaffung von gut bezahlten Arbeitsplätzen im Vordergrund. Im grünen Bereich muss als verbindlicher Minimalstandard gelten, dass Unternehmen die negativen Auswirkungen von Produktionsverfahren auf die Umwelt und das Klima schrittweise reduzieren und dafür einen Aktionsplan vorlegen. Unternehmen aus klimarelevanten Bereichen, wie etwa die Automobil- oder die Zementindustrie, müssen Aktionspläne zur Emissionssenkung im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen vorlegen.
Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf der Förderung und dem Verkauf von Kohle, Öl und Gas beruht, dürfen keine staatlichen Gelder bekommen. Die Nachfrage nach diesen klimaschädlichen Produkten war nach dem Pariser Abkommen wie zu erwarten rückläufig. Es schadet der Allgemeinheit, wenn diese Firmen künstlich am Leben erhalten werden. Jetzt ist die Zeit, von fossilen Brennstoffen auf die viel günstigeren erneuerbaren Energien umzusteigen und die Beschäftigten in diesem Strukturwandel mitzunehmen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat unlängst Europas Zukunft skizziert: Wie so oft in ihrer politischen Vergangenheit hat sie bei der Ausrufung des European Green Deal begrifflich geklotzt statt gekleckert. Daran muss sich die EU-Kommission nun messen lassen.
Der Green Deal muss umgesetzt werden. Nur ein Beispiel: Mit einer klug umgesetzten „Renovierungswelle“ (Renovation Wave) kann Brüssel die EU-Mitgliedstaaten im Gebäudesektor dazu bringen, die enormen Potenziale für Klimaschutz und Wohnkomfort zu heben, die Dämmung bietet. In vielen Bereichen bedarf es gar nicht so viel, damit das Haus Europa wohnlich bleibt und die Menschen nach Reisen gern zurückkehren. Europas Zukunft entscheidet sich in diesem Sommer.
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