EU-Parlamentarier über Bauernproteste: „Kein Erbrecht auf Subventionen“
Das Europaparlament will die zentralen Umweltregeln für Agrarsubventionen abschaffen. Ganz falsch, findet der Grüne Martin Häusling.
taz: Herr Häusling, das EU-Parlament wird am Mittwoch wahrscheinlich eine der wichtigsten Umweltvorschriften für den Erhalt der milliardenschweren Agrarsubventionen streichen: Landwirte sollen nicht mehr 4 Prozent ihrer Ackerfläche für Brachen reservieren müssen. Sie sollen nur noch verpflichtet sein, bestehende Landschaftselemente wie Hecken oder Baumreihen zu erhalten. Warum wollen die Grünen gegen diesen Vorschlag der EU-Kommission stimmen?
Martin Häusling: 4 Prozent hört sich erst mal nicht so viel an, aber in Gesamteuropa sind das ja ein paar 100.000 Hektar, die tatsächlich für viele der bedrohten Tierarten auch als Rückzugsfläche gedacht waren. Da geht es vor allem um Vögel wie die Feldlerche oder das Rebhuhn, aber auch um Insekten. Wenn das wegfällt, werden wir unsere Biodiversitätsziele verfehlen. Seit der vorletzten Reform hat die EU die wichtigste Subventionsart, die Direktzahlungen, ein Stück weit mit Umweltauflagen verbunden. Jetzt kommen wir wieder dahin: Du kriegst Geld, weil du den Hektar hast, große Auflagen musst du gar nicht mehr erfüllen.
Woran machen Sie das noch fest?
Der 63-Jährige ist agrarpolitischer Sprecher der Fraktion die GRÜNEN/EFA im EU-Parlament. Er ist gelernter Agrartechniker, seine Familie bewirtschaftet einen Bioland-Hof in Hessen.
Nun soll sogar die Regel fallen, dass die Bauern eine Fruchtfolge einhalten müssen. In vielen Regionen werden Weizen und Mais massenhaft und keine anderen Früchte mehr zwischendurch angebaut. Dabei kann man mit einer Fruchtfolge Pestizide einsparen und ökologischer arbeiten. Ein Erfolg der letzten beiden Reformen war, dass Grünland geschützt wird. Das wird jetzt massiv aufgeweicht, und das schadet dem Klima. Denn jeder Hektar Wiesen und Weiden, der umgebrochen wird, setzt 6 bis 8 Tonnen CO₂ frei. All das schafft die Kernelemente der EU-Agrarpolitik ab.
Die Kommission will die Mitgliedstaaten verpflichten, den Bauern Extrazahlungen anzubieten, wenn sie Brachen beibehalten oder neue Landschaftselemente anlegen. Reicht das?
Das werden nicht viele Bauern freiwillig machen. Deshalb ist das eine Ausweichmanöver der EU-Kommission.
Die Kommission argumentiert, dass sie die Brachen nicht mehr vorschreiben will, weil diese die Bauern nur Geld kosten, ohne dass sie dafür entschädigt werden. Was halten Sie davon?
Es ist ein Teil des gesellschaftlichen Deals, dass die Bauern von den Steuerzahlern dann Geld bekommen, wenn sie etwas für die Umwelt tun. Wo kommen wir denn da hin, wenn Bauern Geld einfach dafür kriegen, dass sie Bauern sind?
Aber sie haben das Geld jahrzehntelang ohne diese Auflagen erhalten. Die haben sich jetzt darauf eingerichtet.
Es gibt kein Erbrecht auf EU-Subventionen. Die Bauern müssten doch selber ein großes Interesse dran haben, mehr für Umwelt und Klimaschutz zu tun. Der Verlust an Biodiversität ist genauso wie der Klimawandel eine Bedrohung für die Landwirtschaft: Weniger Wildbienen und Bienen, weniger Ertrag.
Die Kommission begründet den Vorschlag auch damit, dass die Landwirte eh schon belastet seien, etwa durch mehr Dürren, Inflation und „ökonomische Unsicherheiten“. Ist Ihnen das egal?
Die Bauern sind auf die Straße gegangen wegen der zu geringen Einkommen. Da müsste die EU initiativ werden und die Stellung der Landwirte in der Kette stärken. Das sind doch die wahren Probleme der Bauern.
Der Beschluss soll auch die sehr komplizierten Vorschriften vereinfachen. Stimmt das?
Das ist keine Vereinfachung, sondern eine Abschaffung der Kernelemente der Gemeinsamen Agrarpolitik. Man will die Bauern vor den Wahlen von der Straße bekommen. Aber man geht die wahren Probleme – das schlechte Einkommen der Bauern, ihr immer kleinerer Anteil am Lebensmittelpreis – nicht an, weil man sich nicht anlegen will mit der Ernährungsindustrie.
Knickt die EU hier vor einer kleinen Minderheit ein, die mit Traktoren Straßen blockiert und in Brüssel Gülle auf die Straße kippt?
Ja. In Deutschland waren die Proteste zwar auch manchmal grenzwertig, aber in Brüssel hatte sie schon fast Bürgerkriegscharakter, mit den brennenden Reifen und Attacken auf die Polizei. Wenn man das jetzt quasi noch legitimiert, ist das eine merkwürdige Geschichte. Wenn sich ein paar Klimaschützer auf die Straße kleben, dann werden sie runtergezerrt und teilweise auch verhaftet. Es gibt ein Ungleichgewicht, dass man das toleriert, was Landwirte machen, und bei Umweltaktivisten hart durchgreift.
Ein Ausschuss des Rats der Mitgliedsstaaten hat den Beschluss bereits abgesegnet, der Rat insgesamt muss aber nach dem Parlament offiziell zustimmen. Wie sollte sich Ihr Parteifreund und Bundesagrarminister Cem Özdemir da verhalten?
Um Glaubwürdigkeit zu bewahren, sollte er auf keinen Fall zustimmen.
Deutschland ist ein wichtiger EU-Staat. Wenn der jetzt dagegen stimmen würde, könnten sich andere Mitgliedsstaaten daran orientieren – und möglicherweise könnte es doch eine Sperrminorität geben, oder?
Das sehe ich nicht. Alle Agrarminister haben ein Interesse daran, dass die Bauernproteste so schnell wie möglich aufhören. Da wird sich jetzt keiner mehr dagegenstellen. Wenn es Spitz auf Knopf stünde und Deutschlands Stimme den Ausschlag gäbe, dann wäre es eine andere Entscheidung. Aber dadurch, dass Deutschland da wirklich allein steht, wird ein grüner Agrarminister allein keinen Frühling machen.
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