EU-Sanktionen gegen China: Eine halbgare Drohung
Sanktionen helfen nicht. Die Europäische Union sollte einen eigenen Weg gehen: auf Verhandlungen und öffentlichen Druck setzen.
W er mit chinesischen Regierungsvertretern über den Genozidvorwurf in Xinjiang debattiert, bekommt dieser Tage eine deutliche Retourkutsche: Was ein Völkermord sei, heißt es dann, würde man im Land des Holocausts ja aus der eigenen Geschichte kennen. Mit dem, was in der westchinesischen Provinz passiere, habe dies aber überhaupt nichts zu tun.
Und dennoch hat erstmals seit über drei Jahrzehnten die europäische Union Sanktionen gegen Peking verhängt. Wie so vieles, was die 27 Mitgliedsstaaten beschließen, ist auch jene historische Maßnahme vor allem eine Kompromisslösung. Als wolle man sagen: Zwar können wir Chinas Menschenrechtsverbrechen gegen die Uiguren nicht einfach hinnehmen, doch so richtig provozieren wollen wir die Volksrepublik nun auch wieder nicht.
Für Pekingkritiker werden die Sanktionen nicht weit genug gehen. Tatsächlich sind sie bei näherer Betrachtung ziemlich zahnlos: Die Vermögenswerte einiger Parteivertreter, die maßgeblich für das Lagersystem in Xinjiang verantwortlich sind, werden eingefroren, zudem dürfen sie künftig nicht mehr nach Europa einreisen. Doch gleichzeitig werden die EU-Repressionen keineswegs ihr Ziel erreichen – nämlich die Situation in Xinjiang zu verbessern. Im Gegenteil: Pekings Staatsführung muss auch weiterhin eingebunden werden – politisch wie auch wirtschaftlich. Dies wird umso wichtiger, als eine militärische Auseinandersetzung zwischen den USA und China als Damoklesschwert über der Weltbevölkerung kreist.
Ohnehin erinnern die Tendenzen in den USA, wo mittlerweile jeder in China geborene Doktorand unter Spionageverdacht steht, an die historische Kommunistenjagd unter McCarthy.Die europäische Union sollte einen eigenen Weg gehen – und auf Verhandlungen und öffentlichem Druck setzen. Denn allzu oft, so hat die Geschichte bewiesen, hat die Volksrepublik genau dann ihre Repressionen im Inland angezogen, je mehr sie sich von außen bedroht sieht.
Sanktionen sind ein dementsprechend fragwürdiger Weg, weil sie nicht selten gegenteilige Effekte erzielen. Wie zum Beweis hat Pekings Staatsführung nur wenige Stunden nach den EU-Maßnahmen ihrerseits reagiert – und Sanktionen gegen 10 europäische Politiker und Akademiker sowie 4 Institutionen verhängt. Zweifelsohne ist Chinas Reaktion unverhältnismäßig und unangemessen. Dennoch wäre es umso verheerender, wenn sich Europa auf diese gefährliche Eskalationsspirale einlässt. An dessen Ende kann es nur Verlierer geben, keine Gewinner.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos